SPIEGEL ONLINE 25. Januar 2011, 12:10 Uhr Pleiten bei der Handball-WM Heiner ausgebrannt Aus Jönköping berichtet Erik Eggers
Die Niederlage gegen Ungarn war ein weiteres dunkles WM-Kapitel für die deutschen Handballer. Das Halbfinale verspielt, die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2012 kaum noch zu schaffen. Bundestrainer Heiner Brand denkt bereits über seinen Abschied nach.
Heiner Brand sprach leise. Noch leiser als sonst. Und das, was der Handball-Bundestrainer nach der 25:27 (12:10)-Niederlage gegen Ungarn sagte, eher flüsterte, das machte wenig Hoffnung für das, was den deutschen Handball in den nächsten Jahren erwartet.
Er wolle seinen Spielern wegen der Einstellung keine Vorwürfe machen, sagte der 58-Jährige. "Sie haben sicherlich alles gewollt, das kann man ihnen nicht vorwerfen. Es wäre ja auch fahrlässig, wenn man nicht alles gibt, wenn es um die Qualifikation für die Olympischen Spiele geht."
Sein düsteres Fazit nach den 60 Minuten in der Kinnarps-Arena von Jönköping lautete: "Es reicht einfach nicht."
Nach dem Sieg gegen Island war noch von "Selbstheilungskräften" die Rede, von zurückgewonnener Stärke. Die deutschen Handballer erklärten, jetzt sei das nötige Selbstbewusstsein endlich wieder vorhanden. Das Desaster in der Vorrunde gegen Frankreich - verarbeitet, vergessen, verdrängt. Manch ein deutscher Handballer hatte sogar den Taschenrechner bemüht, um die Chancen für den Einzug ins Halbfinale zu ermitteln, so stark fühlte man sich. Sie haben sich etwas vorgemacht.
Die deutsche Expedition bei der WM in Schweden hat sich zu einem Horrortrip entwickelt. Zu einem Kapitel deutscher Handballgeschichte, von dem noch länger die Rede sein wird. Mit nun 2:6 Punkten in der Hauptrunde ist schließlich auch das Minimalziel, die Berechtigung zur Teilnahme an einem Qualifikationsturnier für die Olympischen Sommerspiele 2012 in London, nur noch mit Schützenhilfe möglich. Ein Sieg im letzten Hauptrundenspiel gegen Norwegen am Dienstag (16.15 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) vorausgesetzt, dürfen Island und Ungarn am Abend nicht punkten. Aber das könnte leicht passieren, weil deren Gegner Frankreich und Spanien bereits im Halbfinale stehen und daher im letzten Hauptrundenspiel Kräfte sparen dürften.
Die 60 Minuten gegen Ungarn standen stellvertretend für die bislang sechs deutschen Partien bei dieser WM und den Jojo-Handball, den Kapitän Pascal Hens und Co. bislang abgeliefert hatten. Einen spektakulär schlechten Beginn reparierte das Team nach einer Auszeit, als es einen 1:4-Rückstand in eine 7:4-Führung drehte. Die 6:0-Abwehr funktionierte, insbesondere Torwart Johannes Bitter präsentierte sich erneut in Topform und parierte Tempogegenstöße und Strafwürfe.
Insgesamt 38 Fehlversuche des deutschen Angriffs
Doch all diese Defensivkunst half nicht, weil der deutsche Angriff erneut versagte. Mittelmann Michael Kraus unterstrich, dass er überfordert ist, wenn es darum geht, den Rückraum, das Zentrum des modernen Handballspiels, zu strukturieren. Hens nahm sich im linken Rückraum überhastete Würfe und blieb bei sechs Versuchen torlos. Insgesamt leistete sich die DHB-Auswahl absurde 38 Fehlwürfe. "Es lief nichts zusammen. Mit solch einer Fehlerquote können wir nicht erwarten, dass wir bei einer WM ein Spiel gewinnen", sagte Hens später.
Die Außenspieler bekamen so kaum Chancen, auch die Kreisläufer hingen in der Luft. So blieb der deutschen Offensive am Ende nur tumber Krafthandball. Lars Kaufmann fasste wenigstens den Mut, hin und wieder aufs Tor zu werfen. Aber seine brachialen Geschosse parierte der ungarische Torwart Nandor Fazekas irgendwann mit einem Lächeln im Gesicht. Die deutsche Offensive war schlichtweg ein Torso. "Ich verstehe es einfach nicht", klagte Bitter, nachdem das Drama seinen Lauf genommen hatte.
Brand hingegen wirkte noch relativ gefasst, obwohl ihm die Konsequenzen dieser Niederlage bewusst sind. Auch er war sich nicht sicher, was für diesen neuerlichen Kollaps verantwortlich war. Reine Nervenschwäche war es nicht, glaubt der Bundestrainer. "Vielleicht lag es daran, dass wir gegen Tunesien und Island zu hohes Tempo gegangen sind und ein wenig die Substanz gefehlt hat", sagte er.
Aber natürlich waren auch die individuellen Defizite offenkundig. "Einmal hat Kraus sich durchgesetzt und getroffen, das ist einfach zu wenig." Brand dozierte, dass der Vorteil des deutschen Konzepthandballs, mit dem man die Konkurrenz noch vor fünf, sechs Jahren bezwungen hat, heute keiner mehr ist. Die Gegner haben aufgeholt, sind taktisch besser geworden.
In den vergangenen Tagen, als Kritik laut geworden war, hatte Brand angedeutet, dass er schon länger über ein vorzeitiges Ende seiner Amtszeit nachgedacht hat. Er halte es für nicht angebracht, noch einmal eine Nationalmannschaft aufzubauen. Wie zum Beginn seiner Amtszeit 1997, als das DHB-Team zuvor in den WM-Playoffs gescheitert war. Der Vertrag des Bundestrainers mit dem DHB läuft noch bis 2013. Derzeit scheint aber ein früheres Ende der Ära Brand in Sicht.
URL: http://www.spiegel.de/sport/sonst/0,1518,741399,00.html |