SPIEGEL ONLINE - 16. August 2006, 14:54 URL: http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,431906,00.html Waffen-SS-Veteranen "An Grass kann sich kein Kamerad erinnern"
Von Jens Todt Seit Tagen debattiert die Republik über das Bekenntnis des Literatur-Nobelpreisträgers Günter Grass, die letzten Kriegsmonate bei der Waffen-SS verbracht zu haben. Edmund Zalewski diente in der gleichen Division wie Grass - doch an den späteren Schriftsteller mag er sich nicht erinnern. Berlin - Die überraschende Beichte des Nobelpreisträgers in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" am vergangenen Freitag hat auch alte Kriegskameraden hellhörig werden lassen. "Ich habe ein bisschen recherchiert, nachdem ich davon gehört hatte", so der ehemalige Waffen-SS-Mann Edmund Zalewski, "aber keiner konnte sich an Günter Grass erinnern". | DPASchriftsteller Grass: "Viele landeten bei uns" | Der Veteran pflegt indes einen anderen Umgang mit seiner eigenen Vergangenheit als Grass. Bis heute trifft er sich regelmäßig mit den Kameraden von damals. Für seine freiwillige Verpflichtung in der mörderischen Truppe zeigt er keine Reue, er sei "kein politischer Soldat" gewesen. "Ich hatte einfach das Gefühl, für Deutschland kämpfen zu müssen", so Zalewski. Auch sei er niemals Mitglied der NSDAP gewesen, "ich hatte einen katholischen Hintergrund." Günter Grass hatte gesagt, er habe sich 1944 als Freiwilliger zur U-Boot-Flotte gemeldet, sei dort aber nicht aufgenommen worden. Da er aber offenbar als Freiwilliger in den Büchern vermerkt worden war, landete er - vermutlich im Oktober 1944, wie US-Dokumente nahelegen - nicht in einer normalen Wehrmachtseinheit, sondern bei einer Elitetruppe der Waffen-SS. In der "Vorläufigen Erklärung des Kriegsgefangenen", einem Formular der US-Armee, wurde der Danziger später als Lade-Schütze der 10. SS-Panzerdivision "Frundsberg" bezeichnet. Der Division gehörte auch der heute 83-jährige Zalewski an. Der ehemalige Unterscharführer erinnert sich noch gut an die letzten Kriegswochen in Spremberg nahe Cottbus, wo auch Grass die letzten Tage des Krieges erlebte. Die SS-Panzerdivision Frundsberg sei zu diesem Zeitpunkt bereits von gut 19.000 Mann "auf 9000 bis 10.000 Soldaten zusammengeschmolzen" gewesen. Die hohen Verluste im Kampf gegen die vorrückende Rote Armee seien durch Wehrmachtssoldaten notdürftig ausgeglichen worden. "Viele Soldaten von überall her landeten bei uns, viele stammten vom Balkan", erinnert sich Zalewski, "aber das waren dann keine Freiwilligen mehr, die wurden abkommandiert". Teilweise seien die Gefallenen auch durch Bodenpersonal der Luftwaffe ersetzt worden, von den eingefleischten SS-Männern wurde die Personalauffrischung geringschätzig "Hermann-Göring-Spende" genannt. Zalewski selbst war "eigentlich Nachrichtenmann", wurde später jedoch zum Grenadier ausgebildet. "Ich habe unseren Kommandeur Heinz Harmel häufig in einem Kommandopanzer an die Front begleitet", erinnert sich der ehemalige SS-Mann. Er habe zum Teil gute Erinnerungen an diese Zeit, vor allem was die Kameradschaft mit den anderen Soldaten in den Kampfpausen angeht. Allerdings habe er auch schreckliche Gefechte erlebt, sagt Zalewski heute. Hitler wirft er vor, zu einem Zeitpunkt als der Krieg schon verloren war noch Zehntausende jugendliche Soldaten verheizt zu haben. "Damit kam ich nicht klar." Er selbst will an keinerlei Kriegsverbrechen beteiligt gewesen sein. "Unsere Division war clean", behauptet Zalewski. Zusammengewürfelter Haufen Vom 21. bis 23. April 1945 wurden die Reste der Division von der Roten Armee bei Spremberg aufgerieben; der Plan, die Sowjets auf dem Marsch Richtung Berlin aufzuhalten, scheiterte. "Nach dem Kessel von Kausche gab es die Division Frundsberg nicht mehr", so Zalewski. Tausende kamen ums Leben oder landeten in Kriegsgefangenschaft, wie auch Unterscharführer Zalewski. Nach dem Krieg habe er in den Dürener Metallwerken gearbeitet, doch der Kontakt zu den ehemaligen Angehörigen der SS-Truppe riss niemals ab. Zalewski ist bis heute Schriftführer der "Kameradschaft Frundsberg", eines Veteranenvereins, dessen Mitglieder sich jährlich an Kriegsschauplätzen treffen. "Inzwischen sind wir nur noch 60 Kameraden, das war natürlich mal anders", so Zalewski, "aber wir sind jetzt ja allesamt um die 80 Jahre alt und mehr." Gelegentlich nutzt auch brauner Nachwuchs die Gelegenheit, um Kriegsteilnehmer aus nächster Nähe zu betrachten, wie im Juli 2004, als Jungnazis ehemalige "Frundsberger" zu einer Kriegsgräberstätte nahe Spremberg begleiteten. Große Bedeutung misst Zalewski dem Bekenntnis des späteren Literatur-Nobelpreisträgers nicht bei. Zum Ende des Krieges sei bei dem zusammengewürfelten Haufen der 10. Division "alles querbeet gelaufen". Die einstmals gefürchtete Truppe sei "hoffnungslos aufgesplittet" gewesen, so Zalewski wehmütig, "eigentlich waren wir keine echte SS-Division mehr". |