Strukturen nutzen, Signale setzen:
Wozu Rechte im Landtag?
Von Karl Richter
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Spätere Historiker werden in den Ereignissen des 19. September 2004 womöglich den Beginn einer bundesdeutschen Zäsur erblicken. An diesem Tag erzielten die Nationaldemokraten bei der sächsischen Landtagswahl ein Sensationsergebnis von 9,2 Prozent und schafften damit erstmals seit 36 Jahren wieder den Einzug in ein Landesparlament. Ein Erdrutsch, ein Tabubruch. Ergänzt vom Erfolg der DVU in Brandenburg. Beide Landesergebnisse ein Resultat gegenseitiger Absprache, ein erster Effekt des rechten Schulterschlusses, von dem es fälschlicherweise viel zu lange hieß, er bringe nichts. Was er zu bringen vermag, steht nun vor aller Augen.
Rechtsinterne Erbsenzählerei zwischen "Gemäßigten" und "Radikalen" interessiert den Wähler nicht. Von allen bundesdeutschen Rechtsparteien ist die NPD diejenige, die den Kampf gegen das etablierte Machtkartell von jeher am vehementesten, mit dem größten ideologischen Nachdruck geführt hat. Das trug der Partei vor ein paar Jahren ein Verbotsverfahren ein - das bekanntlich jämmerlich scheiterte. Politologen und politisch Überkorrekte wollen sogar "national-soziale" Versatzstücke im Gebaren der Partei ausmachen. Aber warum auch nicht? Oskar Lafontaine hat die Tabuformel vor Jahren sogar in einem Buchtitel bemüht ("Deutsche Wahrheiten / Die nationale und soziale Frage", 1990).
Fundamental für deutsche Interessen
Richtig ist, daß sich die NPD in den letzten Jahren als fundamentalistische Oppositionsbewegung von rechts zurückgemeldet hat. Das ist neu und im austarierten großwestdeutschen Parteien-Biotop geradezu anrüchig. Fundamentalisten, besagt ein liberales Credo, sind immer von Übel. Sie gehen aufs Ganze, mögen keine Kompromisse und wollen die bestehenden Verhältnisse verändern. So etwas tut man nicht. Schon gar nicht, wenn es im Interesse der eigenen deutschen Landsleute ist.
Jetzt ist das Entsetzen groß, denn seit dem 19. September muß sich der Club der Etablierten mit der NPD auf gleicher Augenhöhe auseinandersetzen. Mindestens ebenso eklatant wie der Aufstieg der Rechten ist nämlich der Absturz der bisherigen "Volksparteien", die plötzlich keine mehr sind. In Brandenburg, wo am 19. September ebenfalls Landtagswahl war, sackte die CDU um zweistellige Prozentwerte nach unten. In Sachsen liegt die SPD nur noch hauchdünn vor den Nationaldemokraten. Veränderungen, die sich praktisch bemerkbar machen:
Im neuen Dresdener Landtag stehen der NPD-Fraktion genau so viele Büros zu wie der SPD. Das bedeutet für die bisherigen Inhaber nicht nur herbe Einschnitte an Arbeitsfläche und Quadratmeterzahl. Auch will niemand Tür an Tür mit den Rechten arbeiten. Bizarre Ausweichlösungen sind im Gespräch wie jene, die Nationaldemokraten einfach in ein Bürogebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu verfrachten, in ein verglastes Erdgeschoß. Am Ende siegt die Hausordnung des Landtags über die infantilen Exorzismus-Rituale der Etablierten. Die NPD bekommt ihre Arbeitsräume. Keinen mehr und keinen weniger als die SPD.
Der Fall illustriert nicht nur die ersten parlamentarischen Scharmützel, sondern, was wichtiger ist, die Tatsache, daß die Stimme der nationalen Opposition nicht mehr unter den Tisch gekehrt werden kann. Plötzlich verfügt sie über Mikrophone, Redezeit, Fraktionsgelder in sechsstelliger Höhe. Mit etwas Einübung in die parlamentarischen Gepflogenheiten läßt sich daraus ein wirksames politisches Instrument schmieden, dessen Existenz selbst das gleichgeschaltete Medienkartell nicht mehr verheimlichen kann.
