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Unser Freund, das Atom
Noch brauchen wir die Kernkraft, denn Klimaschutz brauchen wir sofort: Erneuerbare Energien sind die Option für 2050 / Von Konrad Kleinknecht
Die Klimadebatte hat sich zum Streit um die umweltfreundlichste Energiegewin- nung entwickelt. Der Autor ist Physiker und plädiert als Klimabeauftragter der Deutschen Physikalischen Gesellschaft für die Kernkraft als Zwischenlösung - und antwortet auf die Thesen unserer Feuilleton-Sonderseiten.
Der Klimawandel ist Realität. Hauptverursacher ist das Treibhausgas Kohlendioxid, das bei der Verbrennung von Kohle, Öl oder Erdgas entsteht. Jährlich entweichen weltweit 28 Milliarden Tonnen in die Atmosphäre, die so zum Endlager wird. Deshalb wird der Versuch gemacht, das Kohlendioxid abzuscheiden und in ein unterirdisches Endlager zu bringen.
Das Gas soll im Kraftwerk durch eine chemische Reaktion aus dem Rauchgas entfernt, komprimiert und unterirdisch oder im Meer endgelagert werden. Mehrere Verfahren dieser "Sequestrierung" des Kohlendioxids wurden in kleinem Maßstab erprobt, chemische Verfahren der Abscheidung beispielsweise, die aber wie alle anderen Methoden den Nachteil hat, dass sie selbst schon wegen des Transports sehr viel elektrische Energie benötigt. Der effektive Wirkungsgrad des Kraftwerks sinkt von 43 Prozent auf 29 Prozent. Um die gleiche elektrische Energie zu erzeugen, muss eine um mehr als 30 Prozent größere Menge an fossilen Brennstoffen eingesetzt werden, und die entsprechend vermehrten Rückstände an Kohlendioxid müssen sicher und dauerhaft in der Erde "endgelagert" werden.
Über die Endlagerung im Meer gibt es eine kontroverse Diskussion, da sich auf die Dauer das auf dem Meeresgrund bei bis zu vierhundert Bar Druck und vier Grad Celsius gelagerte flüssige Kohlendioxid im Wasser auflösen und den Säuregrad des Meeres dauerhaft erhöhen würde. Aussichtsreicher scheint es, die riesigen Mengen an Kohlendioxid unter fünfzigfachem Atmosphärendruck in frühere Lagerstätten ausgebeuteter Öl- oder Gasvorkommen einzupressen. Auch in sogenannten Salzwasser-Aquiferen sucht man nach möglichen Kohlendioxid-Endlagern. Bei einer Probebohrung in Brandenburg sollen siebzigtausend Tonnen Kohlendioxid in eine siebenhundert Meter tiefe Schicht eingepresst werden. Für den späteren Jahresbedarf wären fünftausend solcher Lagerstätten nötig.
Würde man nur noch solche modernen Kohlekraftwerke verwenden, müssen pro Tag eine Million Tonnen Kohlendioxid zu den Lagerstätten transportiert werden, das erfordert dreihundert Güterzüge pro Tag oder den Neubau vieler Pipelines - aber wohin? Die Entwicklung der Sequestrier-Techniken, an der manche Kraftwerksunternehmen arbeiten, wird noch zehn bis zwanzig Jahre dauern. Im Rheinland oder in Westfalen ist bis 2014 eine Versuchsanlage geplant. In der Nähe von Cottbus baut Vattenfall beim Kraftwerk Schwarze Pumpe bis 2008 eine kleine Testanlage mit drei Prozent der Leistung eines normalen Braunkohlekraftwerks. Der Wirkungsgrad soll bei 34 Prozent liegen, weit unterhalb des üblicherweise Erreichbaren.
Wenn die Technik überhaupt für große Kraftwerke eingesetzt wird, dann dürfte sie nach heutiger Kenntnis erst vom Jahr 2020 an eine Rolle spielen. Sie ist jedoch keinesfalls ohne Risiken, denn es ist unklar, ob die Milliarden Tonnen des endgelagerten Kohlendioxids nicht doch mit der Zeit in die Atmosphäre gelangen.
Ein "kohlendioxidfreies Kohlekraftwerk" gibt es jedenfalls zurzeit nur in der Werbung der Stromkonzerne. Die Kernkraftwerke und mögliche Fusionsreaktoren dagegen entlassen kein Kohlendioxid in die Atmosphäre. Sie beruhen nicht auf der chemischen Verbrennung von Kohlenstoff, sondern auf der Umwandlung von Masse in Energie.
