22.07.03 Deutschland bestellt den Super-Klingelton
Wie viele Menschen würden ihr Handy gerne mit der neuesten Komposition von Dieter Bohlen klingeln lassen? Es sind Millionen - darauf wettet jedenfalls die Artesrieder Molkerei Alois Müller, die Deutschlands erfolgreichsten Plattenproduzenten als Zugpferd einer breit angelegten Marketingaktion für Milchreis, Joghurt und ähnliche Produkte verwendet.
Neu an der konzertierten Aktion aus Internetschaltungen, Printwerbung und Fernsehspots mit Bohlen sind die 90 Millionen Bestellscheine für einen Bohlen-Klingelton auf den Produktpackungen. "Das Handy ist für uns die Verbindung von klassischen Werbekanälen mit dem Produkt", sagt Jens-Oliver Hauck, Marketingleiter des Molkereikonzerns, der 2002 einen Umsatz von 1,8 Mrd. Euro erwirtschaftet hat.
Die Kampagne ist symptomatisch für einen noch jungen Trend in der Werbewirtschaft: Immer angestrengter denken Konsumgüterhersteller darüber nach, wie sich die massenhafte Verbreitung von Mobiltelefonen in Europa als ein Vehikel für Werbung und Marketing nutzen lässt.
Zugleich müssen die Hersteller einer bedrohlichen Entwicklung entgegensteuern: Jugendliche investieren ihr Taschengeld massenhaft in Klingeltöne und lassen preiswertere Konsumartikel wie Schokoriegel oder Fanta links liegen.
Überraschender Erfolg
Geradezu enthusiastisch etwa feiert Chris Burggraeve, der Marketingdirektor für Coca-Cola in Deutschland, den Erfolg einer ähnlichen Kampagne im Frühjahr: "Die Zukunft der Markenkommunikation liegt für uns im Mobiltelefon - wir verstehen das Handy als Fernseher der Zukunft." Coca-Cola hatte 160 Millionen Flaschen mit Codes für Klingeltöne, Bildschirmgrafiken und anderem Handy-Zierrat bedrucken lassen. Das Echo: Die Brausetrinker verschickten in sieben Wochen sechs Millionen SMS, um die "Gutscheine" einzulösen - das übertraf die Konzernerwartungen bei weitem.
Als Nebeneffekt hat Coca-Cola durch die Aktion auch Marktforschungsdaten gewonnen - die abgeschickten SMS geben Aufschluss darüber, welches Getränk wann konsumiert wurde. Auf die - technisch mögliche - Auswertung des Konsumortes hat der Konzern verzichtet.
Der Slogan vom Handy als "neuem Fernseher" ist nach Einschätzung von Branchenexperten zu radikal. Die Geräte würden den Fernseher nicht ersetzen, sondern ergänzen. Die Analystin Davnet Cassidy von der Strategieberatung Gartner G2 etwa schreibt in einer aktuellen Studie, dass die Träume vom interaktiven TV in Europa mit Hilfe von Mobiltelefonen realisiert werden können.
Werbeumsätze fest eingeplant
Die von sinkenden Umsätzen geplagte Werbebranche ist froh um jedes Lebenszeichen. "Die Budgets für kombinierte Kampagnen aus klassischer Werbung und Mobilfunk haben jetzt fast zweistellige Millionenbeträge erreicht. Das Feld wird auch von den klassischen Werbeagenturen entdeckt", sagt Michael Birkel, Chef der Spezialagentur 12Snap, die für die Coca-Cola-Kampagne im Juni einen Silbernen Löwen beim Werbefestival in Cannes erhalten hat.
Aktionäre von 12Snap, die in diesem Jahr mit einem Umsatz um die 20 Mio. Euro rechnet, sind zwei Giganten der Mobilfunkbranche: der britische Konzern Vodafone und der finnische Handyhersteller Nokia. Die Mobilfunkbranche hat ein massives Interesse daran, dass sich ihre Netze und Geräte als Werbeträger etablieren: Bei den Profitmodellen für die milliardenteuren UMTS-Netze sind Werbeumsätze fest mit eingeplant.
Quelle: Financial Times Deutschland
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