Peter Scholl Latour | Journalist, Schriftsteller, Weltreisender
| Er hat die ganze Welt bereist, darüber in großen Fernsehreportagen berichtet und viele Bücher geschrieben. Peter Scholl-Latour ist Journalist und kennt den Nahen und den Fernen Osten wie kaum ein anderer. Im vergangenen Jahr bekam der promovierte Professor den Deutschen Fernsehpreis. Vor Jahren begleitete er als französischer Soldat Ayatollah Khomeini aus dem Exil von Paris nach Teheran. Keinem Abenteuer hat sich Peter Scholl-Latour - inzwischen 78 Jahre alt - verweigert und immer hat er für die große Öffentlichkeit voller Spannung darüber berichtet. Sein Buch über Indochina "Der Tod im Reisfeld" wurde 1,3 Millionen mal verkauft.
Peter Scholl-Latour, fügt sich Ihr großer Erinnerungsschatz nun zu einer Lebensgeschichte zusammen? Gibt es so etwas wie einen Gesamtüberblick? Ja, es gibt natürlich verschiedene Kapitel in meinem Leben. Es hat z.B. eine asiatische Epoche gegeben. Ich muss jedoch ehrlich sagen, was ich erlebt habe, ist im Grunde ein allgemeiner Rückzug. Ich war Gefährte des Rückzuges, sagen wir der europäischen Zivilisation, die mal die ganze Welt beherrscht hatte. Und jetzt wird sie von andere Kulturen beherrscht.
Hatten Sie auf einer Ihrer Reisen eine Erkenntnis, die Sie als die bedeutendste, überraschendste, wichtigste, für Sie benennen? Die Vergänglichkeit der Macht. Als ich angefangen habe, waren noch die europäischen Kolonialmächte überall vertreten. Dann habe ich auch noch die Macht der Sowjetunion erlebt. Wir müssen wieder darauf achten, dass das Böse nicht identifiziert wird mit irgend einer Geisterströmung wie dem Islam. Das wäre viel zu einfach. Das wäre außerordentlich gefährlich und ungerecht. Jetzt kehren wir in ein mythisches Zeitalter zurück, nachdem wir glaubten, voll im Materialismus zu leben.
Würden Sie sagen, dass dieser Wechsel der Vorzeichen etwas ist, was als Erkenntnis im Mittelpunkt steht. Ja, das ist es, was ich im Gegensatz zu vielen meiner Kollegen von Anfang an bei meiner Berichterstattung immer berücksichtigt habe: Die Wiedergeburt des Religiösen. Dies äußert sich beim Islam. Aber der amerikanische Patriotismus hat auch eine religiöse, fundamentalistische Grundlage, was keine vereinzelte Erkenntnis ist. Der französische Schriftsteller André Malreau hat mal geschrieben, das 21. Jahrhundert werde religiös sein. Das ist noch sehr schwer zu vermitteln, da in Europa dieses Gefühl für die Mythen und für die Religion auch weitgehend abhanden gekommen ist.
Es heißt, Sie sind ein religiöser Mensch. Stimmt das? Ja, zumindest betrachte ich die Dinge unter dem Aspekt der Ewigkeit, jedoch über das rein Materielle und Wirtschaftliche hinaus.
Sie haben ja diese ganzen Schauplätze, die in der Bibel so eine große Rolle spielen, ob es jetzt im Alten oder Neuen Testament ist, sich genau angekuckt. Sie haben die Menschen kennen gelernt, Sie sind die Wege nachgegangen. Was ist denn aus Ihrer Sicht im 20. Jahrhundert anders? Oder was ist gleich im Vergleich mit der Bibel? Es ist erstaunlich und teilweise sogar erschreckend, wie wir an die Ursprünge direkt zurück geführt werden. Da sind im Moment alle fasziniert und auch erschrocken über das, was sich im Heiligen Land abspielt. Und ich war jetzt gerade im Irak gewesen und bin dann nach Ur gefahren, also im Südirak. Der Irak, wo übrigens die meisten Propheten der Bibel, die ja auch von den Muslimen verehrt werden, gelebt haben. Übersetzt man das Wort Irak, so ergibt sich sinngemäß "die Ehre der Propheten". Abraham - oder Ibrahim wie die Muslime sagen - hat wohl ursprünglich in Ur gelebt. Er ist mit seinen Herden von dort weggezogen in das gelobte Land. Abraham ist ja der Stammvater sowohl der Juden als auch der Araber. (Anmerkung der Redeaktion: Abraham zeugte zwei Söhne, Ismael, Stammvater der Muslime und Isaak, Stammvater der Juden) Eine Sache, die man oft vergisst.
