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Der Wahn von der Autobahn
Nicht nur Ex-Nachrichtensprecherinnen verirren sich in der Geschichte: Viele Deutsche finden immer noch, es sei nicht alles schlecht gewesen im "Dritten Reich" - die Autobahnen zum Beispiel. SPIEGEL-Autor Klaus Wiegrefe beschreibt die wirkliche Geschichte der "Straßen des Führers".
Die Feier zum Beginn des Autobahnbaus im "Dritten Reich" zählt zu den wirkungsvollsten Inszenierungen, die sich das Propagandaministerium der Nazis ausgedacht hat. Am Morgen des 23. September 1933 werden vor dem Frankfurter Arbeitsamt 720 „Arbeiter der Faust“ (Nazi-Jargon) offiziell aus der Obhut der Behörde entlassen. In Arbeitsuniformen marschieren die Männer durch die Straßen der Mainmetropole, vorbei an flatternden Hakenkreuzfahnen zur Frankfurter Börse, an deren Portikus ein Banner mit der Parole "Arbeit und Frieden" prangt.
Fritz Todt, Generalinspektor für das deutsche Straßenbauwesen, begrüßt die Ankömmlinge mit den Worten: "Kameraden, soeben kommt ihr vom Arbeitsamt. Es ist der Wille unseres Führers, dass ihr diese Stätte nicht mehr betretet. Wir gehen nicht mehr stempeln, sondern wir bauen Straßen." Vor Todt stehen - in Ständer geklemmt - Hunderte Schaufeln, die nun ausgegeben werden. Anschließend setzt sich der Generalinspektor an die Spitze der Kolonne und führt diese zur Baustelle im Frankfurter Stadtwald.
Dort trifft bald Adolf Hitler ein, und da das Propagandaministerium angewiesen hat, ab 10.45 Uhr im ganzen Land die Arbeit ruhen zu lassen, damit niemand die Radio-Übertragung verpasst, verfolgt vermutlich ein beträchtlicher Teil der Deutschen, wie der Diktator vom "Zeitalter der Autobahnen" schwadroniert. Anschließend greift Hitler selbst zum Spaten und eröffnet mit einem Stich den Bau der Reichsautobahn Frankfurt-Mannheim-Heidelberg. Das Foto vom zupackenden und sich volksnah gebenden "Führer" wird in den folgenden Jahren millionenfach gedruckt.
Nur ein paar tausend Arbeitsplätze
In der Erinnerung der Deutschen hat sich diese Szene nachhaltig eingeprägt. Keine Propagandalüge der Nationalsozialisten erwies sich als derart hartnäckig wie jene, Hitler habe als erster - und ohne Verbrechen - Autobahnen bauen lassen und auf diese Weise die Massenarbeitslosigkeit beseitigt.
Nichts davon trifft zu: Der Autobahnbau brachte nur wenige tausend Menschen in Lohn und Brot, aber dafür jene ins KZ, die unter politischem Verdacht standen und sich der Maloche zu hartnäckig widersetzten. Und erfunden hat Hitler die Autobahnen schon gar nicht - die erste war noch in der Weimarer Republik eröffnet worden, im Sommer 1932 von Konrad Adenauer, später erster Kanzler der Bundesrepublik und damals Kölner Oberbürgermeister. Um sich als erster Autobahnbauer feiern zu lassen, ließ Hitler die sogenannte Adenauer-Autobahn zwischen Köln und Bonn zur Landstraße herabstufen.
Adenauer hatte mit dem Projekt freilich noch gegen den Geist der Zeit gestanden. Kritiker wie der Soziologe Werner Sombart gaben vor 1933 den Ton an; Autobahnen dienten nur der "Steigerung der Bequemlichkeit oder der Befriedigung eines Luxusbedürfnisses". Großartige Pläne weitblickender Ingenieure – insbesondere aus dem "Verein zum Bau einer Straße für den Kraftwagen-Schnellverkehr von Hamburg über Frankfurt a. M. nach Basel" - scheiterten, weil die Reichsregierung solche "Luxusstraßen" (so Reichsverkehrsminister Theodor von Guérard) ablehnte.
