Wichtigste: Das Volk hat der Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Mitglieder zugestimmt, einen höchst überflüssigen Streit mit der EU vermieden und die bilaterale, nichts präjudizierende Europapolitik der Schweiz gesichert. Erfreulich ist zudem, dass das Ja klarer ausgefallen ist, als viele erwartet hatten – und um zwei Prozentpunkte deutlicher als die Zustimmung zum Abkommen über Schengen/Dublin im vergangenen Juni. Vom Zweidrittelmehr, das im Mai 2000 der freie Personenverkehr mit der EU-15 erreicht hatte, ist man allerdings ein erhebliches Stück entfernt. Bemerkenswert ist eine gewisse Konvergenz. Die Westschweiz ist zwar, wie stets in der Europa- und der Ausländerpolitik, eher für eine Öffnung als die anderen Landesteile. Der Ja-Überschuss hat in den französischsprachigen Kantonen gegenüber der Schengen-Abstimmung jedoch leicht abgenommen. Auf der anderen Seite haben die Befürworter einer Liberalisierung des Grenzregimes im weitesten Sinn in der Deutschschweiz Boden gewonnen. Bern hat insofern Genf überholt. Sieben Kantone oder Halbkantone haben auf die Ja-Seite gewechselt. Im Nein-Lager verbleiben Innerrhoden, die Urschweiz, Glarus und, mit der stärksten Ablehnung, das Tessin. Die «Gräben» verlaufen also nicht hauptsächlich den Sprachgrenzen entlang, während die Einbürgerungsabstimmung vor einem Jahr ein stärker polarisiertes Bild ergeben hatte. Das Ja zur Anpassung des Abkommens über die Personenfreizügigkeit ist nüchtern und konsequent. Dass es nur zögernd, ohne Begeisterung erfolgte, lässt sich erklären. Die Personenfreizügigkeit war diesmal nicht Teil eines Europa-Pakets, das vielerlei Vorteile versprach. Wenn der Souverän Volksinitiativen für eine Reduktion des Ausländerbestands stets abgelehnt hat, ist er gegenüber Rechtsansprüchen von bisherigen und künftigen Einwanderern meist skeptisch. Ausserdem war zu befürchten, dass die gegenwärtige Verunsicherung auf dem Arbeitsmarkt Abwehrreflexe auslösen könnte. Der Aufwand auf Befürworterseite war denn auch beträchtlich. Die ihrerseits nicht mittellosen Gegner wiesen missbilligend darauf hin. Entscheidend war aber wohl die verbreitete Überzeugung, dass die Schweiz ein Ja braucht, weil sie keine Alternative zu guten bilateralen Regelungen mit der EU als Ganzem hat. Daraus ergab sich in vielen Kreisen auch ein persönliches Engagement. Die Opposition konnte einen Zusammenhang mit einem EU-Beitritt noch weniger konstruieren als bei der Polizeikooperation. So kämpfte auch der Unternehmerflügel der SVP, entgegen der Parole der nationalen Partei, für die Freizügigkeit. Als starkes Argument dienten die verschärften flankierenden Massnahmen gegen Lohnunterbietung. Sie werden und sollen nicht jede unangenehme Konkurrenz verhindern. Umso mehr sind sie gewissenhaft anzuwenden. Behörden und Sozialpartner haben gemeinsam Verantwortung dafür übernommen, für wirksame Kontrollen zu sorgen und allenfalls Mindestlöhne vorzuschlagen. Besonders die Arbeitgeberverbände, denen neue Auflagen an sich gewiss nicht willkommen sind, haben sich am Vollzug, der 2006 auf eine intensivere Stufe kommt, so zu beteiligen, dass das Vertrauen gefestigt wird. Die nächsten europa- und ausländerpolitischen Entscheide sind bereits programmiert. 2007 oder 2008 treten Rumänien und Bulgarien der EU bei. Erneut wird die Schweiz eine gute, referendumsfeste Übergangsregelung aushandeln müssen; die Chance für eine dauerhafte Kontingentierung (im Unterschied zur EU-25) ist allerdings gering. 2009 steht die generelle Verlängerung beziehungsweise Kündigung des Abkommens zur Diskussion. Aus der letzten Verhandlungsrunde besteht übrigens noch die Pendenz der «einseitig» zugesagten Strukturhilfe an die ostmitteleuropäischen Staaten. Im Fall der zu befürchtenden Kompensation der Kosten zulasten der Entwicklungszusammenarbeit (Südhilfe) ist hier auch mit kritischen Stimmen von links zu rechnen. Politisch steht der Bundesrat allerdings bei den Kohäsionsbeiträgen gegenüber Brüssel im Wort. Man mag von den Nervenproben der direkten Demokratie in diesen Fragen genug haben und der Freizügigkeit mit der EU wie der Migrationspolitik überhaupt endlich eine komfortable politische Basis wünschen. Der Blick richtet sich dabei auf die Bereiche, die das Land autonom regeln kann. In den kommenden Tagen widmet sich der Nationalrat der Differenzbereinigung beim Ausländergesetz. Die Befürworter konservativer Bestimmungen werden darauf verweisen, dass eine zurückhaltende Politik gegenüber Personen aus Drittstaaten das Gegenstück zur Öffnung auf die EU sei. Verfechter grosszügigerer Lösungen dürften betonen, liberale Grundsätze seien unteilbar. Soweit es um die Besserstellung und damit auch um die Integration bereits anwesender Menschen geht, liefert das neueste Abstimmungsresultat kein Argument für restriktivere Varianten. Geboten scheint aber weiterhin eine strikte Begrenzung der Neuzulassung aus Ländern ausserhalb der EU. Unabhängig vom Resultat der Beratungen ist nicht zu erwarten, dass der Schweiz weitere migrationspolitische Debatten erspart bleiben werden. Ich bin stolz, dass wir als einziges Land in Europa, über die Personenfreizügigkeit, durch ein Volks-Plebiszit abstimmen durften. Dies macht die Abstimmung um so wertvoller. Gelebte Demokratie nüchtern und rational! quantas |