Mal ein Artikel aus dem Multikultiblatt Capital:
Ausländerintegration Was zahlst du?
Eine exklusive Studie räumt endgültig mit einem Vorurteil auf: Nicht die Zuwanderer profitieren von uns, sondern wir von ihnen. Das Ergebnis hat nichts mit politischer Korrektheit zu tun - es beruht auf harten Fakten. Ein Report über Ausländer in der deutschen Wirtschaftswelt.
Der Mann, der im Adidas-Konzern die elektronischen Netze knüpft, kommt aus der Walachei. Adrian Samareanu wuchs in der rumänischen Provinz westlich von Bukarest auf, bevor er in die Hauptstadt übersiedelte und sich an der Universität zum gefragten Computerspezialisten entwickelte. Seit 2001 arbeitet der 34-Jährige für den deutschen Sportartikelhersteller in Herzogenaurach und ist zum Chef der Abteilung Kommunikationstechnik aufgestiegen. Das Team, das er leitet, ist von zwei auf über 60 Mitarbeiter angewachsen, die aus allen Teilen Europas, aus Asien und Amerika stammen. Sie sorgen dafür, dass die weltweit 25000 Adidas-Beschäftigten überall, jederzeit und sicher online verbunden sind. Im Berufsalltag dominiert Englisch. Anders als seine Frau und die beiden Töchter spricht Samareanu daher nach fünf Jahren in Bayern nur wenig deutsch. Braucht er auch nicht, findet er: „Was zählt, ist, dass die Leistung stimmt.“
Das tut sie. Nicht nur bei ihm, sondern bei einem Großteil der sieben Millionen Ausländer, die in Deutschland leben. Das belegt jetzt eine Studie des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA). Die Bonner Denkfabrik, die seit Langem die Folgen der Migration erforscht, hat für Capital mit den neuesten verfügbaren Daten eine umfassende Wirtschaftsbilanz der Menschen ohne deutschen Pass aufgestellt. Kernresultat: Jeder Ausländer zahlte 2004 im Schnitt 1840 Euro mehr Steuern und Beiträge in die Staats- und Sozialkassen, als er an Transferleistungen daraus bekommen hat. Dabei unterzeichnet die Studie den Erfolg der Zuwanderer sogar: Zählte man die acht Millionen deutschen Staatsbürger mit Migrationshintergrund hinzu, dürfte der Überschuss noch höher sein – denn wer die Staatsbürgerschaft erhält, ist oft besser integriert und ausgebildet. „Das Stammtischgerede davon, dass Ausländer auf Kosten der Bundesbürger die Sozialsysteme ausplündern, ist blanker Unsinn“, sagt IZA-Forscher Holger Bonin, der seine Analyse auf das Sozioökonomische Panel stützt, die aussagekräftigste wissenschaftliche Datenbank über deutsche Privathaushalte.
Die Bilanz legt allerdings auch offen: Es besteht noch Aufholbedarf. Der Beitrag der Ausländer zu den Gemeinschaftsaufgaben ist niedriger als der von Deutschen. Deren positiver Saldo liegt pro Kopf bei rund 2750 Euro. Woher die Differenz von gut 900 Euro kommt, zeigt der genauere Blick auf einzelne Jahrgänge: Bei Kindern, Jugendlichen und Rentnern spielt die Nationalität kaum eine Rolle. Sie alle empfangen mehr Geld vom Staat, als sie bezahlen, und die Größenordung innerhalb der Altersklassen weicht kaum voneinander ab. Die Unterschiede im Gesamtbild resultieren aus der Zeit dazwischen: dem Erwerbsleben. Die Ausländer im Alter von 20 bis 60 sind insgesamt Stützen der Gesellschaft – aber nicht so starke wie ihre deutschen Mitbürger.
