SPIEGEL ONLINE - 27. Oktober 2006, 15:49 URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,445079,00.html
SCHÄNDUNGEN IN AFGHANISTAN
"Die Verteidigung ist insgesamt schwierig"
Welche Strafen haben die Totenschänder zu erwarten? Der Dienstrechts-Spezialist Willi Weber erklärt im Interview mit SPIEGEL ONLINE die Auswirkungen des Skandals und sagt, warum sich Soldaten besser verhalten müssen als Zivilisten.
SPIEGEL ONLINE: Das Verteidigungsministerium hat zwei der Soldaten vom Dienst suspendiert, die im Verdacht stehen, in Afghanistan mit Totenschädeln posiert zu haben. Welche anderen Folgen dürfte die Schändung für die Soldaten haben?
Willi Weber, 61, ist Vertragsanwalt des Bundeswehrverbandes. Er vertritt Soldaten, die sich für dienstrechtliche Vergehen verantworten müssen
Willi Weber: Die Soldaten werden höchstwahrscheinlich zum einen bestraft und zum anderen diszipliniert. Was die Bestrafung angeht: Der Strafrahmen von Paragraf 168 des Strafgesetzbuches reicht von einer Geldstrafe bis zur Freiheitsstrafe von drei Jahren. Und eine Störung der Totenruhe liegt hier möglicherweise vor. Was die Disziplinierung angeht: Bundeswehrintern wird es ein gerichtliches Disziplinarverfahren geben. Als erste Instanz entscheidet hier ein Truppendienstgericht, besetzt mit einem Richter und zwei Kameradenbeisitzern.
SPIEGEL ONLINE: Was erwartet die Soldaten dort?
Weber: Die härteste Maßnahme wäre die Entfernung aus dem Dienstverhältnis, als nächstes die Degradierung, dann das Beförderungverbot und als geringste Maßnahme eine Gehaltskürzung. Das sind die Abstufungen. Die Schändungen in Afghanistan werden wohl als besonders schweres Dienstvergehen gewertet. Darum gehe ich davon aus, dass die Soldaten aus dem Dienst entfernt werden. Wenn ein Berufssoldat wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt wird, wird er ohnehin automatisch entlassen. Dann gibt es kein gesondertes gerichtliches Disziplinarverfahren.
SPIEGEL ONLINE: Die Fotos der Soldaten sind nicht alle gleich obszön. Ist es auch juristisch ein Unterschied, ob der Soldat den Totenschädel in die Luft hält - oder vor seinen entblößten Penis?
Weber: Meines Erachtens nach ja. Das wird sich im Strafmaß niederschlagen. Nach Paragraf 168 wird schärfer bestraft, wer beschimpfenden Unfug verübt. Und manche Posen sind ja an Obszönität kaum zu überbieten.
SPIEGEL ONLINE: An den Vorfällen waren Soldaten unterschiedlicher Dienstgrade beteiligt. Werden Vorgesetzte härter angefasst als einfache Soldaten?
Weber: Man wird darauf achten, ob das ein freiwilliger länger dienender Grunddienstleistender ist oder ein gestandener Hauptfeldwebel, der erhebliche Diensterfahrung hat. Je höher der Dienstgrad, desto höher die Verantwortung. Entsprechend härter wird der Vorgesetzte angefasst. In Paragraf 10 des Soldatengesetzes steht, dass der Vorgesetzte in seiner Haltung ein Vorbild geben soll. Er ist außerdem für die Disziplin seiner Untergebenen zuständig und muss für sie sorgen.
SPIEGEL ONLINE: Was passiert mit Vorgesetzten, die nicht beteiligt waren - aber womöglich von den Vorfällen gewusst oder sogar Fotos gesehen haben?
Weber: Wenn die Vorgesetzten Kenntnis hatten und nicht eingeschritten sind, dann sitzen sie mit auf der Bank. Denn das aktive Einschreiten gegen solche Dinge gehört zur ihrer Dienstpflicht. Dann wird mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auch gegen sie ein Disziplinarverfahren eingeleitet.
