-------------Wie sie mittlerweile schon den Alltag belasten------------
Ich stand am Wursttresen und keiner kam. Eine Zeit lang wartete ich geduldig, dann wurde es mir doch zu bunt: "Soll ich hier noch tausend Jahre warten, oder was?" Der Wurstfachverkäufer schnellte aus dem Nebenraum:
"Keine Nazivergleiche, bitte!" Ich überlegte, ob ich dementieren sollte, entschied mich dann jedoch für ein kleinlaut gemurmeltes "ist aber doch wahr, echt ey..." "Sie wünschen bitte?" "Ich hätte gerne ein paar Nürnberger..." "...Gesetze, oder was?" "Nein, Bratwürste natürlich!" "Sie reden sich doch bloß raus", sagte der Wurstmann verächtlich, "ich habe gleich gemerkt, wes Geistes Kind Sie sind. Von den braunen hier?" Jetzt hatte ich ihn! "Braun ist wohl Ihre Lieblingsfarbe, was? Meine nicht. Ihre Nürnberger lassen Sie mal schön in Ihrer Gestapo-Kiste. Ich nehm lieber von der Leberwurst. Die kosten...? "'Lebensraum im Osten?' Faschist!" "Selber! " Natürlich hatte er verstanden und zeigte mir mit dem Messer ein Stück auf der Leberwurst an: "So recht?" "Rechts?" "Nein! Ob es ihnen so reicht..." "Aha!" "Was: 'Aha'?" "Sie haben 'Reich-t' gesagt. Ich denke, Sie sollten hier vielleicht mal einfach Ihre Arbeit tun, anstatt die Leute mit nationalsozialistischer Propaganda zu überziehen. Das ist ja widerwärtig. Ich werde den Geschäftsführer rufen, Sie Wurstnazi!"
"Sie werden das bestimmt bedauern, aber es gibt hier keinen Führer, den Sie rufen können. Sie sind bei E-D-E-K-A und nicht bei N-S-D-A-P. Genügt Ihnen jetzt dieses Stück oder soll ich Ihnen ein größeres abschneiden?" "Ein größeres, bitte."
"Natürlich – ein größeres", höhnte es aus der Wolfsschanze, "Hitler hat den Hals ja auch nie voll gekriegt: Von jedem Land mußte es immer ein größeres Stück sein. Was ich mir hier jeden Tag anhören muß! Dabei bin ich seit fünf Uhr fünfundvierzig auf den Beinen..." "Glauben Sie, ich bemerke Ihre Anspielungen nicht", fauchte ich ihn an, "oder wollen Sie mich absichtlich provozieren?" "Absichtlich", knurrte der Wurstverkäufer, "ich wollte Sie locken: Sehen, wie Sie reflexartig die Hacken zusammenschlagen und 'Sieg Heil' brüllen. Aber Ihr Neonazis seid ja gut geschult - Ihr habt echt gelernt, euch nach außen hin nichts anmerken zu lassen." Bei diesen Worten säbelte der Schlächter ein gewaltiges Stück Leberwurst ab und warf das geschundene Fleisch lieblos auf die kalte Waage. Ich erschauerte, ergriff stumm die Ware (ein Wunder, daß er sie nicht in 'mein Kampf' eingewickelt hatte!) und machte mich auf zur Kasse. Eines mußte man diesem Goebbels der Wursttheke lassen: Er war ein glänzender Rhetoriker. Hätte er nur ein bißchen länger auf mich eingeteufelt, hätte ich mich am Ende gar noch selber für einen Nazi gehalten. "Macht 19,33", sagte die Kassiererin und spielte die Arglose. "Hiermit muß ich dich leider mit Eva Braun vergleichen", erklärte ich meiner Lieblingskassiererin nicht ohne Bedauern, "eine im Grunde dumme und eitle, aber nichtsdestotrotz gemeingefährliche und in jeder Beziehung schuldige Person..." Sie hatte gar nicht hingehört und vielleicht war das auch ganz gut so: "Auf Wiedersehen", meinte sie fröhlich, scheinbar nichtsahnend den Gruß benutzend, der in so vielen Nazi- und Landserliedern eine zentrale Rolle gespielt hatte. Absicht oder "nur" grobe Fahrlässigkeit? Manchmal war ich mir in diesen Tagen selbst nicht mehr sicher. |