Aus der FTD vom 31.10.2003 www.ftd.de/wcm Agenda: WCM vor dem Ausverkauf Von Nicola de Paoli, Isabell Reppert und Anton Notz, Hamburg
Die Beteiligungsgesellschaft WCM hat lange erfolgreich Unternehmen aufgekauft, zerlegt und mit Gewinn weiterveräußert. Jetzt steht sie selbst vor dem Ausverkauf. Roland Flach kann einem Leid tun. Wie der letzte Depp kommt sich der Chef der Frankfurter Beteiligungs- und Immobiliengesellschaft WCM manchmal vor. Ständig muss er in die Schusslinie: Anleger beruhigen, Analysten versöhnen, Journalisten auf Distanz halten.
Seit Monaten erzählt Flach, das Gezerre um die Zukunft des angeschlagenen Unternehmens werde bald ein Ende haben, eine Lösung sei jetzt in Sicht. Dabei hat er selbst den Eindruck, dass ihm niemand mehr glaubt: "Inzwischen sagen einige: Schau mal, der stellt sich wieder hin und hat ja doch nichts in der Hand."
Vorbei sind die Zeiten, als WCM andere das Fürchten lehrte: Unternehmen kaufte, zerlegte, dann die Einzelteile gewinnbringend abstieß. Großaktionär Karl Ehlerding steht im Hemd da, muss seine WCM-Aktien an einen Investor verkaufen. Und den Konzern, der Zukäufe auf Kredit finanzierte und vom Börsencrash kalt erwischt wurde, drücken Milliardenschulden. Die WCM ist zum Spielball der Gläubigerbanken geworden. Ihr droht der Ausverkauf.
Internationale Private-Equity-Firmen lauern, um aus dieser desolaten Lage Profit zu ziehen. Seit Wochen wird mit Hochdruck verhandelt, in diesen Tagen dürfte sich die Zukunft der WCM entscheiden. Doch unabhängig davon, ob es gelingt, das Unternehmen noch zu retten: An alte Zeiten wird der Konzern nie mehr anknüpfen können. "Die Glorie ist verschwunden, der Mythos tot", sagt ein Fondsmanager.
WCM, das ist die personifizierte Geschichte vom Aufstieg und Fall des Karl Ehlerding. Eines Krabbenfischer-Sohnes, der es zum ehrenwerten Hamburger Kaufmann brachte. Der aus einer Erbschaft von 3200 DM ein Vermögen von knapp 2 Mrd. Euro machte - und sehr viel davon wieder verzockte.
Dabei hatte der 61-Jährige über Jahrzehnte ein untrügliches Gespür für lukrative Börsengeschäfte. Die Württembergische Cattunmanufaktur (WCM), die er 1984 erwarb, diente ihm als Dach für seine unternehmerischen Beutezüge. Ehlerding kaufte reihenweise gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften, die hohe Verluste auswiesen. So konnte der Steuerfuchs zum einen Abschreibungen nutzen, zum anderen durch Wiederverkäufe kleinerer Wohnungsbestände Gewinne erlösen.
Die Strategie funktionierte wunderbar, bis Ehlerding im "Cobra"-Trio mit den Kaufleuten Clemens Vedder und Klaus-Peter Schneidewind einen angeblich versteckten Commerzbank-Schatz heben wollte - und sich selbst verhob. Ehlerding hatte seine Aktien - auf Pump - zu teuer eingekauft. Jetzt ist Ehlerding, der einst im Ruf stand, ein kleiner König Midas zu sein, hoch verschuldet. Und WCM hängt tief mit drin in der Malaise.
600-Millionen-Kredit ist fällig
Dieter Vogel soll nun das Überleben des Konzerns sichern. Der einstige Thyssen-Manager und Sanierer des Telekommunikationsunternehmens Mobilcom ("Das Wunder von Büdelsdorf") wurde vor einigen Wochen auf Wunsch der Banken und Ehlerdings als WCM-Aufsichtsratschef installiert. Bisher scheiterte eine Einigung mit Banken und potenziellen Investoren an gravierenden Interessengegensätzen, vor allem seitens der vielen Gläubigerbanken. Am Freitag wird ein 600-Mio.-Euro-Kredit fällig gestellt. Vogel versucht, einen Aufschub auszuhandeln und die Banken von einem langfristigen Sanierungskonzept zu überzeugen.
Schafft er es nicht, würde der Ausverkauf eingeleitet. Denn das Darlehen ist mit einem besonders werthaltigen Asset der WCM besichert: ihrer Beteiligung an der IVG, dem europaweit größten börsennotierten Immobilienunternehmen.
Manager internationaler Private-Equity-Häuser spechten auf diese Perle. Sie hat ein Vermögen im Wert von 3 Mrd. Euro, gilt als hochrentabel und solide geführt. Seit Monaten drohen die Gläubigerbanken damit, das IVG-Aktienpaket zu verkaufen, und forderten Investoren auf, Angebote abzugeben. Am vergangenen Freitag lief die Frist ab.
