Mit Entsetzen verfolgten die Aktienmarkthändler am 24. Oktober das Geschehen an der Börse. Massive, panikartige Verkäufe lösten einen Kurssturz unvorstellbaren Ausmaßes aus, der die Marktteilnehmer bis ins Mark erschreckte. Wer glaubt, dass hier die Marktturbulenzen vom Freitag geschildert werden, irrt. Die Rede ist vom 24. Oktober 1929, vom großen Crash, der auch als "Schwarzer Donnerstag" in die Annalen eingegangen ist. Zum Glück ist es nur ein Zufall, dass sich diese "Urkatastrophe" der Börsengeschichte am Wochenschluss, als die Notierungen weltweit einbrachen und der Dax bis zu 11 % einbüßte, zum 79. Mal jährte. Denn an jenen Kurseinbruch schloss sich die verheerende "Große Depression" an, die erst im Jahr 1932 enden sollte. Auch wenn sich Geschichte nicht 1:1 wiederholt, sind gewisse, unheimliche Parallelen der aktuellen zur damaligen Situation unübersehbar. An den Finanzmärkten greift die Befürchtung um sich, dass die Weltwirtschaft auf eine sehr schwere Rezession zugeht, die lange anhalten wird. Es kann keineswegs behauptet werden, dass es dafür keine Anhaltspunkte gäbe. Weltweit zeigen die Konjunkturdaten steil bergab. Verstärkt werden die Ängste derzeit durch die Quartalsberichtssaison, die zeigt, wie die wirtschaftliche Abschwächung bei den Unternehmen ankommt, und die Investoren mit einer Flut von Gewinnwarnungen verschreckt. Dramatischer wird die Lage dadurch, dass nun auch zunehmend Schwellenländer in Bedrängnis geraten. Das Kernproblem ist, dass derzeit noch keine positiven Wirkungen der globalen Rettungsmaßnahmen für die Finanzindustrie erkennbar sind. Nach wie vor steht der Geldhandel still. Die Banken horten Geld, was der Realwirtschaft die dringend notwendigen Kredite entzieht bzw. sie empfindlich verteuert. Das wiederum verstärkt die Nervosität der Finanzmärkte hinsichtlich der Folgen von Kredit- und Bankenkrise für die Weltwirtschaft zusätzlich. Denn wenn dieser Zustand nicht endet, werden auch in vielen Unternehmen außerhalb der Finanzbranche bald die Räder stillstehen. Das wiederum würde den Abschwung noch mehr verstärken. Sehr anschaulich für dieses Problem ist der Bericht des Schweizer Energietechnik- und Automationskonzerns ABB. Das Auftragswachstum des Unternehmens ist im dritten Quartal aufgrund des Wegfalls von Großaufträgen eingebrochen, weil Kunden geplante Investitionen aufgeschoben haben. Grund für die rückläufigen großen Projektaufträge ist die wesentlich schwieriger gewordene Kreditfinanzierung. Jedoch leiden nicht nur Großunternehmen aufgrund der Unsicherheit in Verbindung mit der Kreditverknappung unter starken Nachfrageeinbußen. Das Problem zieht sich durch die gesamte Wirtschaft bis hin zu kleinen Handwerksbetrieben. Aus Verängstigung werden auch kleinere Anschaffungen und Reparaturen verschoben. Die heftigen Kurseinbußen an den Aktienmärkten sind jedoch nur zum Teil fundamental zu erklären. Hinzu kommen "technische" Faktoren. Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich um Zwangsverkäufe. In großem Umfang werden z. B. derzeit sogenannte Carry Trades aufgelöst. Das hat die japanische Währung gegenüber dem Dollar auf den höchsten Stand seit Mitte der neunziger Jahre getrieben. Marktteilnehmer, die sich zu niedrigen Zinsen in Yen verschuldet haben, um die Mittel in US-Anlagen bzw. riskanteren Assets wie Aktien und Rohstoffen anzulegen, geraten durch die Befestigung des Yen unter Druck, ihre Anlagen zu verkaufen und die Kredite zu tilgen. Die Folge sind undifferenzierte Verkäufe. Auch die Aktien von hervorragend aufgestellten und finanziell bestens ausgestatteten Unternehmen, die hohe Dividendenrenditen aufweisen, geraten so unter die Räder. Die sehr niedrigen Bewertungen, die allerdings noch auf deutlich nach unten zu revidierenden Gewinnprognosen beruhen, werden in diesem Umfeld kaum die Implosion des Aktienmarktes stoppen können. Der erste Impuls zu einer Besserung oder zumindest zu einer Stabilisierung muss von der Bankenbranche kommen. Es wird dringend Zeit, dass der Geldkreislauf wieder in Gang kommt.
(Börsen-Zeitung, 25.10.2008) |