SPIEGEL ONLINE: Werden Soldaten anders bestraft als ein Normalbürger, der in einer Kiesgrube einen Schädel findet und damit herumspielt?
Weber: Es gehört zu den Dienstpflichten eines Soldaten, das Ansehen der Bundeswehr zu wahren. Er hat eine dienstliche und eine außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht. Solche Klauseln gibt es übrigens auch für andere Beamte: Wenn ein Beamter stiehlt, dann ist das erheblich schlimmer als beim Normalbürger. Dafür hat der Beamte andere Vorteile. Der Zivilist, der mit dem Totenschädel spielt, schädigt ja vor allem sein eigenes Ansehen. Wie sein Arbeitgeber damit umgeht, ist dessen Sache.
SPIEGEL ONLINE: Was wäre, wenn sich die unappetitlichen Vorfälle nicht in Afghanistan zugestragen hätten, sondern in Deutschland - wenn zum Beispiel Soldaten hier mit einem Knochenfund aus dem Zweiten Weltkrieg posiert hätten?
Weber: Das Strafgesetzbuch unterscheidet nicht, wo sich das Vergehen zugetragen hat und wem der Schädel gehörte. Das Strafgesetz gilt da für alle Bürger gleichermaßen. Das ist eine Frage des Anstandes: Man muss kein Soldat sein, um zu wissen, dass man mit Totenschädeln keinen Unfug treiben darf.
SPIEGEL ONLINE: Macht es bundeswehrintern einen Unterschied, wo die Toten geschändet wurden?
Weber: Im Ausland können Soldaten meines Erachtens nach das Ansehen der Bundeswehr gravierender schädigen, weil sie zum Beispiel auf ethnische Gepflogenheiten achten müssen. Die Bundeswehrsoldaten in Afghanistan stehen in einem besonderen Fokus, sie repräsentieren auch die Bundesrepublik im Ausland. Und da ist erst Zurückhaltung angesagt.
SPIEGEL ONLINE: Werden die Soldaten bei einem entsprechenden Strafurteil sofort entlassen?
Weber: Die Bundeswehr kann einen Soldaten nur dann fristlos entlassen, wenn er weniger als vier Jahre im Dienst ist. Weil die Schändungen in Afghanistan einige Jahre zurückliegen, gehe ich davon aus, dass alle Beteiligten ihre vier Dienstjahre voll haben. Dann können sie nur durch das Truppendienstgericht aus dem Dienst entlassen werden.
SPIEGEL ONLINE: Bekommen die Soldaten dann weiter Geld der Bundeswehr?
Weber: Während der Suspendierung würden die Dienstbezüge entsprechend gekürzt, es sei denn, die Familie gerät dadurch in finanzielle Not. Wenn der Soldat aus dem Dienst entfernt wird, bekommt er Geld für eine bestimmte Übergangszeit - danach ist er arbeitslos, Hartz-IV-Empfänger.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben schon viele Soldaten verteidigt. Wie sollten die Täter argumentieren?
Weber: Da kommt es auf viele Details an: Wer hat mit der Schändung angefangen? Wie hat man die Schädel entdeckt? Sind die Patrouillen gezielt wegen der Schädel dorthin gefahren, oder ist es bei irgendeiner Gelegenheit passiert? Auch die psychische Ausnahmesituation wird berücksichtigt. Für die Soldaten, die abgelichtet und identifizierbar sind, ist die Verteidigung aber insgesamt schwierig.
SPIEGEL ONLINE: Es ist zu erwarten, dass weitere Schändungsfotos auftauchen und sich der Kreis der Beteiligten vergrößert. Was wird dann passieren?
Weber: Auch dann wird der Weg beschritten, den ich skizziert habe. Das verlangen unsere Rechtsordnung, das Grundgesetz und die Wehrdisziplinarordnung. Da wird es keine Ausnahmen geben.
Das Interview führte Jan Friedmann
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