Interview mit Ralf Heckmann "Bei Siemens herrscht die blanke Wut" Am Sonntag will der Aufsichtsrat von Siemens einen Nachfolger für Konzernchef Kleinfeld bestimmen - der Chef des Gesamtbetriebsrats über die Korruption, Manager-Fehler und die Suche nach dem neuen Mann bei Siemens. Interview: Marc Beise, Karl-Heinz Büschemann, Klaus OttDer Aufsichtsrat von Siemens will bei einer Sondersitzung am Sonntag einen Nachfolger für Konzernchef Klaus Kleinfeld aussuchen. Es gebe zwei oder drei "Top-Kandidaten", verlautet aus dem Kontrollgremium. Dort hat Gesamtbetriebsratschef Ralf Heckmann, 57, großen Einfluss. Er gehört dem Präsidium des Aufsichtsrats an und sitzt im Prüfungsauschuss. SZ: Herr Heckmann, Siemens sucht verzweifelt einen neuen Vorstandschef. Wie lange darf die Hängepartie noch dauern, ohne dass der Konzern gelähmt ist? Heckmann: Siemens ist nicht gelähmt. Die einzelnen Sparten laufen hervorragend. Bis zum Abschied von, Klaus Kleinfeld, Ende September haben wir einen Nachfolger. Aber man bekommt das nicht in 14 Tagen gebacken. SZ: Der Aufsichtsrat berät schon am Sonntag bei einer Sondersitzung. Wird dann der neue Chef gekürt? Heckmann: Da schaun wir mal. SZ: Wer wird es sein? Heckmann: Über laufende Vorgänge kann ich nichts sagen. SZ: Woher soll der neue Konzernchef kommen. Von außen oder von innen? Heckmann: Uns auf der Arbeitnehmerseite wäre es am liebsten, er käme von innen und würde den Konzern und die Leute gut kennen. Aber das ist nicht so einfach. Jeder, der in Frage käme, müsste gründlich durchleuchtet werden. Wir wollen ja im Aufsichtsrat nicht riskieren, dass wir jemanden nehmen, bei dem sich später herausstellt, dass er in die Affären verwickelt ist. SZ: Der neue Aufsichtsratschef Gerhard Cromme tut sich bei der Suche offenbar sehr schwer. Heckmann: Das täuscht, er sucht intensiv, aber das sind ja keine öffentlichen Gespräche. Es soll ja niemand beschädigt werden. SZ: Dass Kleinfeld geht, ohne dass bisher ein Nachfolger feststeht, macht keinen guten Eindruck. Heckmann: Herr Cromme kann doch niemanden aus dem Hut zaubern. Und er muss mit seinem Kandidaten die Anteilseigner von Siemens ebenso überzeugen wie die Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat. In Deutschland wird kein Konzernchef gegen den Willen der Arbeitnehmer bestellt, das hielte keiner durch. SZ: Wie soll denn der Neue nach Ihrem Willen beschaffen sein? Heckmann: Er muss vor allem hohe soziale Kompetenz haben. Wir brauchen keinen schneidigen Kahlschläger. SZ: Cromme ist in der Konzernzentrale sehr unbeliebt. Er kommt von außen, man wirft ihm vor, er verstehe Siemens nicht, er wolle den Konzern zerschlagen. Heckmann: Ich habe nicht den Eindruck, dass Herr Cromme das Unternehmen zerschlagen will. SZ: Ist die interne Kritik an Cromme nur vorgeschoben, weil er den Sumpf bei Siemens austrocknen will und viele sich davor fürchten? Heckmann: An den Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft kommen wir nicht vorbei. Da sind dann auch unpopuläre Maßnahmen notwendig. Dass das Crommes Beliebtheit bei den Betroffenen nicht fördert, ist doch klar. SZ: Soll Cromme einspringen, falls sich kein Nachfolger für Kleinfeld findet? Heckmann: Ich glaube nicht, dass er das macht. Das wäre ein Vollzeitjob. Und als Aufsichtsratschef hat er ohnehin schon genug zu tun. SZ:Wer käme bei Siemens sonst in Frage? Finanzchef Joe Kaeser etwa? Heckmann: Ich will mich da nicht auf Namen festlegen. Bis Ende September könnten wir jedenfalls auch interne Kandidaten so durchleuchten, dass wir hinterher vor bösen Überraschungen sicher sind. Dann kann es durchaus sein, dass wir Leute finden, die nichts mit den Affären zu tun haben. SZ: Hat ein Kandidat von außen in der Schlangengrube Siemens überhaupt eine Chance? Keiner traut dem anderen, und viele fürchten sich vor der weiteren Aufklärung der Affären. Heckmann: Wir brauchen Zeit, um herausfinden, wer in die Affären verstrickt ist, und wer nicht. Und bei denjenigen, die sauber sind und für den Vorstandsvorsitz geeignet wären, könnten wir dann über eine interne Lösung reden. SZ: Im Konzern gibt es eine Wagenburgmentalität. Man verschanzt sich vor den Saubermännern von außen, um die eigenen Karrieren zu schützen. Heckmann: Ja, das stimmt. Aber man kann das auch erklären. Die Leute haben sich