Wenn Sie jetzt diese Länder bereisen, diese Städte sehen und mit diesen Menschen sprechen, ist das so, wie Sie es sich zuvor in der Bibel vorgestellt haben? Ich bin schon sehr lange mit dieser Gegend verbunden. Ich habe sogar einen Teil meines Studiums in Beirut, also im Orient gemacht. Ich kenne diese Länder seit 1951 durch intensives Reisen. Aber ich stelle eines fest, dass eine religiöse Rückbesinnung an der Spitze der Staaten noch nicht stattgefunden hat. Selbst der Irak ist gar kein fundamentalistischer Staat, wie manche gerne behaupten, sondern eher ein säkularer Staat unter Saddam Hussein. Aber in den Massen gibt es eine sehr weite Verbreitung dieses religiösen Gefühls und das ist recht eindrucksvoll. Ich habe das von Anfang an verkündet. Damals bin ich viel verlacht worden. Ich bin 1958 zum ersten Mal nach Zentralasien in die damals noch sowjetischen Teilrepubliken gefahren, die überwiegend muslimisch sind. Ich sagte damals unserem Botschafter in Moskau: Der Islam ist dort nicht tot. Er kommt wieder. Das hat damals große Heiterkeit ausgelöst.
Warum verbindet die drei großen Religionen Islam, Christentum und Judentum so wenig? Schließlich stammen sie alle aus der gleichen Gegend. Besteht der Grund, warum sie so gegeneinander sind darin, dass sie sich so nah sind? Ich glaube, sie sind zu nah verwandt. Das Christentum steht ein bisschen außerhalb, auch wenn es sich auf Abraham bezieht, auf die Offenbarung. Auf den Monotoismus (?). Die Muslime stören sich daran, dass die Christen die Dreifaltigkeit haben, also nicht die absolute Einzigkeit Gottes, wie es im Islam vorgeschrieben ist. Das Christentum steht auch deshalb abseits, weil keine ethnische Bindung da ist. Araber und Juden sind ethnisch, sagen wir ruhig rassisch eng verwandt. Sie haben beide den gleichen Ursprung und sind semitische Völker. Und sie berufen sich beide auf die biblischen Propheten. Der Koran ist ein einziges Zitat von Bibelsprüchen. Die jüdischen Propheten sind auch Propheten des Islam. Jesus übrigens auch. Er ist ein großer Prophet. Und es geht im Grunde um einen Wettstreit, der begonnen hat unter Abraham, als dieser laut jüdischer Version seinen Sohn Isaak - Stammvater der Juden und Sohn der Jüdin Sarah - bevorzugt hat gegenüber Isaaks Halbbruder Ismael, Sohn der Nebenfrau Hagar. Beide, Ismael und Hagar wurden laut Bibel von Abraham verstoßen. Bei den Muslimen hingegen stellt sich Abraham auf die Seite Ismaels. Baut mit ihm zusammen die Kaba von Mekka. Es ist gewissermaßen ein Erbstreit im Hause Abraham, ein Streit zwischen beiden Völkern um die Gunst Gottes. Das ist der Kern dafür, dass es Territorialprobleme gibt.
So ist dieser Streit ist im Grunde bis heute der Stein des Anstoßes. Absolut. Der Tempelberg, auf dem früher der salomonische Tempel stand und der für die Muslime ein Heiligtum ist, weil dort der Prophet Mohammed in einer Nacht der Offenbarung zum siebten Himmel erhoben wurde. Im Felsendom fand auch laut islamischer Überlieferung das abrahamitische Opfer statt. An dieser Stelle wurde dann symbolisch ein Hammel anstelle des Sohnes geopfert. Das ist in der islamischen Religion ganz entscheidend. Insofern ist dieser Ort auch für die Muslime unverzichtbar, Während er für die Juden natürlich das allerheiligste geblieben ist.
Wie würden Sie es als erfahrener und kenntnisreicher Mensch angehen, mit einem Juden, einem Muslim und einem Christen am runden Tisch das Problem zu bereinigen? In einem kleinen Kreis geht das relativ leicht. Da sind die Konfrontationen am geringsten, da kein Publikum dabei ist. So ist doch die Vernunft im allgemeinen vorherrschend. Dann kommt es zu relativ gemäßigten Äußerungen. Aber wenn der Gruppenkomplex hinzu kommt, dann ist es eben sehr schwer, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Laut Koran werden Christen und Juden als Familie des Buches dargestellt. Sie hatten die gleiche Offenbarung wie die Muslime auch. Nur seien sie von der wahren Offenbarung, die mit Abraham begonnen hatte, abgewichen. Mohammeds Aufgabe war es dann, diese Religion wieder in ihrer ursprünglichen Reinheit herzustellen.
