22.07.2002 10:54 Robert J. Shiller „Spekulationsblase existiert immer noch“
Yale-Professor Robert J. Shiller erwartet weiteren Verfall der Aktienkurse an der Wall Street Von Martin Reim
(SZ vom 22.07.2002) — Die Talfahrt an den US-Aktienbörsen wird noch länger dauern, glaubt Robert J. Shiller, Professor an der amerikanischen Yale- Universität und viel beachteter Buchautor.
Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung begründete er seine Aussage mit wichtigen Bewertungszahlen, die nach wie vor weit über ihrem historischen Schnitt lägen.
Talfahrt beschleunigt
Die Talfahrt an den globalen Aktienbörsen hatte sich am Freitag beschleunigt. Besonderes Aufsehen erregte, dass der Dow-Jones-Index erstmals unter jenen Werten schloss, auf die er kurz nach den Anschlägen vom 11. September gefallen war. Er verlor 4,60 Prozent und sank damit auf 8019,26 Punkte, den tiefsten Stand seit fast vier Jahren.
Shiller sagte, er sehe „keinen Grund, warum der Absturz schon zu Ende sein soll“, und betont: „Wir sind immer noch auf dem Weg nach unten.“ Der Wissenschaftler hatte zum Höhepunkt der weltweiten Börsenhausse im Frühjahr 2000 das Buch „Irrationaler Überschwang“ veröffentlicht, in dem er speziell den amerikanischen Aktienmarkt als extrem überwertet bezeichnet und vor einem scharfen Abschwung gewarnt hatte.
Wichtigste Basis seiner Darlegungen, die weltweites Aufsehen erregten, sind lang zurückreichende Datenreihen, die er teilweise selbst errechnet hatte. Sie sollten zeigen, dass wichtige Aktien- Kennziffern weit über ihrem historischen Durchschnitt liegen.
Prognosen abgelehnt
Der Professor bezieht sich vor allem auf die Relation zwischen Aktiennotierungen und den Erträgen der dahinter stehenden Unternehmen, dem so genannten Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Nach Angaben des Shillers liegt dieser Wert beim amerikanischen S&P-500-Index, der die wichtigsten 500 Firmen des Landes enthält, auf Basis der geschätzten Gewinne für das Jahr 2002 bei gut 30. Der historische Durchschnitt betrage hingegen nur rund 15 (Grafik).
Doch auch mit einem weiteren Absacken des Börsenbarometers um die Hälfte – das würde bei gleichen Gewinnerwartungen das KGV auf den historischen Schnitt drücken – wäre es aus Sicht des Professors nicht getan. „Die Erfahrung, beispielsweise nach dem Börsenkrach des Jahres 1929, zeigt: Eine Spekulationsblase ist erst dann endgültig vorbei, wenn der Durchschnittswert klar unterschritten wurde.“
Eine Prognose, in welcher Zeit der erwartete Niedergang stattfinden wird, lehnt Shiller ab: „Ich will nur die Richtung zeigen, aber keine exakten Werte vorhersagen.“ Für wenig stichhaltig hält er die Ansicht vieler Analysten, höhere KGV’s als früher seien angemessen, weil die Gewinne vieler Konzerne schneller wüchsen als in der Vergangenheit. „Phänomene wie die Globalisierung verschärfen eher die weltweite Konkurrenz und senken die Erträge“, sagte der Wissenschaftler.
Pessimisten...
Manche Beobachter bei prominenten Banken äußern ähnliche Ansichten wie Shiller. So schreibt die amerikanische Investmentbank Merrill Lynch in einer kürzlich veröffentlichten Studie, der Aktienmarkt wirke auch bei wohlwollender Beurteilung der KGV’s „teuer“.
Als einen der Gründe für ein Sinken der Werte nennt sie eine „größere Sprunghaftigkeit“ der Gewinnentwicklung. Und die Dresdner Bank betont in einem Papier zur globalen Investmentstrategie, der „Bärenmarkt“ – also eine Situation fallender Kurse – werde andauern.
...und Optimisten
Allerdings gibt es genügend Beobachter, die sich der Skepsis nicht anschließen. So ist in einer Analyse des amerikanischen Investmenthauses Morgan Stanley Dean Witter zu lesen, nahezu alle erfassten Stimmungsindikatoren zeigten seinen „extrem überverkauften“ Markt an.
Solch eine Konstellation „hat in der Vergangenheit einen Aufschwung vorhergesagt.“ Beim Branchenkollege JP Morgan heißt es, die weltweiten Aktienmärkte notierten „unter ihrem fairen Wert“, weshalb sich die Aussichten für eine Kurswende verbessert hätten.
Wie weit verbreitet solch eine Zuversicht ist, zeigt eine weltweite Umfrage von Merrill Lynch unter 300 Fondsmanagern, deren Auswertung in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde. Demnach ist trotz der Kursstürze „kein größerer Verlust des Vertrauens in Aktien“ festzustellen. Drei von vier Befragten erwarteten, dass die weltweiten Aktienkurse in einem Jahr höher stünden als derzeit.
Für Shiller sind solche Ergebnisse allerdings ein Anzeichen dafür, „dass die Spekulationsblase immer noch existiert“. Hauptargument: Wer optimistisch ist, hat seine Aktien noch nicht verkauft; und erst wenn ein breiter Ausverkauf stattgefunden hat, können die Kurse wieder steigen.
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