Schwester auf Kuschelkurs
Von Antonia Götsch
Erst wollte sie nicht, doch inzwischen versucht Angela Merkel, gezielt die deutschen Wählerinnen zu umgarnen. Die Kandidatin hat ihr Frau-Sein als Wahlkampfschlager entdeckt. Die Regierungsfrauen schäumen.
DDP Merkel mit Hollywood-Schauspieler Moeller: Furcht vor dem "Ausziehen" Berlin - Vor dem Eingang des Berliner Maritim-Hotels warten junge Frauen auf die Ankunft der Kanzlerkandidatin. Teenager mit blonden Zöpfchen kreischen "Angie", als sie endlich kommt, und schießen Fotos. Eine Gruppe von Grünen-Frauen hält Plakate hoch: "Wir haben eine Kanzlerin, und ihr kommt wieder an den Herd".
Im Foyer gibt es jene T-Shirts, auf denen Angela Merkel in Che-Guevara-Pose abgebildet ist, darunter steht "Evolution". Eins davon hat sich Ralf Moeller gekauft. Der muskelbepackte Actionfilm-Star, der als "Conan" bekannt wurde, outet sich an diesem Montagabend als Merkel-Fan und möchte seiner Verehrung öffentlich Ausdruck geben.
Merkel ist eigentlich gekommen, um mit Fernsehmoderatorin Ulla Kock am Brink über das Thema "Frauen und ihr Mut zur Macht" zu sprechen. Doch plötzlich steht Muskelmann Moeller auf der Bühne und macht Anstalten, sich sein T-Shirt vom Leib zu reißen und gegen das Fan-Shirt zu tauschen. "Ausziehen", ruft eine Frau aus dem Saal begeistert. Merkel blickt erschrocken. Angestrengt schaut sie an Moeller vorbei. Mit einer Handbewegung gebietet sie, er möge sein T-Shirt doch anlassen.
Die Frau Merkel ist in der letzten Phase des Wahlkampfes doch noch zum Thema geworden. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Kandidatin plötzlich ihr Frau-Sein entdeckt hat. Das Treffen im Maritim ist der vorläufige Höhepunkt wochenlanger Bemühungen, sich in Interviews und Veranstaltungen als Frau zu vermarkten.
AP Merkel-Shirt: Je nach Geschmack "Revolution" oder "Evolution" "Wir finden Frau Dr. Merkel als Frau und nicht nur als Politikerin toll. Sie ist charmant, witzig, geistreich und hat mehr Fachkompetenz als ihre männlichen Konkurrenten", heißt es in der Presse-Erklärung. Organisiert wurde das Treffen von Sonja Müller, der Freundin des ehemaligen CDU-Generalsekretärs Laurenz Meyer. Im Windschatten der ersten weiblichen Kanzlerkandidatur hat sie kurzfristig beschlossen, einen Karriere-Tag für Frauen zu veranstalten. Auf der Gästeliste stehen so engagierte Gleichstellungs-Vorkämpfer wie Promi-Friseur Udo Waltz, Schnulzendarsteller Wayne Carpendale und die Volksmusik-Moderatorin Carmen Nebel.
Merkel, der "Typ gute Freundin"
Das Publikum, darunter viele Männer, ist der Kandidatin wohl gesonnen. Viele kommen aus der CDU. Jeder Scherz wird mit Gelächter goutiert, jede Antwort erhält Zwischenapplaus. Die weiblichen Unionsabgeordneten in der dritten Reihe sagen immer wieder "richtig" und nicken heftig. Fragen, die Merkels Engagement für Frauen betreffen, hat hier eigentlich nur die Moderatorin. Die Unions-Frauen aus der dritten Reihe fragen sich schon eher, ob Meyers 34-jährige Freundin nicht ein wenig zu jung für ihn sei. Und wie man im Wahlkampf einen Saal buchen könne, der tausend Personen fasst und dann halb leer ist.
Es ist nicht leicht, Frauen zufrieden zu stellen, aber Merkel versucht, ihren Geschlechtsgenossinnen näher zu kommen und startet Ausflüge in neue Welten. Während sie früher gegen das Frauen-Quorum in der CDU war, verteidigt sie es heute. Sie hat Interviews in Frauenmagazinen aller Couleur gegeben, von "Cosmopolitan", "Bunte" und "Brigitte" bis hin zur feministischen "Emma". In der "Brigitte" erklärte sie, der Typ "gute Freundin" zu sein. Mit "Emma"-Herausgeberin Alice Schwarzer sprach sie über ihren femininen Kleidungsstil und ihre Leistungen als Frauenministerin.
Der Strategiewechsel ist verständlich. Frauen stellen 52 Prozent der Wahlberechtigten. Sie tendierten bisher regelmäßig dazu, einer Geschlechtsgenossin ihre Stimme zu geben, wie die SPD-Beispiele Heide Simonis (Schleswig-Holstein) und Ute Vogt (Baden-Württemberg) zeigen. Allerdings sind Frauen eher Schröder-Fans, sie haben dem Kanzler vor drei Jahren zu einer zweiten Amtszeit verholfen, während die Mehrheit der Männer für einen Wechsel gestimmt hatte.
