und einmal die Palästinenser ...auch ohne Worte...
06.07.2004, 16:21 Uhr Wegen Misserfolg: Arafat will Fatah-Wahlen abbrechen
GAZA (inn) - Seit Ende Mai hält die Fatah-Partei von PLO-Chef Jasser Arafat im Gazastreifen Wahlen ab. Derzeit zeichnet sich ein Sieg der reform-orientierten Palästinenser im Lager des ehemaligen Ministers für Innere Sicherheit, Mohammed Dahlan, ab - sehr zum Ärger Arafats, dieser hat daher am Wochenende den Abbruch der Abstimmung angeordnet.
Aus Kreisen um die Fatah hieß es, die Mehrheit der Wahlberechtigten stehe hinter den "Reformisten", die "alte Garde" sei dabei, zu verlieren.
Nach Dahlans Erfolg habe Arafat am Sonntag den Chef des palästinensischen Sicherheitsdienstes im Gazastreifen, Abed Rasik al-Madschada, angewiesen, die Wahlen abzubrechen und alle Sicherheitskräfte, die kandidiert hatten und möglicherweise gewinnen könnten, von den Listen zu entfernen.
Im Bezirk Rimal im nördlichen Gazastreifen waren am Sonntag allerdings so viele Wähler erschienen, dass die zuständigen Behörden Arafats Anweisung ignorierten. Palästinensischen Angaben zufolge nahmen mehr als 1.060 Fatah-Mitglieder an der Abstimmung teil. Seit Wahl-Beginn wurde in fünf von 38 Bezirken abgestimmt. Die Organisatoren sprachen von einer Wahlbeteiligung von mehr als 95 Prozent.
Ein hochrangiges Fatah-Mitglied sagte gegenüber der Tageszeitung "Ha´aretz": "Wir wollen die Fatah im Gazastreifen, dem Westjordanland und der Diaspora dazu ermutigen, interne Wahlen abzuhalten, damit wir ein neues Fatah-Zentralkomitee wählen können. Die letzten Wahlen für ein solches Komitee liegen 16 Jahre zurück."
Die internen Wahlen hatten am 26. Mai begonnen und werden noch mehrere Wochen andauern. In den einzelnen Bezirken werden mehrere Vertreter gewählt und ernannt, die wiederum Distriktvertreter wählen und ernennen. Diese stimmen zusammen mit den Gewählten aus dem Westjordanland und der Diaspora über einen neuen Revolutionsrat ab, der das neue Fatah-Zentralkomitee wählt. (dn)
Sicherheitsminister Mohammed Dahlan soll Palästina Ruhe bringen Porträt von Michael Stürmer
Wenn er überlebt, kann er nach Arafat und Mahmud Abbas der starke Mann in Gaza und im Westjordanland werden. Doch schon jetzt ist Mohammed Dahlan die Schlüsselfigur der Palästinenser. Gerade jetzt, da die Terrorgruppen vage Andeutungen über ein mögliches Ende der Anschläge gemacht haben, kommt alles darauf an, ob Dahlan als palästinensischer Sicherheitsminister jene Gruppen kontrollieren und dafür sorgen kann, dass es nicht bei Andeutungen bleibt.
Dahlans Stärke liegt in seiner Energie, in seiner Kontrolle über die militärisch organisierte Polizei und in dem Vertrauen, das Israelis und Amerikaner in seinen Realismus setzen. Ob er all das in Macht umsetzen kann, entscheidet über seine Zukunft, noch mehr aber über Wohl und Wehe der Menschen zwischen Mittelmeer und Jordan. Niemand kann heute sagen, wohin die Straßen der "Roadmap" des amerikanischen Präsidenten führen, zu schmerzlicher Koexistenz oder zu Kämpfen über Land und Leute, Siedlungen und Recht auf Rückkehr. Dahlan muss mit den israelischen Sicherheitsbehörden kooperieren, aber ihr Subunternehmer darf er nicht sein. Zugleich muss er Arafat und dessen terrorsüchtigen Partisanen das Veto gegen die Vernunft verweigern.
