Rekordarbeitslosigkeit in Deutschland / Visa-Affäre um Außenminister Fischer
Die Rekordarbeitslosigkeit in Deutschland und die Visa-Affäre um Bundesaußenminister Joschka Fischer - zwei Themen die in dieser Woche auch in der internationalen Presse große Beachtung fanden.
"Die deutsche Wirtschaft sinkt immer tiefer", meint die spanische Zeitung EL MUNDO: "Der Anstieg der Arbeitslosenzahl auf die Rekordmarke von 5,2 Millionen zeigt, dass unaufhaltsam Arbeitsplätze abgebaut werden und die Wirtschaft an Wettbewerbsfähigkeit verliert. Die von Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeleiteten Reformen konnten den Abwärtstrend nicht aufhalten. Die Unternehmer haben längst das Vertrauen in die Regierenden verloren. Die rot-grüne Koalition macht ihre schlimmste Zeit durch. Es besteht allgemein der Eindruck, dass es der Regierung an Impulsen fehlt, aus der verzwickten Lage einen Ausweg zu finden."
Der TAGES-ANZEIGER aus Zürich warnt vor historischen Vergleichen: "Schon wird wieder mit den berüchtigten 'Weimarer Verhältnissen' politisiert - damals, Anfang der 30er Jahre, als sechs Millionen arbeitslos waren. Der Vergleich ist zwar historisch falsch und reiner Populismus - richtig aber ist, dass die Politik angesichts der neuen Massenarbeitslosigkeit versagt, und zwar Regierung und Opposition gleichermaßen. Weil mit unpopulären Maßnahmen aber keine Wahlen zu gewinnen sind, wird Kanzler Schröder bis 2006 kaum weitere Reformen durchziehen. Sollte die Konjunkturprognose von nur einem Prozent Wachstum zutreffen, wird die Arbeitslosigkeit weiter steigen, die einstige Wirtschaftslokomotive im Herzen Europas weiter stottern - Grund zu großer Sorge auch für die Nachbarländer."
"Der Donnerschlag war zu erwarten", heißt es in der französischen Zeitung LES ECHOS: "Die Wirklichkeit auf dem Arbeitsmarkt und beim Wirtschaftswachstum hat alle Anstrengungen der deutschen Regierung weggewischt. Vergessen sind die versprochenen spürbaren Auswirkungen der berühmten Hartz-IV-Reform, die Hundertausende von Sozialhilfe- Empfängern ins Lager der Arbeitslosen verfrachtet hat. Muss man dennoch jede Hoffnung aufgeben? Sicherlich nicht. Nach einem ersten Zornausbruch über die Infragestellung von sozialen Errungenschaften gewinnt der Konsens allmählich Oberhand. So vergeht keine Woche, ohne dass Vereinbarungen über eine Verlängerung der Arbeitszeit getroffen werden."
Deutlich skeptischer gibt sich das in Brüssel erscheinende WALL STREET JOURNAL EUROPE: "Darüber, was jetzt getan werden muss, ist in den deutschen Medien bereits bis zum Überdruss diskutiert worden: Die Steuern müssen gesenkt und der Arbeitsmarkt flexibilisiert werden. Aber warum geschieht dies nicht? Ganz einfach - aus Mangel an politischem Mut. Da ist es leichter, die Schuld an der Malaise äußeren Faktoren zu geben, wie der Stärke des Euro oder den hohen Ölpreisen. Zugleich wird eine bessere Zukunft versprochen, auf der Basis allzu optimistischer Wachstumsprognosen, die ständig auf's Neue gesenkt werden müssen".
