Es gibt bekanntlich eine Kulturgeschichte, die mit einer Pandemie einsetzt - noch fehlt ein Gegenstück, das mit einer solchen endet. Betrachte dies als Aufforderung und folgenden Auszug als Aufmunterung:
Den Anfang macht also meistens irgendein Trauma, ein Choc: zum Beispiel die Dorische Wanderung, die Völkerwanderung, die Französische Revolution, der Dreißigjährige Krieg, der Weltkrieg. Diesem folgt dann eine traumatische Neurose, die der eigentliche Brutherd des Neuen ist: durch sie wird alles umgeworfen, "zerrüttet", in einen labilen, anarchischen, chaotischen Zustand gebracht, die Vorstellungsmassen geraten in Fluß, werden sozusagen mobilisiert. Erst später bildet sich das, was die sychiater den "psychomotorischen Überbau" nennen: jenes System von zerebralen Regulierungen, Hemmungen, Sicherungen, das einen "normalen" Ablauf der seelischen Funktionen garantiert: in diese Gruppe von Zeitaltern gehören alle "Klassizismen". Auf Grund dieses Schemas wagen wir nun die Behauptung aufzustellen: das Konzeptionsjahr des Menschen der Neuzeit war das Jahr 1348, das Jahr der "schwarzen Pest".
[Egon Friedell - Kulturgeschichte der Neuzeit. Die Krisis der europäischen Seele von der Schwarzen Pest bis zum Ersten Weltkrieg. S. 63] |