Rot-Grün: Von Merkel nichts zu erwarten
Die Frauen von Rot-Grün haben die Gefahr längst gewittert. Eilig versuchen sie, Merkels Wilderei im eigenen Lager auszubremsen und ihr Engagement für die Schwestern in Frage zu stellen. Dabei holzen sie wie die Kerle. Vorneweg Doris Schröder-Köpf mit ihrem Vorwurf, eine kinderlose Kanzlerin könne die Probleme der arbeitenden Mütter nicht verstehen. Inge Wettig-Danielmeier, Schatzmeisterin der SPD, sprang der viel kritisierten Kanzlergattin umgehend zur Seite. "Von Angela Merkel haben Frauen keine gleichen Rechte zu erwarten." Diese habe als Frauenministerin nichts geleistet.
AP Merkel und Künast beim Landfrauentag in Rostock: Lagerkampf um Wählerinnen Die grüne Ministerin für Verbraucherschutz, Renate Künast, warnt: "Wo Frau drauf steht, ist nicht immer Frau drin." Und Bundesfamilienministerin Renate Schmidt betont fast gebetsmühlenartig, dass nur bei ihr und ihren Kolleginnen aus der Regierung eben Frau drinsteckt. Zum TV-Duell erklärte sie: "Frau Merkel versuchte die völlig inhaltliche Leere des Wahlprogramms der Union hinsichtlich moderner Frauen- und Familienpolitik zu vertuschen. Sie glaubt offenbar, selbst Frau zu sein, genüge als Programm."
Die Regierungsfrauen sind nervös. Schließlich hat Angela Merkel nicht nur prominente Unterstützerinnen, die wie Verlegerin Friede Springer im konservativen Lager beheimatet sind. Deutschlands vorderste Feministin Alice Schwarzer entwickelt sich zunehmend zur Schatten-Frauenpolitikerin in Merkels Kompetenzteam. Engagiert verteidigte sie die Kandidatin gegen die Attacken von Schröder-Köpf. Nach dem Duell zwischen Schröder und Merkel verkündete sie im Fernsehen, sie sei stolz auf ihre Geschlechtsgenossin. Dass Rita Süßmuth in Schwarzers "Emma" das Unionsprogramm mit den Worten, die Frauen seien "schlicht vergessen worden", auseinander nimmt, dürfte der breiten Öffentlichkeit hingegen entgangen sein.
Verloren und steif zwischen den Jetzt-Kommen-Wir-Mädels
Auch die Medien und Wählerinnen hinterfragen die Substanz des neuen Merkel-Images als Vorreiterin, Schwester und Alphafrau. Schließlich hat sie sich in den vergangenen Jahren nicht als Frauenpolitikerin profiliert, typische Frauenthemen gemieden und immer wieder betont, dass ihr Geschlecht keine Rolle spiele.
Am Montagabend bleibt sie unverbindlich. Sie will sich auch für Frauen, aber nicht nur für Frauen einsetzen, sagt sie. Die Ganztagsbetreuung sollen die Länder regeln. Es sei wichtig, Frauen den Wiedereinstieg in den Beruf zu erleichtern, aber die Einstellungspolitik der Betriebe werde sich ob des demografischen Wandels sowieso positiv verändern. Merkel fordert auch, dass sich die Männer ändern, allerdings dürfen sie es freiwillig: "Ich wünsche mir eine vorauseilende Minderheit, die sich zu den Deppen der Nation macht, wenn sie zu Hause bleibt und Kinder betreut."
Das klingt eher nach Hoffnung als nach Politik, die im Interesse von Frauen liegt. Und wenn Merkel verspricht, sie wolle gezielt Frauen fördern, kann frau sich auch fragen, warum sie nur drei Damen ins Kompetenzteam geholt hat, zudem als Kandidatinnen für die klassischen "Gedöns"-Ministerien: Familie, Bildung und Verbraucherschutz.
Merkel hat die Schwestern-Strategie erst spät begonnen und wirkt dadurch nicht authentisch. Sie fremdelt, wenn die Frauen plötzlich überschwänglich den gemeinsamen Sieg feiern wollen. Als die Gäste am Montagabend die Bühne stürmen und eine in eine Toga gewickelte Sängerin den Konferenz-Motto-Song "Frauen wie wir" zum Besten gibt, wirkt die Kanzlerkandidatin verloren und steif zwischen den Jetzt-Kommen-Wir-Mädels.
Moeller lässt sein T-Shirt am Ende übrigens an. Er zieht das andere einfach drüber. Und verspricht, von nun an bei jeder Merkel-Veranstaltung dabei sein zu wollen. "Wenn Sie mich rufen, komme ich", sagt er. Merkels Lächeln wirkt gequält.
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