Auch die österreichische Zeitung KURIER blickt mit Sorge nach Deutschland: "Natürlich ist die Integration Ostdeutschlands schwierig, kostet Geld und braucht länger als Politiker versprochen haben. Das größte Land der EU, das ein Viertel der gesamten Wirtschaftsleistung der Union erwirtschaftet, steckt aber in einer viel tieferen Klemme. Denn das Land hat sich bisher als zu träge erwiesen, die in der Wirtschaft notwendige Beweglichkeit gibt es über weite Strecken nicht. Und da die Deutschen Angst um ihre Jobs haben, geben sie auch nichts aus, sondern sparen. Der Privatkonsum schrumpft, die Wachstumsrate liegt nur noch bei einem Prozent. Das ist nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa ein Problem. Denn ohne Deutschland wird auch die EU wirtschaftlich nicht abheben können."
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG attestiert den deutschen Politikern 'Nervosität und Ratlosigkeit': "Das Vertrauen, dass die rot-grüne Regierungskoalition das Problem der Arbeitslosigkeit lösen könnte, ist nach mehr als sechs Jahren Erfolglosigkeit erschüttert. Vor diesem Hintergrund schossen in den letzten Tagen aus allen politischen Lagern die verschiedensten Konzepte ins Kraut, mit denen die Arbeitslosigkeit bekämpft werden könnte. Den meisten Vorschlägen ist gemein, dass sie weder konzeptionell durchdacht noch politisch realisierbar sind. Die Einsicht, dass sich die Lage nur durch einen echten Strukturwandel verbessern lässt, hat sich noch nicht durchgesetzt."
Themenwechsel. Die Visa-Affäre kratzt am Image von Außenminister Fischer. Darüber macht sich auch die Tageszeitung LE FIGARO aus Paris ihre Gedanken: "Das muss ihm aber schwer gefallen sein! Aber er hat es getan. Bundesaußenminister Joschka Fischer, der nicht weit davon entfernt ist, an die eigene Unfehlbarkeit zu glauben, hat öffentlich Fehler eingestanden. Hintergrund dafür ist, dass der seit Wochen Deutschland bewegende Visa-Skandal mittlerweile einer Jagd gleicht. Wohl wissend, dass die Zukunft der Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder sehr von der Galionsfigur der Grünen abhängt, gibt sich die Opposition der Jagd nach Herzenslust hin. So liegt es auch auf der Hand, dass sie sich mit Fischers Erklärungen nicht zufrieden gibt."
Und EL PAIS aus Madrid ist der Ansicht: "Der Versuch der Berliner Regierung, den Schaden der Visa-Affäre zu begrenzen, ist gescheitert. Mit der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ist der 'Fall' von Bundesaußenminister Joschka Fischer zu einem wirksamen Instrument geworden, mit dem die Opposition dem -in der Bevölkerung beliebten- Politiker zusetzen kann. Fischer hatte die Wandlung der Grünen von einer Anti-System- Bewegung zur Regierungspartei angeführt. Er überstand auch die Angriffe der Rechten wegen seiner Vergangenheit und wurde zum wichtigsten Aktivposten der Koalition. Vom Ausgang der Visa-Affäre hängt nicht nur seine Zukunft und die der Grünen ab, sondern auch die von Bundeskanzler Gerhard Schröder."
Abschließend ein Blick in die SALZBURGER NACHRICHTEN, die sich ebenfalls mit der Visa-Affäre befassen: "Monatelang schien es, als hätte sich Fischer ausgerechnet den früheren Kanzler Helmut Kohl zum Vorbild genommen. Aussitzen war die Devise, er schwieg lange zu den Vorwürfen -zu lange. Erst als er erkannte, dass innerhalb der eigenen Partei und auch beim Koalitionspartner SPD Gedankenspiele über die 'Zeit danach' angestellt wurden, war Fischer bereit zu einem öffentlichen Eingeständnis der Schuld. Das mag seinen Anhängern genügen, dem hehren Anspruch, den Grüne an Politiker anderer Parteien zu stellen pflegen, aber nicht. Fischer versucht schon wieder, sich als unverzichtbar für die deutsche Politik hinzustellen. Der 'Weltaußenminister' beweist mit diesem Verhalten, dass für ihn 'politische Verantwortung' das ist, was sie für beinahe alle Politiker ist - eine hohle Phrase." |