Das hat mehrere Gründe: Die Bruttoeinkommen von Türken, Spaniern oder Kroaten sind im Durchschnitt niedriger als die der Deutschen, so dass weniger Lohnsteuern fließen. Zudem ist die Arbeitslosenquote mit aktuell 23 Prozent doppelt so hoch. Ein Teil der Ausländer ist schlichtweg zu schlecht qualifiziert und beherrscht die deutsche Sprache zu wenig, um im harten Wettbewerb um Jobs bestehen zu können. So ist der Anteil von Ungelernten an den Arbeitslosen bei Zugewanderten ebenfalls doppelt so hoch wie bei Deutschen. Die überdurchschnittlich große Jobmisere schlägt sich in hohen Transfers aus den Sozialkassen nieder – und in höheren Pro-Kopf-Kosten für den Strafvollzug: Jugendliche ohne Job werden, unabhängig von der Nationalität, häufiger straffällig.
Die Strategie, um die Zahlungsbilanzlücke zwischen Ausländern und Deutschen zu schließen, ist daher klar: Bildungsniveau und Erwerbsquote müssen steigen. Dazu würde es zum einen helfen, wenn der Staat Spitzenkräften die Einwanderung erleichterte. „Deutschland muss als Standort für ausländische Hochqualifizierte und innovative Selbstständige attraktiver werden“, fordert Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Industrie- und Handelskammerdachverbandes DIHK.
Zum anderen ist es dringend nötig, dass die schlecht ausgebildeten Einwanderer – Erwachsene wie Jugendliche – durch Sprachkurse, besseren Unterricht, aber auch stärkere Arbeitsanreize schneller in Lohn und Brot kommen. „Die Rezepte für gering qualifizierte Ausländer sind bis auf Sprachkurse die gleichen wie für die Deutschen“, konstatiert Dennis Snower, Chef des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Snower selbst ist Brite und seine Ankunft in der Beletage der deutschen Wirtschaftsforschung sorgte vor zwei Jahren für Wirbel in der heimischen Wissenschaftsszene und den Medien.
Ein Vorbild für gelungene Integration ist Aicha Zeroual. Die 42-jährige Marokkanerin arbeitet als angestellte Pflegehelferin im Berliner St.-Marien-Haus. Anders als viele islamische Einwanderinnen hat Zeroual nach ihrer Ankunft vor sechs Jahren Deutsch gelernt und anschließend in einem Modellprojekt der Arbeiterwohlfahrt ihre Ausbildung absolviert. „Wenn man in einem anderen Land leben will, ist es das Wichtigste, die Sprache zu lernen“, sagt sie. Weil das ihr Mann – ein eingebürgerter Palästinenser – genauso sieht, unterstützt er seine Frau auch im Wunsch, berufstätig zu sein. Und die Integration ist keine Einbahnstraße: So wie die gläubige Muslimin die neue Sprache angenommen hat, so akzeptiert ihr katholischer Arbeitgeber ihre andere Religion. Sie kann mit Kopftuch arbeiten und bekommt Gelegenheit, ihre täglichen Gebete zu sprechen.
Wie Zeroual gehen drei Millionen Menschen ohne deutschen Ausweis geregelter Arbeit nach und zahlen Monat für Monat ihre Steuern. Sie kümmern sich um das Wohl ihrer Mitmenschen, bauen Autos oder beraten Unternehmen. Während viele ihren Beitrag unauffällig im Heer der Arbeitnehmer leisten, sind andere in die erste Reihe aufgerückt. Zum Beispiel Zhengrong Liu: Anfang der 90er kam der Chinese als Student hierher, „um ein großes Abenteuer zu erleben“. Inzwischen ist er 38, lebt mit seiner Frau und den drei Kindern Jana, Felix und Dorothee in Leverkusen – und ist Personalchef des Chemiekonzerns Lanxess, der weltweit mehr als 15000 Beschäftigte hat. „Für meine jetzige Position sind die Perspektivwechsel zwischen Asien und Europa wertvoller denn je“, sagt Liu. „Sie helfen, meine Entscheidungen aus verschiedenen Blickwinkeln abzuwägen.“
Das Top-Management in deutschen Unternehmen wird internationaler – eine logische Folge der Globalisierung. „Gerade eine Exportnation wie Deutschland braucht ganz oben in der Hierarchie Entscheider, die aus den Absatzmärkten stammen“, sagt Loh Kin Wah. Der Malaysier macht seit 30 Jahren Karriere in deutschen Unternehmen – die meiste Zeit davon in Asien, die letzten Jahre in München. Jetzt ist er an der Spitze angekommen: Seit dem Frühjahr ist Loh Vorstandschef von Qimonda, einem Infineon-Ableger, der mit Speicherchips Milliardenumsätze einfährt. Loh, der ständig zwischen Asien und Europa pendelt und dessen Frau weiter in Malaysia arbeitet, fordert: „Für die deutschen Konzerne müssen Ausländer in den Hauptquartieren noch selbstverständlicher werden – schon aus Eigeninteresse.“
Die Botschaft ist auf dem Weg: Mittlerweile hat bereits jeder vierte Vorstand der 30 Dax-Konzerne einen fremden Pass, ergibt eine aktuelle Analyse der Strategieberatung Simon-Kucher & Partners. Von allen Vorstandsposten, die in den letzten zwei Jahren besetzt wurden, gingen sogar 42 Prozent an Ausländer.