hochgearbeitet in die Führungsetagen, sie wollen eine Perspektive haben, und dann kommt mit Cromme jemand von außen, der aufräumen will. SZ: Als Gesamtbetriebsratschef bekommen Sie mit, wie die Beschäftigten sich fühlen. Wie ist die Stimmung? Heckmann: Die Siemensianer sind frustriert, bis hin zu blanken Wut. SZ: Wut auf wen? Heckmann: Wut auf diejenigen, die Millionen verschoben haben. Und natürlich haben sie auch Angst. SZ: Angst wovor? Heckmann: Vor der Strafe, die uns von der US-Börsenaufsicht SEC erwartet. SZ: Das könnte am Ende ein Milliardenbetrag sein. Heckmann: Und wer muss das dann ausbaden? Die Belegschaft natürlich. Werden nun die Taktzeiten am Laufband erhöht, damit weniger Leute mehr produzieren und Siemens die Strafe zahlen kann? Diese Sorge bekomme ich laufend zu hören. Die Leute haben sogar Angst um ihre Altersvorsorge. Wird die wie vereinbart ausgezahlt, oder geht Siemens dann auch da dran? SZ: Erwarten Sie das? Heckmann: Ausgeschlossen ist nichts. Und was ist, wenn der neue Konzernchef von außen kommt? Werden dann noch mehr Fabriken geschlossen, wird dann das Unternehmen zerschlagen? Werden dann noch mehr Arbeitsplätze nach Osten verlagert? Am Ende bekommen wir vorgehalten, die Chinesen arbeiteten für einen Euro die Stunde. SZ: Siemens könnte auch einzelne Sparten verkaufen, um die zu erwartende Strafe bezahlen zu können. Heckmann: Der künftige Konzernchef könnte in der Tat auf die Idee kommen, einzelne Unternehmensbereiche abzustoßen, um genug Geld für die SEC aufzutreiben. Irgendetwas wird kommen. SZ: Derweil darf Andreas Kley, ehemaliger Finanzchef der Kraftwerkssparte, 1,7 Millionen Euro Abfindung behalten, obwohl er obwohl er italienische Geschäftspartner geschmiert hat. Heckmann: Da gibt es einen großen Aufschrei in der Belegschaft. Ich kann den Leuten nicht erklären, dass solche Manager mit einer dicken Abfindung rausgehen, obwohl sie inzwischen verurteilt worden sind. Es kann nicht sein, dass die Schuldigen sich auf Kosten der Beschäftigten einen schönen Lenz machen. Wer für die Skandale verantwortlich ist, der muss dafür büßen. Der muss mit seinem privaten Vermögen haften. SZ: Das geschieht aber nicht. Heckmann: Da wird mit zweierlei Maß gemessen. Bei den Arbeitnehmern wird ja schon jemand fristlos gefeuert, der eine Rolle Klopapier geklaut hat. Der verliert seine Altersvorsorge, der muss zum Arbeitsamt und mit Hartz IV leben. SZ: Früher waren die Leute stolz darauf, bei Siemens zu arbeiten. Heute leidet man wohl eher darunter. Heckmann: Selbst Lieschen Müller, die ungelernte Arbeiterin am Band, ist plötzlich Vertreterin von Siemens. In ihren Freundeskreis, von ihren Bekannten wird sie laufend darauf angesprochen, was bei Siemens los ist, und kann das gar nicht erklären. Es ist für uns Betriebsräte verdammt schwer, den Kollegen Mut zu machen, aber wir versuchen es. SZ: Das hört sich so an, als seien Sie eine Art Betriebsseelsorger. Heckmann: Ich rede zur Zeit wie ein Pastor, reise von einer Betriebsversammlung zur nächsten. Da kann man sich nicht hinter E-Mails verstecken, da muss man persönlich ran . SZ: Müsste der Aufsichtsratschef Cromme an die Front? Heckmann: Cromme kann nicht alles machen. Er sucht einen neuen Vorstandschef, er kommt zur Führungskräftetagung, er versucht, die Investoren zu beruhigen. Und ich versuche, die Belegschaft zu beruhigen. Die Leute wollen in den Betriebsversammlung von ihren Vorgesetzten gar nicht mehr hören, wie die neuesten Finanzzahlen ausfallen, die sehen ohnehin gut aus. Die Leute wollen sofort wissen, was passiert bei Siemens, wie geht es weiter? Was machen die US-Anwälte, die intern ermitteln? Werden jetzt alle E-Mails überprüft, werden wir jetzt alle abgehört? Da sind die Betriebsleitungen absolut überfordert. SZ: Herr Heckmann, Sie gehören dem Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats an. Wozu braucht man den eigentlich, wenn er das illegale Abzweigens von vermutlich weit mehr als 400 Millionen Euro für Schmiergeld nicht bemerkt? Heckmann: Bei einem Konzernsumatz von rund 80 Milliarden Euro kann man im Aufsichtsrat nicht jeden Beleg zur Kenntnis nehmen. Bei Siemens gibt es etwa sieben Millionen Zahlungsvorgänge im Jahr. Dass es in einem Promillesatz von Fällen manchmal offene Fragen gibt, lässt sich in einem so großen