SUCHT
Kick aus der Wasserpfeife (2)
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Jeder Zehnte der 18- bis 24-Jährigen, die Cannabis probieren, wird davon abhängig oder betreibt zumindest "schädlichen Gebrauch", wie es die Mediziner nennen: Der Konsum nimmt zwanghaften Charakter an, das vermeintlich harmlose Kraut lässt seine Opfer nicht mehr los. Wie bei den Konsumenten harter Drogen wird der ganze Tagesablauf durch den Erwerb und Konsum bestimmt.
"In schweren Fällen endet das fast wie beim Heroin", erklärt Küstner. Die "Schwerstabhängigen" sind nur noch fixiert auf die Droge. Sie werden wie Junkies kriminell, um sich neuen Stoff besorgen zu können. In manchen Fällen sehen die Drogenberater bei ihrer Cannabis-Klientel bereits das ganze Spektrum der Beschaffungskriminalität - "nur Prostitution", so der UKE-Experte, "haben wir noch nicht erlebt." In der Altersgruppe der 18- bis 20-Jährigen wird derzeit fast keine andere Erkrankung so häufig diagnostiziert wie Cannabis-Missbrauch oder -Abhängigkeit.
DPA Rauschgiftfahnder, sichergestellte Drogen: Der Stoff ist vielfach potenter geworden Viele Opfer treibt die Droge in die Verelendung. "Es gibt Jugendliche, bei denen nichts mehr funktioniert außer Haschrauchen", berichtet Karin Wied, Drogenärztin an der Fachklinik Bokholt bei Hamburg. Ihr soziales Netzwerk ist zerstört, sie leben abgeschottet in vermüllten Wohnungen und können sich zu nichts mehr aufraffen. Der einzige menschliche Kontakt, der ihnen bleibt, ist der mit dem Dealer. "Ich bin zwei Jahre nur noch mit dem Hund vor die Tür gegangen", erinnert sich der 23-jährige Jurastudent Claus.
In der ambulanten oder stationären Entgiftung leiden die Gewohnheitskiffer unter starken Entzugserscheinungen wie Schweißausbrüchen, Depressionen, Schlaflosigkeit oder Angstzuständen. Nur ein Drittel, so die Erfahrung in Bokholt, hält die Entgiftung durch. Manche brechen schon am zweiten Tag ab. Nur jeder Zwanzigste bleibt auch nach dem dreiwöchigen stationären Entzug rückfallfrei.
Bei regelmäßigen Kiffern leiden die kognitiven Funktionen oft schon nach kurzer Zeit. Sie können sich nicht mehr konzentrieren, haben Wortfindungsstörungen und werden vergesslich wie 80-Jährige. Auch die Bewegungskoordination schwindet: "Manche haben Angst, Treppen zu steigen, weil sie die Stufen nicht mehr treffen", berichtet Dieter Adamski, Suchtexperte bei der Hamburger "Therapiehilfe".
Besonders anfällig für den Stoff ist nach Erkenntnissen der UKE-Suchtforscher das "Lerngedächtnis", das die Reproduktion von Wissensstoff im Minutenbereich ermöglicht. Die Ausfälle im Kopf offenbaren sich typischerweise bei Telefonnummern-Tests: Die Kiffer können sich die Zahlenfolgen fünf, sechs oder sieben Minuten lang merken, dann sind sie oft spurlos verschwunden, als würden sie aus dem Gehirn förmlich herausfallen.
IN SPIEGEL ONLINE · Australische Studie: Macht Dope depressiv? [€] (19.02.2002) · Drogen: Kiffer fahren vorsichtiger als Trinker [€] (23.03.2002) · Therapie: Cannabis-Spray lindert Schmerzen [€] (04.09.2001)
Fatal wirken sich die Denk- und Gedächtnisstörungen in der Schule aus. Unter ihren Klienten treffen die Drogenberater häufig auf Cannabis-Opfer, die erst im Gymnasium scheitern und schließlich kaum noch den Hauptschulabschluss schaffen. "Leistungseinbußen begegnet man bei fast allen Kiffern", weiß Wiedenmann.
Schon ein durchgerauchtes Wochenende macht sich am Montag im Unterricht bemerkbar. Denn durch die lange Halbwertszeit des THC kommt es zur Wirkstoffakkumulation im Körper. "Die kognitiven Beeinträchtigungen halten deutlich länger vor, als viele meinen", konstatiert die UKE-Expertin.