Am 19. Oktober ein erster Schlagabtausch. Eröffnungssitzung des Landtages, Hunderte von Medienleuten sind zugegen. Ein Antrag der PDS sieht vor, das "deutsche" Volk in der Verfassung des Freistaates zu streichen und auf irgendein, multikulturell interpretierbares "Volk" zu reduzieren. Die zwölf NPD-Abgeordneten lehnen das geschlossen ab. Und bringen den Punkt in der Aussprache sogleich auf Grundsätzliches. Man sei schließlich von und für die "Deutschen in unserem Land" gewählt worden, argumentiert Fraktionschef Holger Apfel in seiner pointierten Gegenrede; im übrigen verweigere man jedweden Kniefall vor der "political correctness". Das sitzt. Auch die Redner der anderen Parteien bekunden plötzlich verhaltenen Patriotismus - oder müssen, wie der Mann von der FDP, internationalistische Farbe bekennen ("Es geht nicht um Deutsche, es geht um Menschen"). Der PDS-Antrag wird mit solider Mehrheit abgeschmettert.
Die Episode zeigt, wozu Rechte in bundesdeutschen Parlamenten gut sein können. Sie können Themen zur Sprache bringen, die Altparteien und Massenmedien längst aus der öffentlichen Diskussion ausgeblendet haben. Auch wenn ein Gutteil der deutschen Politik inzwischen in Brüssel gemacht wird, lassen sich doch auf Landesebene vielfältige und publikumswirksame Akzente setzen. Selbst wo rechte Vorschläge keine Mehrheit finden - und das wird die Regel sein -, tragen sie zur Wiederherstellung der Meinungsvielfalt, zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit bei, gerade dort, wo bisher verbotenes Terrain war. In der Frage einer aktiven Bevölkerungspolitik etwa. Der nationalen Souveränität. Nicht zu vergessen das Ausländerthema mit seinen unzähligen Facetten.
"Große" Politik - und ihre Folgen vor Ort
Anderes ist weniger grundsätzlich, eignet sich aber hervorragend, um Inländerinteressen genau dort zu vertreten, wo es darauf ankommt - und wo es die vorgeblichen "Volksparteien" schon lange nicht mehr tun: in der Region, in den Kommunen, bei den Betroffenen. So sieht etwa der Landesentwicklungsplan der sächsischen Staatsregierung ein Raumordnungsmodell vor, das nachgerade asozial ist und alle Kriterien des Ausverkaufs erfüllt. Sächsische "Oberzentren", das heißt kommunale Ballungsräume wie Dresden, Leipzig oder Chemnitz sollen sich demnach nicht mehr als Versorgungs-, Wirtschafts- und Infrastrukturzentren des eigenen regionalen Umlandes verstehen, sondern sich in den Dienstleistungs-Wettbewerb mit anderen europäischen Metropolen stürzen. Ein menschenverachtendes Konzept, das die Vorgaben der Globalisierer und Liberalisierer geradezu mit Händen greifen läßt. Ginge es durch, kann beispielsweise der ohnehin nur mäßig ausgelastete Flughafen Dresden bald zumachen, weil Flughafengebühren und Personalkosten im "benachbarten" Prag einfach niedriger sind (nicht zuletzt dank deutscher Gelder, die die EU als milliardenschwere Subventionen in die neuen EU-Länder im Osten pumpt).
Der sächsische Landesentwicklungsplan schreibt freilich nur fort, was im Rahmen des "Aufbaus Ost" ohnehin seit Jahren praktiziert wird. Über chronisch hohe Arbeitslosenzahlen in den neuen Bundesländern muß sich deshalb niemand wundern. Sie rühren nicht daher, daß die Mitteldeutschen weniger fleißig wären als die Westdeutschen, sondern daher, daß der Ausverkauf und die Zerschlagung der mitteldeutschen Industrie- und Infrastrukturkerne seit der Wiedervereinigung niemals gestoppt wurden.