Nach Preisgabe der IVG wäre WCM zwar mit einem Schlag eine Menge Schulden los. Allerdings wäre WCM auch um das langfristige Potenzial seiner Aktie gebracht. Vogel dürfte Insidern zufolge dann einige Mühe haben, einen Investor für den Rest des Unternehmens zu finden. Schließlich besäße der Konzern neben weniger attraktiven Beteiligungen nur noch einen 5,5-Prozent-Anteil an der Commerzbank, Restbestände der Klöckner-Werke und 53.000 Wohnungen, von denen ein beträchtlicher Teil beliehen ist. Das begrenzt die Zukunftsfantasien.
Stefan Leibold, Fondsmanager bei Ellwanger & Geiger in Stuttgart, will das Unternehmen nicht ganz abschreiben: "Die WCM hat auch ohne die IVG noch genug Werte." Findige Private-Equity-Firmen könnten sie heben, indem sie WCM in weitere Einzelteile zerlegen und verkaufen. "Die Substanz ist höher als der Aktienkurs", sagt Leibold. Aktuell notiert das Papier bei 1,78 Euro, den Unternehmenswert schätzten die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young kürzlich auf 3,84 Euro pro Aktie. Ihren Höchststand markierte die WCM-Aktie 1999 mit 33,84 Euro.
Zwei Nummern kleiner
Nach der Ausschlachtung könnte von der legendären WCM eine mittelständische Immobilienholding übrig bleiben, "ohne hoch fliegende Pläne, aber finanziell solide", sagt ein Unternehmenskenner. Alles wäre zwei Nummern kleiner als zu jener Zeit, da Ehlerding und Flach noch Visionen hatten. Das Unternehmen, ehedem als Kandidat für einen Aufstieg in den Dax 30 gehandelt, müsste dann aus dem M- in den SDax absteigen.
Die Hülle bliebe erhalten, doch der Geist von einst wäre verflogen. "Was WCM einmal war, das muss man sich abschminken", sagt einer, der mit WCM-Chef Flach einmal gut befreundet war. Das Vertrauen der Banken sei verloren gegangen. Zudem habe sich die Landschaft für solche Geschäfte, wie WCM sie betrieb, gründlich geändert. "Ich gehe davon aus, dass sich das Geschäftsmodell, mit Wohnungen die Risiken aus dem Beteiligungsgeschäft abzusichern, erledigt hat", sagt ein Branchenkenner. Daran dürfte sich wenig ändern, selbst wenn Vogel WCM aus dem Feuer führen sollte.
Schon das ist kompliziert genug. Ehlerding hatte sich im großen Stil bei den Banken Geld geliehen, um Commerzbank-Aktien zu kaufen, und das Darlehen mit seinem WCM-Anteil von etwa 40 Prozent besichert. Nun muss Ehlerding den Banken bis Juni 2004 einen Käufer für sein WCM-Paket präsentieren, der die Anteile übernimmt und dafür den Banken das Geld zurückzahlt. 450 Mio. Euro sollen dabei zusammenkommen, Ehlerdings Gesamtschulden gehen weit darüber hinaus.
Teilweise sind die Banken, die dem Hamburger Kaufmann Geld geliehen hatten, aber noch in ein zweites wackeliges Geschäft verwickelt. Sie gehören einem Konsortium an, das jenes 600-Mio.-Euro-Darlehen vergeben hat, das am Freitag fällig wird. Kreditnehmer ist nicht WCM selbst, sondern deren Tochter Sirius, über die WCM das Gros ihrer IVG-Aktien hält.
Aus dieser Gemengelage resultiert ein Interessenkonflikt der Banken untereinander. Geldinstitute, die nur bei Sirius engagiert sind, würden die IVG ohne Rücksicht auf die WCM verkaufen, um den Kredit aus ihren Büchern streichen zu können.
Dagegen müssen Kreditgeber wie die DZ-Bank und die WGZ, die sich in das große Ganze verstrickt haben, schon aus eigenem Interesse das Gesamtwohl der WCM im Blick behalten. Sonst könnten ihre Sicherheiten für den Ehlerding-Kredit an Wert verlieren. Am liebsten wäre diesen Banken daher ein Investor, der nicht nur die IVG übernimmt, sondern das Ehlerding-Paket gleich mit - zur Not mit einem Preisabschlag.
Ironie des Schicksals
Die Beteiligungsgesellschaften im Hintergrund hoffen darauf, dass ein Teil der Banken des ewigen Pokers müde wird und IVG günstig veräußert. So belauern sich beide Seiten und spielen auf Zeit. Munter streuen alle Beteiligten Informationen, die den Kurs der IVG- und der WCM-Aktie nach oben oder unten bewegen sollen - je nach Interessenlage.
Vergangene Woche beispielsweise kletterte der IVG-Kurs um neun Prozent, nachdem die österreichische Immofinanz als möglicher Einstiegskandidat ins Spiel gebracht und dabei öffentlich der Eindruck erweckt wurde, es handele sich um den ersten ernsthaften IVG-Interessenten. Dabei hatten längst internationale Investmentgrößen ihr Interesse angemeldet, nur eben diskreter.
Mit von der Partie sind auch zwei alte Bekannte, die heute bereits Mitgesellschafter der WCM-Tochter Sirius sind: Clemens Vedder und Klaus-Peter Schneidewind. Sollten sie bei IVG zum Zuge kommen, wird sich Ex-Kompagnon Ehlerding besonders ärgern. Schließlich hat ihn der gemeinsame "Cobra"- Deal mit Commerzbank-Aktien ruiniert.
© 2003 Financial Times Deutschland |