Handball-WM Nicht mehr konkurrenzfähig Wer gedacht hatte, die deutsche Handball-Nationalmannschaft würde sich bei der Weltmeisterschaft noch einmal zusammenreißen, sieht sich getäuscht: Mit der bislang schwächsten Leistung im Turnier geht die Mannschaft von Heiner Brand 25:35 gegen Norwegen unter. Von Rainer Seele, Jönköping
25. Januar 2011 Heiner Brand schien schon früh resigniert zu haben am Dienstag. Er war deutlich weniger in Bewegung als sonst, offensichtlich spürte der Bundestrainer schnell, dass das Unheil nicht mehr abzuwenden sein würde. Und so kam es ja auch: Deutschland machte da weiter, wo es am Montagabend aufgehört hatte - es setzte seine Reihe der bitteren Erlebnisse bei der Weltmeisterschaft in Schweden mit dem 25:35 gegen Norwegen fort. Es war eine Niederlage mit gravierenden Folgen: Der Weltmeister von 2007, der in Schweden bestenfalls noch Elfter werden kann, verpasste es, sich für ein Olympia-Qualifikationsturnier zu empfehlen. Das war das Minimalziel der Deutschen gewesen. Noch sind die Olympischen Spiele 2012 in London zwar nicht vollkommen außer Reichweite - doch die Chancen, die olympische Zulassung noch bei der Europameisterschaft 2012 zu ergattern, über einen europäischen Quotenplatz etwa, sind eher gering.
Das Turnier in Schweden dokumentierte den schleichenden Abstieg der Deutschen im Handball. Ihr Angriff erwies sich gegen die Norweger als harmlos, in der Deckung taten sich zu viele Lücken auf. Hatte das Team seinen Trainer bereits im Duell mit den Ungarn schwer enttäuscht, erlebte Brand tags darauf in Jönköping ein noch größeres Fiasko - er sah den Zerfall eines Teams. „Es sind Tage, die sehr weh tun“, sagte Brand. Tage, die wohl auch eine Zäsur für den deutschen Handball bedeuten, der einen weiteren Imageverlust erlitt. Welche Konsequenzen er aus der WM ziehen werde, mochte Brand jedoch noch nicht dezidiert erläutern. Allerdings betonte er auch nicht, dass er sein Werk auf alle Fälle fortsetzen werde. Gedanken über seine Zukunft, sagte der Bundestrainer in Jönköping, „werde ich sicherlich heute nicht bekanntgeben“. Er wolle die WM erst mal analysieren, „mit kleinem Abstand“. Stefan Kretzschmar, einstige Handballgröße, vermutet, dass der Bundestrainer doch vorzeitig aufhören könnte: „Ich befürchte, dass er eine Entscheidung trifft, die für den deutschen Handball nicht gut ist.“
Brands Spieler hatten sich nach dem Rückschlag gegen Ungarn am Dienstag angeblich wie blockiert gefühlt. „Wir waren im Kopf nicht frei“, behauptete Kapitän Pascal Hens. „Wir waren demoralisiert“, sagte Lars Kaufmann, und Torhüter Johannes Bitter beschrieb die Machtlosigkeit der Deutschen so: „Wir müssen uns jetzt darum kümmern, damit wir wieder auf die Beine kommen. Wir haben heute eine gekriegt, das tut weh. Wir wollten einiges geraderücken, wir konnten aber nicht dagegenhalten.“ Manches entwickelt sich ja sehr langsam im Handball, das weiß natürlich auch Brand. In diesen Tagen hatte er zum Beispiel von der „Goldenen Generation“ in Deutschland gesprochen, von einem Team, das er aufgebaut hatte. Aber es war keineswegs so, dass dies auf die Schnelle bewerkstelligt worden wäre. Der Bundestrainer erzählte von Spielern wie Christian Schwarzer oder Volker Zerbe, die lange auf den Durchbruch hatten warten müssen - sie waren bereits jenseits der 30, als die großen internationalen Erfolge sich einstellten.
Geduld zahlt sich also auch im Handball aus, allerdings ist die Frage, ob das auch für das Nationalteam von heute gilt - und ob Brand ihm wirklich zutraut, noch wesentliche Fortschritte zu machen. Ratlos in Schweden - und vielleicht sogar ein bisschen einsam: Dieses Bild entstand von Brand bei seinem siebzehnten großen Turnier. Es schien mitunter, als hätte sich zwischen ihm und seinen Gefolgsleuten plötzlich eine Kluft aufgetan.
Nicht mehr konkurrenzfähig Er redete bisweilen beschwörend auf seine Spieler ein, er schien ihnen sogar einfache taktische Verhaltensweisen vermitteln zu wollen - aber selbst das hatte nur bedingt funktioniert. Brand hatte sagen können, was er wollte - er fand zu selten Gehör. Wie er sich zuletzt gegeben hatte, mit steinernem Gesichtsausdruck, wie er über seine tiefe Enttäuschung sprach, ließ ahnen, dass er das farblose Auftreten seines Teams als eine persönliche Beleidigung betrachten musste.
Einem Beobachter wie Kurt Klühspies, einst einer der sportlichen Weggefährten von Brand und Weltmeister von 1978, schien der Bundestrainer fast leid zu tun. Klühspies wähnte Brand von seinen Spielern im Stich gelassen. Er sagte, sie seien teilweise „wie Schulbuben“ auf dem Feld gestanden, in niemandem entdeckte er einen „Häuptling“. Man müsse aufpassen, hatte vor kurzem schon Schwarzer gesagt, einer der Weltmeister von 2007, dass man nicht den Anschluss verliere. Am Montag und am Dienstag auf alle Fälle war ein deutsches Team zu sehen, das nicht mehr konkurrenzfähig ist. Und Brand machte nicht den Eindruck, als würde er - grundsätzlich - eine baldige Besserung erwarten.
Text: FAZ.NET Bildmaterial: AFP, dapd, dpa, REUTERS |