.... Wer wie Roland Koch Stellen bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten streicht und die Gelder für Gewaltprävention runterfährt, ist bei diesem Thema nicht besonders glaubwürdig. Gleichwohl ist die Debatte über Jugendgewalt dringend erforderlich. In unserem Bezirk haben wir es mit 149 Intensivtätern zu tun, diese Zahl hat sich in den vergangenen zwei Jahren verdreifacht. Die Täter werden immer als die Türken, Araber oder Deutsche ethnisiert. Um es klar zu sagen: Es sind nicht alle Migranten Gewalt- und Serientäter. Wir reden über eine winzige Minderheit, die aber kapitalen Schaden im Sozialgefüge anrichtet.
Brauchen wir ein härteres Jugendstrafrecht?
Nein. Wir müssen das bestehende Recht nur konsequent anwenden. Schnell und hart muss die Reaktion insbesondere auf die ersten Gewalttaten erfolgen, und zwar bei über 18-Jährigen nach dem Erwachsenenstrafrecht als Regel. Bei Hardcore-Serientätern läuft der Erziehungsgedanke des Jugendstrafrechts ins Leere, denn die sind völlig verwahrlost im Kopf, haben keinerlei Schamgefühl. Sie treten und schlagen auf alles, was ihnen in die Quere kommt. Schon um weitere Opfer zu vermeiden, müssen diese Unbelehrbaren weggesperrt und bei Ausländern – da wo es rechtlich möglich ist – auch abgeschoben werden.
Wie viele Neuköllner Intensivtäter sind nicht-deutscher Herkunft?
Ihr Anteil liegt bei 95 Prozent.
Wie erklären Sie sich das?
Bestimmte Milieus begünstigen Kriminalität. Bei uns verlassen jedes Jahr 70 Prozent der migrantischen Schüler die Schule ohne oder nur mit dem einfachen Hauptschulabschluss. Jeder zweite unter 25 Jahren bezieht Hartz IV, ohne Nachqualifizierung sind 90 Prozent dieser Menschen nicht vermittlungsfähig. Gewalttäter haben fast immer Gewalt am eigenen Leib erfahren müssen. Es ist unstrittig, dass der Gewaltfaktor bei der Erziehung südosteuropäischer, arabischer oder türkischer Eltern bis zu dreimal größer ist als bei deutschen Familien. Mischt sich also Gewalterfahrung mit mangelnder Bildung und Perspektivlosigkeit, ist das oft der Eintritt in eine kriminelle Karriere.
Die Republik streitet über Sinn und Unsinn von Erziehungscamps. Sie betreiben ein solches Camp. Mit welchem Erfahrungen?
Unser „PädCamp“ widmet sich jungen Arbeitslosen, die als nicht mehr integrierbar gelten. Wir trainieren einfachste Kulturtechniken: Jeden Morgen pünktlich aufstehen, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein, eine Aufgabe am gleichen Tag erledigen. Zehn Prozent halten durch und finden den Weg in ein normales Erwerbsleben. Hört sich wenig an, ist aber ein großer Erfolg.
Kann das Neuköllner Camp ein Vorbild für andere Städte und Bundesländer sein?
Immerhin sind wir damit Bundespreisträger. Doch letztlich ist es nur ein gesellschaftlicher Reparaturbetrieb, denn die Probleme entstehen viel früher. Grundschüler mit 100 Fehltagen sind bei uns leider keine Seltenheit. Sozialarbeiter hören von den Eltern immer nur das Standard-Argument: „Aus mir ist auch ein richtiger Mann geworden, ohne dass ich Lesen und Schreiben gelernt habe.“
Was tun Sie gegen diese Bildungsferne?
Wir haben zum Beispiel das Projekt Stadtteilmütter entwickelt. Das sind Migrantinnen, die bildungsferne Elternhäuser besuchen und beraten. Wir setzen außerdem die Schulpflicht, notfalls mithilfe der Polizei, konsequent durch. Generell bin ich für den kostenlosen, dann aber auch verpflichtenden Kindergartenbesuch.
Das missfällt vielen Eltern, die ihre Kleinkinder selbst erziehen wollen.
Wir sehen immer alles aus der Sicht des Bildungsbürgertums, wo sonntags Hausmusik gemacht wird. Aber es gibt wieder Milieus wie vor 100 Jahren. Wir haben leider eine wachsende Unterschicht. Das müssen wir endlich akzeptieren und etwas dagegen tun.
Das Bildungsbürgertum verbarrikadiert sich in noblen Quartieren und hofft auf die Selbstheilungskräfte des Systems?
Ja, aber das ist naiv und weltfremd. Die Entwicklung in sozialen Problemgebieten geht alle an. Was meinen Sie, wie schnell man im geklauten BMW von Neukölln in jedes Villenviertel kommt? In Neukölln-Nord hat heute jeder zweiter Einwohner einen Migrationshintergrund. In den Grundschulen stellten Migrantenschüler 80 bis 100 Prozent. In zehn Jahren wird der Migranten-Anteil hier bei 75 Prozent liegen. Tatenlosigkeit wird uns die Verhältnisse von Paris und London bescheren.
Was also tun?
Damit sich junge männliche Migranten den tradierten Riten entziehen, müssen sie in unserer Gesellschaft Chancen und Perspektiven haben. Das verhindert zusammen mit Bildung den kriminellen Nachwuchs. Nur so verhindern wir, dass Zwölfjährige ihre Schulkameraden mit dem Messer bedrohen.......http://www.wiwo.de/politik/und-ploetzlich-sind-alle-empoert-261474/ |