Solche Zusammenhänge müssen endlich unters Wahlvolk. Dieses hat in den neuen Bundesländern mittlerweile jegliches Vertrauen in die großwestdeutsche Politikerkaste verloren und ist dankbar für jede ernstzunehmende Alternative. Sie kann naturgemäß nur von rechts kommen, weil die Verteidigung sozialer Interessen ohne den nationalen Bezugsrahmen ein Unding ist. Oder anders ausgedrückt: Weil sie sich vom Nationalstaat längst verabschiedet haben, ist alles soziale Herumgedoktere der Etablierten schon im Ansatz verfehlt. Es ist nur konsequent, daß sich Rot-Grün und Schwarz-Gelb im Abbruch des Sozialstaates inzwischen völlig einig sind. Nur die PDS löckt noch halbherzig wider den Stachel. Daß sie sich aus antifaschistischer Verbohrtheit weigert, die nationale Karte ins Spiel zu bringen, kann ihr über kurz oder lang das Genick brechen.
Aufklärung tut not, möglichst laut und möglichst plakativ: darüber, daß "deutsche" Regierungen bis hinauf auf Bundesebene längst eine Vielzahl ihrer Kompetenzen an die EU-Gesetzgebung abgetreten haben. Niemand hat den deutschen Souverän dazu je um seine Zustimmung befragt. Aber selbst nackte Information gibt es nur häppchenweise und sozusagen in demokratisch verträglichen Dosen. Ob Euro-Einführung, Maastricht-Vertrag oder Türkei-Beitritt - stets wurde vertuscht, gelogen, verharmlost, und das bis auf den heutigen Tag. Reinen Wein gibt es immer erst, wenn die Rechnung präsentiert wird.
Ein deutsches Landesparlament ist zwar die falsche Instanz, um europäische Fehlentwicklungen zu korrigieren. Um sie aber zu entlarven - und die Mittäterschaft der heimischen Parteienkaste gleich mit -, dazu taugt es. Ein anderes Wort dafür ist "Transparenz". Sie wird von den Altparteien zwar ständig beschworen, im Normalfall aber hintertrieben. In der Bundesrepublik liegt inzwischen so vieles im argen, daß mehr Transparenz geradezu revolutionierend wirken kann. Ein weites Betätigungsfeld für eine nationale Kraft.
Die Widersprüche in der Argumentation der "Volksparteien" sind derart schreiend, daß eine kluge, angriffslustige Opposition sie auf Schritt und Tritt ihrer inländerfeindlichen, und unsozialen Machenschaften überführen kann. Wie leicht das geht, wurde in Sachsen ebenfalls am ersten Sitzungstag deutlich. Bislang gab es dort zwei Vize-Landtagspräsidenten. Dank der Mehrheit von CDU und SPD gibt es jetzt drei. Der dritte, völlig überflüssige Stellvertreter wird den Steuerzahler in den nächsten Jahren Millionen kosten. Ein Posten, der in Zeiten leerer Kassen auf wenig Verständnis beim Wahlvolk stoßen wird.
Über den Tellerrand hinaus
Eine Parlamentsfraktion ist ein hervorragendes Aufklärungsinstrument. Vorausgesetzt, man weiß es zu benutzen und vermeidet alte Fehler. Regelmäßig haben in der Vergangenheit ideologische Sollbruchstellen zwischen Koalitionswilligen und nationalen Überzeugungstätern rechte Parlamentsexperimente platzen lassen. Unter den zwölf NPD-Abgeordneten im sächsischen Landtag sind solche Fragmentierungen nicht auszumachen. Sie auch im Zermürbungskrieg des parlamentarischen Alltags zu verhindern, dazu soll der Stab der Referenten und wissenschaftlichen Mitarbeiter beitragen, der in Dresden das Zeug zu einem echten "think tank", einer rechten Denkfabrik hat. Bei seiner Zusammensetzung wurde erstmals auf bewährtes Personal aus der ganzen "Szene" zurückgegriffen, auf Kompetenz weit über die eigenen Parteigrenzen hinaus. Details wie diese verraten, daß es diesmal ernst sein soll mit der vielbeschworenen Einheit der Rechten. Eine Wegweisung, die hoffentlich weit ins deutsche Land hinausstrahlt.
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gruß grüneagonie |