Lebensadern des NS-Staats
Auch die Nazis hielten während ihrer Oppositionszeit wenig von mehrspurigen und kreuzungsfreien "Nur-Autostraßen", wie es damals hieß. Und so überraschte es viele, als der gerade zum Reichskanzler ernannte Hitler am 11. Februar 1933 bei der Eröffnung der Internationalen Automobilausstellung in Berlin den Bau eines gigantischen Autobahnnetzes verkündete. O-Ton Hitler: "Wenn man früher die Lebenshöhe von Völkern oft nach der Kilometerzahl der Eisenbahnschienen zu messen versuchte, dann wird man in Zukunft die Kilometerzahl der für den Kraftverkehr geeigneten Straßen anzulegen haben."
Der Chef-Nazi hatte sich von seinem Adlatus Todt beeindrucken lassen, der bald das Bauprogramm leitete und dafür auf die vorliegenden Pläne aus der Weimarer Republik zurückgriff. Ingenieur Todt, ein übler Antisemit und früher Parteigänger Hitlers, ging es dabei jedoch nicht um den Abbau der Massenarbeitslosigkeit, sondern um das "nationalsozialistische Aufbauprogramm", sprich die Aufrüstung. In den Fahrzeug-Rollbahnen sah Todt "Lebensadern" eines Verteidigungssystems. Er träumte davon, 300.000 Soldaten in nur zwei Nächten von der Ost- an die Westgrenze zu verlegen. Kurioserweise hielt die Wehrmacht davon wenig; sie bevorzugte weiterhin die Eisenbahn.
Immerhin warb Todt für das Projekt auch mit dem Argument, damit 600.000 Arbeiter von der Straße zu holen. Anfang 1933 war das ein gewichtiges Argument; über sechs Millionen Menschen suchten einen Job, viele von ihnen mussten sogar hungern. Und mit dem Hinweis auf die Erwerbslosen verkaufte Hitler das Projekt denn auch der Öffentlichkeit, später garniert mit der lockenden Aussicht, bald könnten alle Deutschen mit einem "Volkswagen" über den frischen Beton brausen.
Radeln auf der Reichsautobahn
Kein Wunder dass viele gerne glaubten, das Vorzeigeprojekt des Regimes - "Hitler-Programm" genannt - habe etwas damit zu tun, dass schon 1934 die Arbeitslosigkeit drastisch zurückging und bald ganz verschwand. Jahrelang trommelte die Nazi-Propaganda in diesem Sinne bei jeder Einweihung eines größeren Bauabschnitts.
Doch für die Autobahnen malochten Ende 1934 gerade einmal knapp 4000 Arbeiter; auch später wurden es nie mehr als ungefähr 125 000. Und besonders gut erging es den von den Arbeitsämtern zugewiesenen "Arbeitskameraden" nicht. Sie mussten oft in schäbigen Baracken und sogar in Ställen hausen; zehn Mann teilten sich manchmal Räume von 13 Quadratmetern.
Die Löhne blieben armselig, viele Arbeiter erkrankten, weil sie den Anstrengungen nicht gewachsen waren. Das sei eine "Vorstufe zur Fremdenlegion", schimpften denn auch einige. Wer sich weigerte, riskierte eine Einweisung ins KZ, wie die Experten Erhard Schütz und Eckhard Gruber, Autoren des Buches "Mythos Reichsautobahn" (Ch. Links Verlag, Berlin) von den 6000 Kilometern, die Todt geplant hatte, wurden am Ende knapp 4000 Kilometer gebaut (zum Vergleich: in der Bundesrepublik gibt es heute gut 12 000 Kilometer).
1941 stellte Hitler das Programm ein, weil er alle Männer an der Front brauchte. Für die meisten Deutschenmachte das freilich keinen Unterschied, denn allen Ankündigungen vom Wagen fürs Volk zum Trotz blieben Autos im "Dritten Reich" ein Luxusgut für die oberen Zehntausend. Fotos aus der Zeit zeigen meist leere Autobahnen.
Ein bisschen profitierten die Volksgenossen am Ende dann aber doch noch von Hitlers Betonprojekt. Denn da so wenige die "Straßen des Führers" nutzten, gab dieser sie im August 1943 frei: für Radfahrer.
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