Was bedeuten diese Erkenntnisse für Ihren persönlichen Glauben? Es ist eines ganz wichtig, wenn man in diese Regionen reingeht. Man muss sich zu einer Religion bekennen. Ein Atheist wird dort kaum als Mensch betrachtet. Jemand, der nicht an Gott glaubt, wird nicht anerkannt. Die Qualität Christ oder Jude zu sein, ist ganz entscheidend.
Stärkt denn diese Kenntnis der Orte den Glauben oder ist das eher ernüchternd? Im Grunde doch. Es ist auch eine persönliche Erfahrung. Eine tiefgläubige Gemeinschaft zu sehen, die in ihrer Religion ruht, ist schon ganz eindrucksvoll. Die Hauptqualität des Islam ist, dass der Mensch in Gott ruht. Dass er sich dem Willen Gottes unterwirft. Man kann auch sehr seltsame Parallelen herstellen insbesondere zum heiligen Augustinus, der gesagt hat: Unruhig ist unser Herz, es ruht in dir, oh Gott. Den gleichen Ausspruch gibt es faktisch genau im Koran, obwohl Mohammed weder Kontakt zu Augustinus hatte, noch zur gleichen Zeit wie dieser lebte. Auch die Idee vom Gottesstaat hat Augustinus damals entwickelt, oder sogar die Idee des gerechten Krieges. All das sind Dinge, die sehr, sehr islamisch verbunden sind. Im Judentum sind die Beziehungspunkte noch viel zahlreicher. Denn ursprünglich war ja Mohammed von der Annahme ausgegangen, die Juden würden ihn als einen neuen Propheten anerkennen. Er hat in seiner ersten Phase, als er noch seinen Streit mit den Juden in Medina hatte, den Sabbat als Feiertag angenommen. Und die Gebetsrichtung war damals nicht Mekka, sondern Jerusalem. Nach dem Zerwürfnis mit den Juden hat er Neuerungen eingeführt, den Freitag zum Feiertag erklärt und die Gebetshaltung nach Mekka gerichtet.
Sie sind im Lauf Ihres Lebens ein sehr mutiger Journalist gewesen, der kein Abenteuer und auch keine Gefahr gescheut hat. Gibt es etwas, wovor Sie persönlich Angst haben? Es gibt Situationen, wo man eine gewisse Angst spüren muss. Angst ist so, wie wenn man an einem brennenden Ofen lang geht, und man berührt ihn nicht. Es gibt da gewisse Warnreflexe.
Gesunde Vorsicht - Das ist eigentlich keine Angst. Ich bin nie leichtsinnig gewesen. Ich habe auch immer sehr darauf geachtet, dass den Kamerateams, die mich begleiteten, nichts passiert. Ihnen galt meine besondere Sorge. Ich bin sehr froh, dass tatsächlich niemand je etwas passiert ist und wir uns richtig verhalten haben.
Aber Angst haben Sie keine? Ich bin nicht ängstlich veranlagt. Ich rühme mich dessen nicht.
Haben Sie Angst vor dem Tod? Nein, nicht in meinem Alter. Was ich mir wünsche, ist einen gnädigen Tod. Ich möchte nicht langsam dahinsiechen. Aber der Tod selbst ist different. Das ist die einzige Gewissheit, die wir im Leben haben.
Wenn Sie einmal einen Wunsch frei hätten, was wäre es? Wenn es mich selbst betrifft, in Frieden zu sterben.
| Peter Scholl-Latour
im Gespräch...
mit Hanno Gerwin | |
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Peter Scholl-Latour Peter Roman Scholl-Latour wurde im März 1924 in Bochum geboren. Er studierte von 1948 bis 1953 Literaturwissenschaft und Politikwissenschaft an der Sorbonne/Paris und in Mainz. Seit 1950 ist er als Journalist tätig, er übernahm Aufgaben in fünf Erdteilen. Er war ARD Korrespondent in Afrika und Paris, Programmdirektor des WDR-Fernsehens, Vorstandsmitglied von Gruner + Jahr und Herausgeber der Zeitschrift "stern". Bekannte Bücher von ihm: "Der Tod im Reisfeld 1979; "Die sieben Gesichter Chinas" 1981; "Der Ritt auf dem Drachen" 1988; "Den Gottlosen die Hölle" 1991; "Lügen im Heiligen Land" 1998. | |