SPIEGEL
Eine Bombe namens Oskar
Gerhard Schröder gibt sich unerschrocken: Weder eine täuschend echte Bombenattrappe, noch anhaltende Kritik an seiner Reformpolitik erschütterten den Regierungschef zu Beginn der Klausurtagung in Neuhardenberg. Und dann forderte auch noch Oskar Lafontaine den Intimfeind zum Rücktritt auf. "Wir wackeln nicht", verkündete der.
Schröder und seine Mannschaft bei der Ankunft zum gemeinsamen Wochenende
Neuhardenberg/Stuttgart - Die illustre Politikerrunde hatte sich einen schmucken Platz für die Tagung ausgesucht: einen imposanten Bau inmitten wogender Kornfelder unter blauem Himmel. Die dunklen Gewitterwolken verzogen sich gerade rechtzeitig, als das Bundeskabinett kurz vor 17 Uhr mit zwei Hubschraubern in Neuhardenberg landete.
Doch schon eine Stunde später zog erneutes Ungemach auf. Es war mal wieder der frühere SPD-Chef und Schröder-Feind Oskar Lafontaine, der der Regierung den Spaß verderben wollte: Um 18.03 verbreitete die Deutsche Presseagentur einen Mitteilung der "Stuttgarter Zeitung", worin Lafontaine dem Kanzler den Rücktritt nahe legt.
"Wenn das Volk eine Politik ablehnt, muss man die Politik ändern. Wenn man dies nicht kann, muss man gehen", sagte der im linken Parteiflügel noch immer populäre Ex-Politiker. Genosse Oskar warf dem Kanzler abermals eine falsche Wirtschaftspolitik vor, die der "Irrlehre" des Neoliberalismus folge. Millionen von SPD-Wählern seien heimatlos geworden, weil sie ihre Interessen nicht mehr vertreten fühlten. Stattdessen bestimmten nur noch die Interessen der Wirtschaft die Programmarbeit. So sei die Agenda 2010 eine "Kopfgeburt des Bundesverbandes der Deutschen Industrie".
Die üblichen Tiraden eben. Doch im Vergleich zu der heftigen Kritik Lafontaines nahm sich eine andere Bombe geradezu harmlos aus. Denn der Sprengsatz, der wenige Stunden vor der Kabinettsklausur bei einem Sicherheitscheck unter einer Brücke in der Nähe des Schlosses entdeckt wurde, entpuppte sich als bloße Attrappe - wenngleich eine täuschend echte. Bereits eine Stunde nach der Entdeckung der vermeintlichen Bombe konnte ein 18-jähriger Tatverdächtiger ermittelt und vorläufig festgenommen werden. In einem mehrstündigen Verhör legte er nach Angaben der Staatsanwaltschaft ein Teilgeständnis ab. Die Anklagebehörde will den Mann voraussichtlich am Samstag einem Haftrichter zum Erlass eines Haftbefehls vorführen.
Hardenberg'scher Reformeifer
Doch Schröder gab sich gut gelaunt, als sich die Runde vor Beginn der Klausur den Journalisten stellte. Selbst rund 30 Demonstranten vor der Schlosseinfahrt konnten die Stimmung auf dem Wandertag der Bundesregierung nicht trüben. "Du fängst an", forderte der Kanzler Gastgeber Matthias Platzeck auf. Der scherzte mit Blick auf den telefonierenden Außenminister Joschka Fischer: "Hier wird ein bisschen Weltpolitik gemacht. Wir müssen einen Augenblick warten."
Nach dem Augenblick dann bekräftigte Brandenburgs Ministerpräsident den Bundeskanzler in seiner Reformpolitik. "Wir wissen, dass solche Reformen notwendig sind", sagte er. Das müsse er insbesondere vor dem Hintergrund sagen, dass Brandenburg wie die anderen ostdeutschen Länder am Vormittag im Bundesrat "Hartz IV" die Zustimmung verweigert habe. Dann erinnerte er daran, dass Preußen-König Friedrich Wilhelm III. 1814 das Barockschlösschen seinem Staatskanzler Karl August Fürst von Hardenberg als Dank für seinen Reformeifer geschenkt hatte.
Schröder selbst bekräftigte: "Wir haben keinen Anlass uns zu verstecken. Unser Kurs ist richtig. Wir wackeln nicht", unterstrich er. Zugleich warb Schröder bei seinen Ministern darum, "hart für die erfolgreiche Umsetzung der Reformen" zu arbeiten. "Und nun: ans Werk", rief er die Seinen auf, die Ärmel aufzukrempeln.
"Es gibt keinen Masterplan"
Die Gesetzgebung der Agenda 2010 sei "im Wesentlichen abgeschlossen", erläuterte der Kanzler. Aber: "Man darf nicht davon ausgehen, dass ein Reformprozess zu Ende ist, wenn er im Gesetzblatt steht", mahnte er sein Kabinett. Vielmehr beginne er dann eigentlich erst. Dies gelte insbesondere für die mit "Hartz IV" verbundene Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Es sei Pflicht der Regierung, "dafür zu sorgen, dass die Reformpolitik keine 'Verlierer' produziert", betonte Schröder.
Vor der Kabinettsklausur, an der auch die Partei- und Fraktionschefs der rot-grünen Koalition teilnehmen, hatten sich die Zeichen verdichtet, dass die Regierung Langzeitarbeitslosen einen Hinzuverdienst bis zu 320 Euro monatlich gewähren wolle, wenn sie gemeinnützige Tätigkeiten in Altenheimen und Schulen annehmen. Grünen-Fraktionschefin Krista Sager drückte allerdings noch einmal auf die Erwartungsbremse. Zu Meldungen, wonach die Bundesregierung ein Konzept für den Arbeitsmarkt, die Familienförderung und die Bildung für die nächsten zwei Jahre verabschieden will, unterstrich Sager: "Es gibt keinen geheimen Masterplan."
Bei der ersten Klausur des Kabinetts vor einem Jahr am selben Ort war der Regierung mit dem Vorziehen der Steuerreform ein zumindest kurzfristiges Aufbruchsignal gelungen. Angesichts der neuesten Zahlen des ZDF-Politbarometers, das die SPD bei 25 Prozent und damit dem schlechtesten je gemessenen Umfragewert sieht, benötigen dies vor allem die Sozialdemokraten. Die Grünen hingegen verbesserten sich um einen Punkt auf 12 Prozent.
Schröder rief sein Kabinett auf, "die Menschen zu überzeugen". Zustimmung und Zuversicht könne man nicht herbeireden. "Wir müssen sie uns erarbeiten", sagte er. Der weit verbreiteten "Verunsicherung" der Menschen «können wir nur begegnen, wenn wir den Menschen die Gewissheit vermitteln, dass wir ein schlüssiges Gesamtkonzept haben; eine 'Straßenkarte' - oder, wenn Ihr so wollt, einen Zugfahrplan." Schröder zeigte sich überzeugt davon, "miteinander die Früchte" der Reformanstrengungen ernten zu können.
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