Rohstoffmarkt Zweifel an dauerhaft niedrigem Ölpreis Bald dürften die Benzinpreise purzeln. Doch Experten sagen bereits wieder einen Anstieg auf 70 bis 75 Dollar pro Barrel Rohöl voraus. Auch neue politischen Krisen könnten sich auswirken. Von Matthias Sobolewski
Berlin - Die stark gesunkenen Rohölpreise dürften Experten zufolge zwar bald die Benzinpreise purzeln lassen und damit die Laune der Verbraucher heben. Ein positiver Konjunktureffekt werde sich aber nur im eher unwahrscheinlichen Fall einstellen, dass die Öl-Preise dauerhaft niedrig bleiben.
Der jüngste Rückgang beim Rohölpreis werde sich sofort auf die Benzinpreise auswirken und für eine Kaufkraftentlastung der Verbraucher sorgen, sagte die DIW-Ökonomin Claudia Kemfert. Sie schränkte aber ein: "Das ist wohl nur eine temporäre Entspannung." Auch Andreas Rees von der HypoVereinsbank zeigte sich überzeugt: "Der Ölpreis geht wieder hoch." Seit Anfang August ist der Rohöl-Preis in London und New York um gut 20 Prozent auf rund 60 Dollar je Fass (rund 159 Liter) gefallen und damit auf ein Sechs-Monats-Tief.
"Die zentrale Frage ist, wie lange die Entspannung beim Ölpreis anhält", sagte Rees. Je länger der Zeitraum sei, desto größer sei die Chance, dass es zu einer Stärkung der verfügbaren Einkommen der Verbraucher und einem Anziehen des privaten Konsums komme. Er rechne aber damit, dass der Fasspreis schon bald wieder auf ein Niveau von 70 bis 75 Dollar steige.
Kemfert äußerte sich ebenfalls vorsichtig und verwies auf die Gründe für den starken Preisverfall: "Der hohe Preis war ja durch Spekulationen verursacht." So hätten viele Investoren zu Beginn der Hurrikan-Saison in den USA auf steigende Preise gesetzt - analog zur Entwicklung im vergangenen Jahr, als der Hurrikan "Katrina" die Ölpreise in die Höhe getrieben hatte. Diese Erwartungen hätten sich nun nicht erfüllt. Auch der Konflikt der Internationalen Gemeinschaft mit dem Iran habe sich zuletzt etwas entspannt. "Das hat den Spekulanten Wind aus den Segeln genommen", betonte Kemfert. Sobald die politischen Spannungen wieder zunähmen, dürfte der Ölpreis aber wieder nach oben schnellen: "Dann setzt der Spekulations-Turbo sofort wieder ein." Bleibe es ruhig, könne der Preis aber auch bis auf 50 Dollar je Fass sinken.
Ein niedriger Ölpreis wäre auch mit Blick auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer im kommenden Jahr - etwa aus psychologischer Sicht - wünschenswert, sagte Kemfert. Nach ihrer Modellrechnung würde bei einem Barrel-Preis von 80 Dollar der Preis für einen Liter Superbenzin allein wegen der Steuererhöhung auf 1,80 von
1,50 Euro in die Höhe schnellen, bei einem Preis von 50 Dollar je Fass komme es zu einem Preissprung auf 1,40 von 1,20 Euro.
Bleibe das niedrige Ölpreisniveau 2007 erhalten, würde auch ein positiver Effekt auf das Wirtschaftswachstum sichtbar werden, sagte Kemfert. "Das kann zu einem zusätzlichen Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von 0,1 bis 0,2 Punkten führen." Derzeit geht das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) für 2007 von einem BIP-Plus um 1,4 Prozent aus, wobei es einen Rohölpreis von 60 bis 65 Dollar je Fass unterstellt. Der dämpfende Effekt der Mehrwertsteuererhöhung um drei auf 19 Prozent wird vom DIW mit 0,4 Prozentpunkten veranschlagt; er würde durch einen niedrigen Ölpreis abgemildert, sagte Kemfert.
Für sehr realistisch halten die Experten dieses positive Szenario allerdings nicht. "Dreh- und Angelpunkt bleibt der Iran, und da sehe ich keine wirkliche Entspannung", sagte Kemfert. Von der weltweiten Rohöl-Tagesproduktion von rund 84 Mio. Barrel entfallen auf den Iran rund vier Mio. Barrel. Kemfert sagte, falle der Iran als Lieferant aus, etwa wegen Sanktionen, wäre das mittelfristig nicht zu ersetzen, da die anderen Produzenten schon am Rande ihre Kapazitäten stünden.
Jochen Hitzfeld von der HVB ergänzte: "Der jüngste Rückgang ist keine Trendwende." Abseits der geopolitischen Spannungen bleibe das Verhältnis von Angebot und Nachfrage wegen des großen Öldurstes von aufstrebenden Ländern wie China angespannt. Und trotz der Entdeckung neuer Ölfelder etwa im Golf von Mexiko sei kurzfristig keine Entspannung in Sicht. "Die meisten Volkswirte sehen in dem Ölpreisrückgang ein Intermezzo", sagte auch Rees. (rtr) Artikel erschienen am 22.09.2006 WELT.de 1995 - 2006 |