12.11.2008 19:45 Blind kaufen? Jochen Steffens Der Markt ist hochnervös. Das konnte man in den letzten Tagen beobachten. Am Montag stieg der Dax zunächst stark an, am Dienstag brach er gleich wieder um über 5 % ein, heute startete er positiv und lief über 2 % ins Plus, nur um dann im weiteren Verlauf doch wieder um über 1, 6 % ins Minus zu rutschen. Es scheint fast so, als klebten die Anleger an ihren Monitoren und reagierten übernervös auf jedes Signal: Rein / Raus ohne Sinn und Verstand. Aber die mögliche SKS im Dax ist immer noch im Spiel. Im Nasdaq100 könnte sich ein Doppelboden ausbilden, das würde passen. Der Wahrsager Versetzen Sie sich einmal zurück in den Sommer des Jahres 2007. Vier Jahre Rally liegen hinter Ihnen, die Kurse sind mittlerweile so hoch, dass Sie kaum noch Einstiegskurse finden. Sie sitzen bei einem Wahrsager und fragen ihn, wie es um die Börse Ende des Jahres 2008 bestellt sei. Er schaut in die Kristallkugel und sagt, dass Ende Oktober 2008 der S&P500 bei 850 Punkten (die Tiefs 2002/2003 lagen um die 800 Punkte herum) stehen werde. Der Dax werde zu diesem Zeitpunkt auf 4.000 Punkte zurückgefallen sein. Die Leitzinsen in den USA seien auf 1 % gesunken und der Ölpreis notiere bei unter 60 Dollar. Wie hätten Sie reagiert? Mal ganz abgesehen davon, dass Sie aufgesprungen wären, um den Wahrsager als Quacksalber zu beschimpfen und ihm dabei schlussendlich vorgeworfen hätten, dass seine Kristallkugel sich noch im Jahr 2003 befände. Lassen wird das einmal außen vor. Versuchen Sie alle die Ereignisse und das Wissen der letzten Wochen und Monate zu vergessen. Was wäre Ihnen durch den Kopf gegangen? Was hätten Sie im Jahr 2007 gedacht, was sie 2008 in so einer Situation tun würden? Gerade wer den Crash 2000-2003 mitgemacht hat, hätte auf dieses Szenario eigentlich nur eine Antwort gehabt: Blind kaufen, alles was da ist! Es war doch sonnenklar Ich weiß, es ist schwer, sich mit dem heutigen Wissen die Situation 2007 vorzustellen. Aber ich kann mich an viele Gespräche in den Jahren nach 2003 erinnern, in denen sogar institutionelle Anleger kopfschüttelnd sagten: „Weißt Du, was ich nicht verstehe? Warum habe ich damals im Tief 2002-2003 nicht einfach gekauft. Es war doch so sonnenklar. Die US-Zinsen in den USA auf historischen Tiefstand und gute Substanzaktien runtergeprügelt, als gäbe es kein Morgen mehr. Es wäre doch egal gewesen, wo man einsteigt – aber man hätte kaufen müssen, was das Zeug hält.“ Und dann kam immer wieder der entscheidenden Satz: „Schade, dass so eine Chance so bald nicht wieder kommt!“ Die neue Chance, und??? Und jetzt? Jetzt haben wir eine sehr ähnliche Situation wie 2003 und was passiert? Die gleichen Menschen, die Mitte 2007 noch so argumentiert hätten, sitzen wie paralysiert vor ihren Monitoren und kaufen eben nicht. Warum? Weil die Situation eben doch eine ganz andere ist, so die Antwort. Ich weiß nicht, ob die Situation eine andere ist als 2002. Ich weiß nicht, wie sich die Börsen in den nächsten Jahren verhalten werden. Ich kann Prognosen erstellen - sicher, aber diese arbeiten nur mit Wahrscheinlichkeiten. Doch darum geht es auch nicht. Mir geht es auch nicht darum, Sie davon zu überzeugen, jetzt Ihr ganzes Vermögen zu investieren. Das würde ja selbst ich aktuell nicht tun! Das Spiel der Börse mit unseren Emotionen Ich finde es lediglich faszinierend, wie die Börse mit uns spielt. Würde man ihr eine Persönlichkeit einhauchen, könnte man fast versucht sein zu glauben, sie mache sich über uns lustig. Die aktuelle Situation ist sehr ähnlich wie die im Jahr 2003. Und all diejenigen, die Stein und Bein geschworen haben, sich so eine Gelegenheit beim nächsten Mal nicht mehr entgehen zu lassen, tun was? Nichts! Und falls es tatsächlich irgendwann wieder zu einer Rally kommt, werden eben diese Anleger am lautesten fluchen: Es war doch so sonnenklar! Schade, dass so eine Chance so bald nicht wieder kommt! Vom Mainstream lossagen? Soll man also tatsächlich, wie Kostolany es empfohlen hat, keine Nachrichten mehr hören, damit man nicht mehr von den Mainstreamgefühlen, den panischen Analysten, den Horrornachrichten aus der Wirtschaft eingelullt wird? Was ist aber, wenn diese aktuelle Krise tatsächlich eine langanhaltende, tiefe weltwirtschaftliche Depression auslöst? Vielleicht war es nur Zufall, dass es nicht bereits 2003 zu dieser großen Depression gekommen ist. Damals gab es den US-Immobilienmarkt, der auf die niedrigen Leitzinsen reagierte und dessen Boom die US-Wirtschaft und damit die Weltwirtschaft rettete. Wird es auch 2009 etwas Vergleichbares geben? Barack Obama vielleicht? Eine neue Technologie? Oder etwas, womit noch keiner rechnet ? Es ist immer einfach, im Nachhinein zu sagen, hätte ich doch, oder hätte ich doch nicht. In den jeweiligen Situation bleibt uns aber dann doch nur eins übrig: aufmerksam zu bleiben und genau zu analysieren, wie sich die Kurse entwickeln. Zeigen sich Zeichen der Stärke, steigt man ein, kommen diese nicht, bleibt man aus dem Markt. Im Nachhinein wird immer alles wieder derart klar sein, das viele vergessen, wie unsicher sie sich tatsächlich in der jeweiligen Situation gefühlt haben. Nachdenkliche Grüße Ihr Jochen Steffens |