Dass Arafat alles tat, Dahlans Ernennung zu verhindern, hat nicht nur mit dem Gegensatz zwischen der älteren Tunis-Fraktion und der jüngeren Intifada-Fraktion zu tun. Es geht um Krieg oder Frieden. Arafat, niemals bereit, vom Revolutionär zum Staatsgründer aufzusteigen, will keinen Frieden außer demjenigen, der der Anfang vom Ende Israels wäre. Dahlan aber hat in israelischer Haft nicht nur Hebräisch gelernt, sondern auch, dass die Israelis nicht unter Feuer nachgeben.
Dahlan hat wenige Freunde. Den früheren Geheimdienstchef Dschibril Radschub, den Arafat feuerte und das Volk respektierte, wollte er an seiner Seite, doch gegen Arafat war das nicht durchzusetzen. Zudem wurde der Polizeiapparat, den Dahlan braucht, von den Israelis zerschossen. Die Gefängnisse, welche die Terroristen aufnehmen sollen, sind zerbombt. Und die Terrortruppen sind stark, zumal ihre Unterstützer aus der arabischen Welt, von Syrien bis Saudi-Arabien, immer noch mächtig sind.
Wer Dahlan helfen will, wie die Europäer, muss sicherstellen, dass nicht weiterhin große Teile der EU-Hilfen in den Scheckbüchern Arafats landen - und im Dunkeln. Zweckgebunden und von außen kontrolliert, können die EU-Gelder Gutes stiften, wenn sie die Ordnung des Mohammed Dahlan abstützen. Wenn nicht, werden sie zu Öl, das man ins Feuer gießt.
Dahlan sieht die "Roadmap" als neue, vielleicht letzte Chance der Palästinenser, in absehbarer Zeit den erhofften Staat zu bekommen. Als Realist weiß er, dass mehr als ein Kompromiss zwischen Israels Sicherheitsinteressen und den Palästinenserträumen nicht zu haben ist. Die Terrormänner dagegen wollen alles oder nichts. Die Roadmap, die Hoffnung auf Frieden und die Zukunft der Palästinenser, wollen sie zerbomben, auf dass aus blutigem Chaos der Endsieg aufsteige, das Ende Israels und der Triumph über Amerika.
Die Wegstrecke, die vor Dahlan liegt, ist gefährlich. Er muss die Partisanen des Terrors entwaffnen, sonst wird Scharon nicht nachgeben. Und er muss die Israelis dazu bewegen, die im Verlauf der Al-Aksa-Intifada besetzten Gebiete zu räumen. Eines hängt vom anderen ab und macht die Aufgabe logisch unmöglich und praktisch hochgefährlich. Wer solches will, muss stark sein wie ein Löwe und klug wie eine Schlange.
Wenn das für einen gilt, so ist es Dahlan. Denn setzen sich, wie zu erwarten, die Partisanen zur Wehr, droht der palästinensische Bürgerkrieg, und neue Stoßwellen gehen nach allen Seiten in die Unruhe der arabischen Welt.
Bisher konnte Mahmud Abbas, indem er die fortdauernde Besatzung von Teilen des Palästinensergebiets durch die israelische Armee geltend machte, die Entscheidung über Krieg und Frieden aufschieben. Aber wenn Sharon unter amerikanischem Zureden seinen Teil der Roadmap abfährt, kommt für die Palästinenser die Stunde der Wahrheit - und insbesondere für Dahlan.
Die Tragik zweier Völker bleibt miteinander verwoben auf demselben Land. Sie aufzulösen ist nicht unmöglich. Aber es erfordert, was de Gaulle in Sachen Algerien einmal den Frieden der Tapferen nannte.
Artikel erschienen am 31. Mai 2003, "DIE WELT" |