Doch sobald es nicht mehr um die absoluten Top-Positionen geht, haben hoch qualifizierte Ausländer aus Nicht-EU-Staaten es noch schwer, in Deutschland arbeiten zu dürfen. Im vergangenen Jahr erhielten gerade einmal 900 eine Erlaubnis. Das liegt an der hohen Einkommensschwelle im Zuwanderungsgesetz: Kommen darf nur, wer jährlich mindestens 84600 Euro verdient – vor allem für junge Talente eine unüberwindbare Hürde. „Welcher Akademiker fängt schon mit so einem Gehalt an?“, fragt DIHK-Chefmanager Wansleben. Er möchte die Grenze senken, auf rund 40000 Euro.
Aber die Appelle der Wirtschaft verhallen: Wohl nicht einmal die zwischen den Innenpolitikern von Union und SPD schon vereinbarte Senkung des Verdienstminimums auf 64000 Euro wird es geben – weil Arbeitsminister Franz Müntefering die Reform ablehnt. „Die Betriebe sollen mehr ausbilden und ältere Mitarbeiter beschäftigen – dann brauchen sie keine Lockerung des Zuwanderungsgesetzes“, erklärte Münteferings Staatssekretär Gerd Andres vergangene Woche in der zuständigen Koalitionsarbeitsgruppe. Nur: Frisch ausgebildete Lehrlinge oder 55-jährige Langzeitarbeitslose können wohl kaum einen hoch qualifizierten Experten ersetzen.
Immerhin zwei geplante Änderungen dürften die Integration von Ausländern befördern: Zum einen sollen künftig auch die Hartz-IV-Behörden ihre nicht selten widerwillige Klientel verbindlich zu Deutsch-Kursen verpflichten dürfen. Bisher müssen sie dafür das Ausländeramt einschalten – was aus Bequemlichkeit oft unterbleibt. Zum anderen soll Unternehmern aus anderen Nationen ein Engagement in Deutschland dadurch erleichtert werden, dass die Ausländerbehörden ihren Ermessensspielraum besser ausnutzen. Bisher halten die sich meist strikt an die im Gesetz als Anhaltspunkt genannten, aber nicht vorgeschriebenen Untergrenzen: eine Mindestinvestition von einer Million Euro und die Schaffung von zehn Jobs.
Schon jetzt gibt es nach Hochrechnungen des Statistischen Bundesamtes 360000 ausländische Selbstständige. Die meisten führen Ein-Mann-Betriebe, doch immerhin 140000 haben mindestens einen Mitarbeiter eingestellt. „Viele Deutsche unterschätzen die Leistungskraft der Ausländer“, glaubt Cem Özdemir, Europa-Abgeordneter der Grünen. „Sie denken immer gleich an die Rütli-Schule oder Ehrenmorde – aber nicht daran, dass die Steuern zahlen und Jobs schaffen.“
http://www.capital.de/politik/100004919.html
Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben, man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken. |