18. Juli 2005 Der Bundesgerichtshof (BGH) hat 42 Urteile aufgehoben, mit denen das Oberlandesgericht München vor drei Jahren Klagen von Kleinaktionären gegen das Medienunternehmen EM.TV abgewiesen hatte. Der Karlsruher Richterspruch findet sich seit Montag auf den Internetseiten des BGH.
Allein die 55 Kläger, die an diesem Verfahren ursprünglich beteiligt waren, haben Ansprüche von rund 800.000 Euro geltend gemacht. Nach den Feststellungen der Gerichte haben die damaligen Vorstände Thomas und Florian Haffa den Kurs der Aktie mit bewußt falschen Ad-hoc-Mitteilungen in die Höhe getrieben.
Lediglich die Aktien zurückgeben
Die Brüder sind deshalb auch bereits rechtskräftig zu einer Millionenstrafe verurteilt worden; eine Verfassungsbeschwerde dagegen ist allerdings noch anhängig. Die unteren Instanzen der Ziviljustiz waren jedoch der Meinung, daß die Anleger keinen konkreten Schaden durch diese Manipulationen hätten belegen können.
Das sahen die Bundesrichter nun anders. Die Kleinaktionäre müssen demnach nicht beweisen, wie hoch der Börsenpreis damals ohne die unzutreffenden Veröffentlichungen gelegen hätte (Differenzschaden). Vielmehr können sie verlangen, daß ihnen sogar der volle Kaufpreis zurückerstattet wird (Naturalrestitution). Im Gegenzug müssen sie lediglich ihre Aktien zurückgeben oder sich - falls sie diese zwischenzeitlich abgestoßen haben - den Veräußerungspreis auf ihren Schadensersatzanspruch anrechnen lassen.
Vollen Geldersatz verlangen
Der BGH wirft dem Oberlandesgericht ein „offenbar unzutreffendes Verständnis des Schadensbegriffs” im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) vor. Dabei stützt er sich gleich auf zwei Vorschriften im BGB - die „vorsätzliche sittenwidrige Schädigung” (Paragraph 826) und den „Verstoß gegen ein Schutzgesetz” (Paragraph 823, Absatz 2), nämlich den Straftatbestand der „Unrichtigen Darstellung” (Paragraph 400 Aktiengesetz).
Deshalb seien die EM.TV-Aktionäre so zu stellen, wie sie ohne den Kauf der Wertpapiere finanziell dastehen würden, schreiben die Richter unter Verweis auf ihre - wie sie selbst es nennen - „Grundsatzentscheidungen” im Fall der Schwindelfirma Infomatec. Anleger, die ihre Aktien ohne die falschen Verlautbarungen nicht erworben hätten, könnten somit vollen Geldersatz verlangen.
„Hypothetischen Transaktionspreis” ermitteln
Das Oberlandesgericht muß nun in jedem Einzelfall prüfen, ob die Aktionäre wirklich aufgrund der damaligen Börsenmeldungen in diesen Titel investiert hatten. Denn bei den Anlageentscheidungen der zahlreichen Kläger habe es sich um „individuell geprägte Willensentschlüsse” gehandelt. Bemerkenswert ist ein weiterer Tadel am Oberlandesgericht: Es sei deshalb wenig zweckmäßig gewesen, die Fälle zu einem einzigen Prozeß zu verbinden. Denn sie eigneten sich grundsätzlich nicht für eine „pauschalierende Behandlung”. Dies dürfte Hoffnungen auf Arbeitserleichterungen für die Justiz bei dem anhängigen Telekom-Massenprozeß durch das neue Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) dämpfen.
Auch sonst geben die Richter einige bemerkenswerte Hinweise. Neben den damaligen Managern hafte auch das Unternehmen „gesamtschuldnerisch” für deren Fehlverhalten mit, schreiben sie. Der Schadensersatz werde zudem nicht durch das Verbot, Aktionären ihre Einlage zurückzugewähren, begrenzt. Und schließlich halten sie es durchaus für möglich, daß Zivilrichter in anderen Fällen die Schadenssumme schätzen. Gutachter könnten schließlich mit den Mitteln der modernen Finanzwissenschaft einen „hypothetischen Transaktionspreis” ermitteln.
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