SPIEGEL ONLINE - 09. November 2006, 11:39 URL: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,447332,00.html STERN-TV MIT KOPFTUCHStoffrest statt Zoff-FestVon Anna Reimann Die Anwältin Seyran Ates und die Grünen-Abgeordnete Ekin Deligöz haben eines gemeinsam: Sie werden bedroht, weil sie Kritik an der muslimischen Community in Deutschland üben. Günther Jauch lud die Frauen zum Kopftuchstreit - aber um das Tuch ging es kaum. Berlin - Nach dem Zimtstreit ("Wieviel Zimt oder wieviele Zimtsterne sind gesundheitlich unbedenklich?") kommt der Kopftuchstreit: Auf packende Diskussionen sind die Zuschauer von Stern-TV also eingestimmt, als die Berliner Rechtsanwältin Seyran Ates und die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz Günther Jauchs Studio betreten. Das Thema ihres Auftrittes soll - so die Ankündigung des RTL-Magazins - der Kopftuchstreit sein und "was dahinter steckt". DPA Rechtsanwältin Ates: Hoffen auf türkische Medien Ates und Deligöz gelten als "Expertinnen": Ates hat immer wieder die Unterdrückung muslimischer Frauen in Deutschland angeprangert. Deligöz hat in den vergangenen Wochen Moscheen in ganz Deutschland besucht und dabei festgestellt, dass es in "türkischen Kreisen eine immer stärkere Hinwendung zur Religiosität" gebe. Ates hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie das Kopftuch für ein Symbol der Unterdrückung hält, Deligöz war stets eine Befürworterin des Kopftuchverbots an Schulen. Vor ein paar Wochen dann hat Deligöz muslimische Frauen in Deutschland aufgefordert, ihr Kopftuch abzulegen. Sie sollten endlich im Heute ankommen. Äußerungen, für die beide Frauen einen hohen Preis zahlen müssen: Nach ihrem Appell erhielt Deligöz Morddrohungen. Ates wurde zum Hassobjekt vor allem jener Männer, deren Frauen die Anwältin um Hilfe bitten, wenn sie sich scheiden lassen wollen; im Spätsommer hatte sie ihre Kanzlei geschlossen, nachdem sie immer wieder bedroht wurde. Zwei Aktivistinnen, eine hoch brisante Agenda: Es hätte eine spannende Diskussion zu einem politischen und kulturellen Symbol werden können. Was bedeutet das Kopftuch, welche Konsequenzen hat es für die Frauen? Worin unterscheiden sich Ates' und Deligöz' Meinungen? Gelingt es ihnen, die immer wieder beschworene religiöse Begründung für das Tragen des Kopftuchs aus dem Koran zu widerlegen? Kommt es zum Streit über die Integrationspolitik der Grünen? Immerhin hatte Ates heftige Kritik an der grünen Integrationspolitik geübt. Zusammen mit türkischen Verbänden hätten die Grünen in der Vergangenheit häufig eine "rassistische Allianz" gebildet. Doch die Debatte zwischen der stets sehr entschieden argumentierenden, oft Tabus brechenden Islamkritikerin Ates und der grünen Politikerin Deligöz kommt nicht zustande. Ates will nicht mehr über das Kopftuch sprechen. Sie nehme die Drohungen gegen ihr Leben sehr ernst; es sei besser "eine Zeit lang nicht mehr über das Thema" zu reden, damit sich die Lage beruhige. Deligöz konzentriert sich auf die Meinungsfreiheit: "Es geht um mehr als um ein Stück Stoff, es geht um die Kritik- und Eigenkritikfähigkeit des Islam", sagt sie. Sie sieht den "Anfang einer großen Debatte", Ates setzt eher auf eine Pause. So ging es gestern zwar darum, dass freie Meinungsäußerungen in Deutschland Morddrohungen zur Folge haben können - von der Lebenssituation vieler muslimischer Frauen war jedoch nur einmal kurz die Rede: als Jauch Ates fragte, was man denn einer 15-Jährigen, die in einer streng religiösen Familie aufwachse, raten soll, wenn sie das Kopftuch nicht tragen wolle. "Meistens hilft dann nur eine vorübergehende Auszeit von der Familie", antwortete Ates knapp. Die Mädchen müssten von ihren Verwandten weggeholt werden. Wäre es nicht lohnend gewesen, vor einem großen Publikum, vor den "vielen Türken", die wie Jauch betonte, Stern-TV sehen, Argumente auszutauschen? Ates jedenfalls hofft, dass eine fruchtbare Diskussion künftig woanders zustande kommt: in den türkischen Medien, die Unterstützer im Kampf für Frauenrechte und Meinungsfreiheit werden sollen. |