Lust am Beleidigtsein
Radikale Muslime dürsten nach Beleidigung aus dem Westen. Das Papstzitat vom gewalttätigen Islam liefert ihnen willkommenen Treibstoff.
In diesen aufgerauten Tagen sind Beleidigungen schneller in der Welt, als man denkt. Da hält der Papst eine Rede, von der gewiss nicht jeder sagen kann, er habe sie verstanden. Und schon stehen in muslimischen Ländern Leute auf, die sie partout missverstehen wollen, und erregen sich, der Papst habe den »Islam als Religion der Gewalt« denunziert. Wenig später brennen in Palästina christliche Kirchen, wird in Somalia eine Nonne erschossen. Wer denunziert hier wen?
Ein halbes Jahr nach dem Karikaturenstreit gibt der neue Proteststurm zu denken. Nun ist es nicht die gezielte Provokation einer dänischen Zeitung, sondern ein Zitat eines mittelalterlichen Kaisers aus päpstlichem Munde, welches radikalisierte Muslime auf die Straßen treibt. Ein globales Bündnis der chronisch Beleidigten ist entstanden, die nach He-rab-set-zung geradezu dürsten. Aber die Lust am Beileidigtsein kennt Nuancen. Sie kommt zunächst einmal als Erinnerung daher. Sie dient zur Massenmobilisierung. Und sie ist ein formidables politisches Vehikel. Diesmal ist einiges anders als im Karikaturenstreit.
Beleidigung als Erinnerung.
Die Papstrede hallt nach in einer Weltkrise allseitigen Missverstehens, in der sich nicht nur Christen durch Islamisten und Terroristen, sondern in der sich auch Muslime durch westliche Politiker und den Westen insgesamt bedroht fühlen. George Bush gilt vielen in Nahmittelost als personifizierter Angriff auf Kultur und Völker der Region. Und Europa? Verärgert neuerdings die nicht säkularisierten muslimischen Gesellschaften durch »Attacken« auf den Islam.
Sagt also im Westen der falsche Mann das falsche Wort, läuft bei vielen Muslimen eine Bilderfolge der Demütigungen im Zeitraffer ab: die Kreuzzüge, Napoleons Expedition nach Ägypten, die britisch-französische Aufteilung des Nahen Ostens, die Gründung Israels, die Niederlagen gegen selbiges, die amerikanische Besetzung des Iraks, der israelische Luftkrieg gegen den Libanon, die neuerdings bei manchen so beliebte Gleichsetzung von Islam und Faschismus. Auf diesem Boden säen die Radikalen.
Beleidigung als Mobilisierung.
Für die Terrorbewegung al-Qaida hatte bislang US-Präsident Bush als Universalschurke und Kreuzzügler par excellence gedient. Al-Qaidas Propagandisten litten darunter, dass als Feindbild für ihre mit Koffern und Rucksäcken bewaffneten Anhänger in Europa ein ähnlich furchterregender Mann bisher nicht zu finden war. Versuchsweise wird nun der Papst eingeführt. Aus den Höhlen in Wasiristan, Irakisch-Kurdistan und dem Zentralirak drohen al-Qaida und Konsorten mit Anschlägen in Rom. So weit die Kombattanten. In Teheran hat der Revolutionsführer Chamenei zwar nicht mit Gewalt gedroht, wohl aber die Seelen aufgewiegelt: In Benedikts Rede erkennt er »das letzte Glied eines Komplotts für einen Kreuzzug«. Die Muslimbrüder in Ägypten, Muhammadija in Indonesien, die Islamische Aktionsfront in Jordanien: Islamisten aller Couleur rufen auf zu Protesten gegen den Papst – und zu Lobpreisungen der Islamisten. Der Einfluss-Scheich Jussuf al-Qaradawi hat die Papstrede als Beleidigung bezeichnet, Benedikts nachgelieferte Worte des Bedauerns als »neue Beleidigung« – bevor er zu einem »friedvollen Tag des Zorns« an diesem Freitag aufrief.
Beleidigung als politisches Kalkül:
In der Türkei kommt der Zitatenzwist nicht zur Unzeit. Nach vielfältiger Kritik aus Europa an den schleppenden türkischen Reformen und kurz vor dem erwartbar unangenehmen EU-Beitrittsbericht kann die Regierung in Ankara zeigen, wie wichtig sie für Europa tatsächlich ist. Erregt sich der Chef der türkischen Religionsbehörde Ali Bardakoglu wie in den ersten Tagen nach der Rede, hat nicht nur der Vatikan, sondern ganz Europa mit seinen vielen Muslimen ein Problem. Versucht die türkische Regierung die Wogen zu glätten, erntet sie stillen Dank aus Europa.
Völlig unerwarteter Schutz für Benedikt XVI. kommt aus Iran. Präsident Ahmadineschad lobt die bedauernde Klarstellung des Papstes. Er »respektiert den Papst und all jene, die für Frieden und Gerechtigkeit« eintreten. Was in Ahmadineschad gefahren ist? Nun, er war gerade auf dem Weg nach New York zur UN-Vollversammlung, wo er am Dienstag als »Stimme der Vernunft« gegen die USA für »Frieden in der Welt« warb.
So nützt der Zwist vielen in der Welt – außer Europa und seinen aufgewiegelten Gesellschaften. Und doch ist der Unterschied zur Karikaturenkrise dänischer Machart erheblich. Dort hatten Journalisten ihre folgenlos veröffentlichten Karikaturen so lange an islamistische Organisationen verschickt, bis sie endlich an die Falschen gerieten. Dort hatte Premier Rasmussen muslimischen Delegationen die Bitte um ein Gespräch monatelang abgeschlagen. Die Folgen sind bekannt.
Anders Benedikt XVI.: Er hat die Sprengwirkung des Zitats zu spät, aber immerhin nach nur zwei Tagen erkannt und dann in Castelgandolfo sein Bedauern über das Missverständnis verkündet. Er ließ das aufscheinen, was den dänischen Redakteuren und Rasmussen fremd war: Respekt vor dem Anderen. Benedikt hat dadurch viele moderate Muslime besänftigt und den Radikalen Manövrierraum genommen. Dass dennoch viele mit der Empörung ihr politisches Spiel treiben, wird niemand verhindern. Den Mund kann sich deshalb kein Europäer verbieten lassen.
ZEIT online, 19.9.2006 04/2006
MfG kiiwii |