Unternehmen gar nicht verhindern. SZ: Hat die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG versagt? Heckmann: Die Prüfer haben alle Zahlungen überprüft. Meiner Ansicht nach war immer nachvollziehbar, was sie uns vorgetragen haben. Die Frage ist aber, ob die KPMG auch die Vorgänge betrachtet hat, die hinter den Belegen standen. SZ: Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen und alle tun so, als hätten seien sie für nichts verantwortlich ... Heckmann: ....jeder tut so, als sei er nicht verantwortlich. Das ist richtig. SZ: Ist das Teil der Siemens-Unternehmenskultur? Heckmann: Die Unternehmenskultur hat sich nach 1989 stark verändert. Damals wurde die Selbständigkeit der Bereiche erhöht. Vorher liefen alle Finanzdaten sofort in der Unternehmenszentrale am Wittelsbacher Platz in München ein. Heute liefern die Bereiche ihre Zahlen nur noch zusammengefasst. Dadurch entwickelt sich eine eigene Kultur und ein Eigenleben, das nicht mehr vom Zentralvorstand aus zu kontrollieren ist. SZ: Dann braucht man ja den Zentralvorstand nicht mehr? Heckmann: Doch. Die Zahlen der Bereiche, die Auftragseingänge, die Ergebnisse müssen ja irgendwo zusammenlaufen. SZ: Dazu braucht man nur wenige Leute und der Zentralvorstand muss auch nicht mehr so groß sein. Heckmann: Das ist doch schon alles kleiner geworden. In der Konzernzentrale am Wittelsbacher Platz saßen vor 1989 noch mehr 2000 Mitarbeiter. Heute sind es etwa eintausend. SZ: Ein Teil des Siemens-Skandals ist die möglicherweise unerlaubte Förderung der Belegschaftsorganisation AUB, die offenbar als Konkurrenz zur IG Metall aufgebaut werden sollte. Das ist lange bekannt. Warum haben Sie als IG Metaller diesem Treiben im Aufsichtsrat zehn Jahre lang zugesehen? Heckmann: Wir haben das schon lange angeprangert. Aber wir konnten nichts beweisen. Das wurde erst durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft möglich. SZ: Von außen wirkt Ihre Erregung über die AUB etwa seltsam. Man könnte meinen, die mächtige IG Metall, die an allen wichtigen Entscheidungen des Siemens-Aufsichtsrates beteiligt ist, habe dem Treiben um die kleine AUB viele Jahre tatenlos zugesehen und nutze jetzt die günstige Gelegenheit, um sich selbst in ein günstiges Licht zu stellen. Heckmann. Das ist nicht der Fall. Bei unseren Betriebsräte-Versammlungen, haben wir den Personalverantwortlichen immer wieder die Bevorzugung der AUB um die Ohren gehauen. Wir haben doch gesehen, welche Mittel die AUB zur Verfügung hatte: das konnten die mit ihren Beiträgen nicht finanzieren. SZ: Die Vorfälle bei Siemens bringen die Aufsichtsräte generell ins Zwielicht und natürlich die Mitbestimmung. Was müsste anders werden, damit solche Vorfälle nicht mehr passieren? Heckmann: Dazu brauchen wir die wirklich paritätische Mitbestimmung. SZ: Wie bitte, Sie wollen die Mitbestimmung sogar noch erweitern? Heckmann: Ich meine das nicht bezogen auf die unternehmerischen Entscheidungen. Aber es wäre besser, wenn die Arbeitnehmer im Prüfungsausschuss des Aufsichtsrates wie die Kapitalvertreter mit zwei Vertretern säßen. Dann könnten wir noch einen speziell ausgebildeten Experten mit hineinnehmen. SZ: Wenn man den ganzen Skandal zusammenfasst: Wie konnte es bei Siemens so weit kommen? Heckmann: Das frage ich mich auch. Eine Erklärung könnte sein, dass die Bereiche inzwischen stark erfolgsabhängig arbeiten. Um Erfolg zu haben, geht man dann unter Umständen auch mal einen anderen Weg. SZ: Wie schwer fällt es der Belegschaft, vom früheren Vorstands- und Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer Abschied zu nehmen, der zurückgetreten ist, der aber eine besondere Vaterfigur des Unternehmens war. Heckmann: Das fällt der Belegschaft sehr, sehr schwer. Er war sehr am Ausgleich interessiert. Er hat Werke erhalten, die andere im Vorstand schon aufgeben wollten. Er hat sich dafür eingesetzt, dass Firmenteile nicht verlagert werden. Da ist die Dankbarkeit groß. Und jetzt kommt die Erkenntnis, dass er in die Affären verwickelt sein könnte; bewiesen ist ja noch nichts. Aber das zu begreifen fällt den Mitarbeitern unheimlich schwer. Jetzt ist er zurückgetreten und die Leute verstehen die Welt nicht mehr. (SZ vom 19.05.2007 http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/artikel/842/114728/ ) |