Dass Cannabis in der Entwicklungsphase sogar zu bleibenden Schäden führen kann, haben Forscher der Uni Göttingen 1998 erstmals festgestellt. Zwischen dem 12. und 15. Lebensjahr durchläuft das visuelle System im Gehirn einen wichtigen Reifungsprozess. Wer in dieser Lebensphase mit dem Kiffen beginnt, muss damit rechnen, dass er die Folgen lebenslang spürt - die visuelle Informationsverarbeitung bleibt herabgesetzt. "Das in der Reifung befindliche Gehirn ist für die zytotoxischen Effekte des Cannabinols besonders empfindlich", kommentiert Thomasius.
Forscher aus Australien und den USA kamen jüngst zu ähnlichen Ergebnissen. Ihr Fazit: Je länger und massiver der Cannabis-Konsum, desto größer die Gefahr, lebenslang eine Matschbirne davonzutragen. Durch die Schäden im Gehirn können "die akademische Ausbildung, die berufliche Qualifikation, die Beziehung zu anderen Menschen und das Funktionieren im Alltag" in Mitleidenschaft gezogen werden.
Viele der jugendlichen Cannabis-Konsumenten werden nach Beobachtungen der Drogenexperten in ihrer Entwicklung um Jahre zurückgeworfen. Sie hängen in einem Alter am "Dope", in dem sie sich ausprobieren, Gefühle testen und Konfliktverhalten erlernen müssten.
DDP Grünen-Chefin Roth: Sorge über falsche Botschaften Kiffer hingegen erhalten nie das Gefühl, Durststrecken überstehen und Ziele mit eigener Energie erreichen zu können. Sie bauen keine eigene Identität auf und lösen sich emotional nicht richtig von den Eltern. "Wer alle Probleme nur wegraucht", sagt Harries-Hedder, "weiß am Ende nicht, was er sich zutrauen kann."
Jedes fünfte Cannabis-Opfer, das an der UKE-Drogenambulanz Hilfe sucht, leidet unter solchen Entwicklungsstörungen. Bei vielen verraten Physiognomie und Verhalten den Rückstand - 26-Jährige, die seit Jahren auf "Dope" oder "Gras" waren, wirken nicht selten wie 16. "Sie erscheinen reifungsverzögert", sagt Thomasius, "man sieht ihnen die Entwicklungsdefizite an."
Noch kann niemand sagen, ob regelmäßiger Cannabis-Konsum auch psychische Leiden wie Depressionen, Angststörungen, Panikattacken oder Schizophrenie verursacht. "Es ist einfach noch nicht erforscht, wir wissen zu wenig darüber", sagt Andreas Heinz, Psychiatrie- und Psychotherapiechef an der Berliner Charité. Sicher scheint indessen, dass schon vorab bestehende Probleme durch die Droge verschärft werden.
Schon wenige Jahre nach dem Beginn des Konsums, so berichten viele Drogenexperten, können Gewohnheitskiffer in psychosenahe Zustände geraten - sie werden aggressiv, greifen ihre Eltern an, können nicht mehr zwischen Realität und Phantasiewelt unterscheiden. "Vor allem bei jugendlichen THC-Konsumenten beobachten wir, dass Psychosen, Persönlichkeitsstörungen und dissoziales Verhalten zunehmen", konstatiert Wolfgang Weidig, Sozialpädagoge und Klinikleiter in Bokholt.
Wer mit 25 in die Sucht einsteige, so der Experte, habe zumindest noch "eine Chance, sein Leben mit Cannabis sozialverträglich zu gestalten". Die ganz Jungen hätten diese Möglichkeit kaum. Weidig: "Sie bleiben auf der Strecke."
Drogenexperten wie Thomasius sehen die Legalisierungsbemühungen für die "weiche" Droge deshalb "mit allergrößter Sorge": "Da wird mit falschen Botschaften Harmlosigkeit suggeriert", warnt er. Wer "Hanf für alle" fordere, der kenne nicht "den neuesten Stand der Forschung und nicht die dramatischen epidemiologischen Daten der vergangenen zwei bis drei Jahre".
Der 16-jährige Markus denkt nach zweieinhalb Jahren Abhängigkeit und einem schmerzhaften Entzug das gleiche, er sagt es nur anders: "Ich glaube, beim Kiffen wird unheimlich viel schöngeredet."
GÜNTHER STOCKINGER
Quelle: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,209176-2,00.html |