Die siebzehn deutschen Kernkraftwerke erzeugen eine Dauerleistung von zusammen 20 300 Megawatt. Im Jahr 2005 lieferten sie 167 Milliarden Kilowattstunden und damit 26,3 Prozent der elektrischen Energie, vor der Braunkohle mit 25 Prozent. Hätte man statt der Kernkraftwerke damals ebenso leistungsfähige Kohlekraftwerke gebaut, so wären die Kohlendioxid-Emissionen heute um 160 Millionen Tonnen pro Jahr höher.
Die Versorgung mit Uran ist für lange Zeit gesichert. Die zu einem Preis von 130 Dollar pro Kilogramm Uran abbaubaren Vorräte belaufen sich auf 3,2 Millionen Tonnen. Im Jahr 2004 wurden 40 700 Tonnen abgebaut. Hinzu kommen Vorräte aus militärischer Lagerhaltung. Die zeitliche Reichweite bei konstantem Verbrauch beträgt also 78 Jahre. Steigt der Verbrauch um ein Prozent pro Jahr, dann fällt sie auf 58 Jahre. Wegen der Renaissance der Kernkraft in der Welt mit dem derzeitigen Neubau von dreißig Kraftwerken haben sich die Uranpreise vor zwei Jahren um fünfzig Prozent erhöht. Die Minengesellschaften können durch die höheren Einnahmen weitere noch unerschlossene Vorräte wirtschaftlich abbauen, neue Lagerstätten suchen und Minen reaktivieren. Die zeitliche Reichweite erhöht sich wieder. Auf den Strompreis aus Kernkraftwerken hat eine Preissteigerung des "Brennmaterials" wenig Einfluss, da es weniger als fünf Prozent zu den Kosten beiträgt. Ein Einstieg in die Brütertechnologie ist daher nicht nötig. Niemand schlägt das vor.
Wenn man heute die Kernkraftwerke durch Kohlekraftwerke mit den besten Wirkungsgraden ersetzen würde, dürften die jährlichen Kohlendioxid-Emissionen um 120 Millionen Tonnen ansteigen. Das wären fünfzehn Prozent mehr als heute. Die gesamte in fünfzehn Jahren erreichte Reduzierung würde so zunichte gemacht. Im Augenblick befinden sich zwölf Erdgaskraftwerke mit einer Leistung von 9200 Megawatt und vierzehn Kohlekraftwerke mit insgesamt 14 800 Megawatt in Planung. Diese Option führt zu einer eklatanten Verletzung der Ziele des nationalen Klimaschutzes und des Kyoto-Vertrages.
Die Lücke von dreißig Prozent, die durch die Abschaltung der Kernkraftwerke bis 2020 entstünde, könnte auch nicht durch regenerative Energien oder Einsparung ersetzt werden. Das geht aus dem bisherigen Ausbau dieser Kraftwerksanlagen mit Wind- und Sonnenenergie sowie Biomasse hervor. In dem Zeitraum von 1990 bis 2005 wurden durch den Zubau von solchen Anlagen etwa sechs Prozent der Stromerzeugung neu hinzugewonnen. In den nächsten dreizehn Jahren wird es sicher nicht möglich sein, für die fünffache Menge dieser Anlagen geeignete Standorte zu finden, sie zu finanzieren und aufzubauen. Es würde sich etwa um 100 000 Windräder handeln, die dann allerdings nicht die Grundlast unserer Stromversorgung tragen könnten.
Außerdem gibt es nicht genügend windreiche Standorte im Binnenland. Denkbar ist es, die Zahl der Windkraftanlagen bis zum Jahr 2020 auf 40 000 zu erhöhen, wobei die zusätzlichen 20 000 Anlagen mit der noch zu entwickelnden "Offshore"-Technik auf See vor der Nordseeküste gebaut werden müssten. Für diese technische Entwicklung und den Aufbau der Infrastruktur mit Leitungen und Seekabeln wird Zeit benötigt. Daher gibt es auch aus dem Lager der Hersteller der Windkraftanlagen die Forderung, die Kernkraftwerke noch mindestens zehn Jahre länger laufen zu lassen, damit die "Offshore"-Technik ausreifen kann.
Für die nächsten fünfzig Jahre, die für die Klimaentwicklung entscheidend sind, können wir ebenso wie Frankreich, die Schweiz, Großbritannien, Russland, China, Indien und die Vereinigten Staaten auf Kernenergie nicht verzichten, ohne das Klima unumkehrbar zu schädigen. Auf erneuerbare Energien als führende Energiequelle oder die Wasserstofffusion richten sich unsere Hoffnungen für die Zeit nach 2050.
Text: F.A.Z., 06.03.2007, Nr. 55 / Seite 33
MfG kiiwii
It is not desirable to cultivate a respect for the law, so much as for the right. (Henry David Thoreau)
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