Kaum haben die Aktienmärkte nach dem schlimmsten Jahresanfangseinbruch den ersten Bodenbildungsversuch absolviert, blasen die Bullen wieder zum Einstieg. Die einen schreiben die Entwicklung flugs dem Betrugsfall bei der Soc. Gen. zu, obwohl schon die bloße Tatsache, dass so etwas offenbar (nach Nick Leason und der Barings-Bank) immer noch passieren kann, alles andere als bullisch ist. Die anderen argumentieren, das sei deshalb nicht der Beginn einer Baisse, weil die Gründe für den Kurssturz ja alle mehr oder weniger bekannt gewesen wären. Als ob eine Baisse nur dann ausbrechen könne, wenn etwas völlig Unerwartetes die Märkte überrascht. Genau das ist meist nicht der Fall – es kommt nur einfach irgendwann der Tag, an dem die gesamten, schon vorher bekannten Entwicklungslinien zusammenlaufen und es einfach „zu viel“ wird. Kommentatoren rätseln, was die Fed bewogen haben könnte, die amerikanischen Leitzinsen in dieser Woche außerplanmäßig um starke 0,75 Prozent zurückzunehmen: „Was weiß die Fed, was wir nicht wissen?“ Gut möglich, das sie von der Entwicklung in den Kreditmärkten getrieben wurde. So hatte der Spread bei Credit Default Swaps in dieser Woche zeitweise die Marke von 500 Basispunkten übersprungen. Entspannung gab es erst, als bekannt wurde, dass die beiden großen US-Monoliner mit einer Kapitalspritze rechnen können. Ambac und MBIA versichern zusammen 2,4 Bill. Dollar an öffentlichen Anleihen. Beobachter glauben, im 45 Bill. Dollar großen Markt der Credits Default Swaps lauert das Risiko eines System-Crashs des internationalen Finanzsystems, wenn die Rezession in den USA lange dauert und heftig ausfällt. Das macht es verständlich, warum die Märkte so extrem negativ auf zuvor bekannt gewordene Gerüchte um eine Insolvenz eines der großen Monoliners reagiert hatten. Und erklärt vielleicht auch den großen Zinsschnitt der Fed, der von manchen als von Panik motiviert angesehen wurde. Natürlich bricht eine Baisse nicht an einem Tag aus und zieht die Kurse in einem Rutsch nach unten. Aber das bullische Szenario ist jetzt stark angeschlagen. Sinkende Leitzinsen helfen am aktuellen Punkt noch, die Hoffnung auf einen „guten Ausgang“ des wirtschaftlichen Abschwungs zu nähren. Auch für die anstehende reguläre Zinssitzung in der kommenden Woche wird mit einem weiteren Zinsschnitt gerechnet. Natürlich nützt das vor allem den zuletzt arg gebeutelten Banken, die in ihrem traditionellen Geschäft von der Differenz zwischen den kurz- und den langfristigen Zinsen leben. Die beträgt jetzt zwischen der Rendite der 13-wöchigen TBills und den 30-jährigen TBonds 2 Prozent, so viel wie zuletzt Mitte August 2007 und davor im Frühjahr 2005. Aber ob das ein nachhaltig bullisches Szenario begründet? Nein, dazu hat sich jetzt zu viel zusammengebraut und die Perspektive einer harten Landung der US-Wirtschaft steht zu deutlich vor den Augen der Akteure. Denken wir an das zweite Quartal 2001 zurück – da beflügelten fallende Leitzinsen fast zwei Monate lang die Aktienindices, als die damalige Rezession gerade begonnen hatte. Gut möglich, dass aktuell genau diese Phase nachgezeichnet wird. Damals gab es am 18. März, 18. April und 15. Mai eine Zinssenkung um jeweils 0,5 Prozent. Kurz danach war die Party vorbei. Der Boden beim S&P 500 wurde schließlich erst zwischen Juli 2002 und März 2003 ausgebildet, also lange nach Ende der damaligen Rezession. Da sage noch einer, die Aktienmärkte schauten sechs Monate in die Zukunft. Ich hatte an dieser Stelle in der vergangenen Woche die Frage gestellt: „Rezession?“ Roubini und andere sehen deren Eintreten noch in diesem Quartal. Das ist gut möglich und würde auch dafür sprechen, dass nach Ende der laufenden Erholungsphase (vielleicht bis 1380 oder 1400 im S&P 500) die nächsttiefere Etage bei gut 1200 Punkten winkt. Und das dürfte noch nicht das Ende sein. Jetzt wird von interessierter Seite das Argument „Aktien sind preiswert“ herumgereicht. Das mag sein. Auch 1929 z.B. waren Aktien keineswegs teuer und doch wurden sie bald danach noch viel billiger. Als dann klar wurde, dass eine Weltwirtschaftskrise anstand, änderte sich der Bewertungsmaßstab und auf einmal waren sie selbst auf erheblich erniedrigtem Niveau noch zu teuer. Aber wie gesagt, aktuell steht –abgesehen von (starken) nervösen Zuckungen- übergeordnet eine Kurserholung an. DAX und Dow haben, wenn auch knapp, in ihren seit 2003 bestehenden Aufwärtskanal zurückgefunden, der Dow klopfte gestern schon wieder an seiner EMA14 an. Die betrachteten Marktindikatoren hatten in den vergangenen zehn Tagen einen bärischen Maximalwert ausgewiesen. Hiervon beginnen sie sich jetzt zu lösen, die Auswertung des PCR und der Positionierung in Indexoptionen macht den Anfang einer noch zaghaften bullischen Wende. Die Marktstruktur steht kurz davor, erneut in eine Akkumulationsphase einzutreten, die Marktbreite hat sich in den vergangenen Tagen schon verbessert. Damit würde sich das Indikatorbild weiter zur bullischen Seite hin neigen. Vermutlich wird die Technologie nach Startschwierigkeiten in dieser Erholung besonders gut abschneiden, das legt u.a. die Entwicklung des Halbleiterindex SOXX nahe. Da der Fremdkapitalanteil bei Technologieunternehmen besonders hoch, spielt die Zinsentwicklung eine wichtige Rolle. Wenn gleichzeitig der Dollar weiter Schwäche zeigt, heizt auch das die Erwartung steigender Gewinne multinational operierender US-Unternehmen an. Und treibt die Kurse. Wichtigen Aufschluss über die Risikofreudigkeit geben die „Carry-Trade-Indikatoren“ Dollar/Yen und Euro/Yen. Hier sehen die TimePattern wieder Aufwärtspotenzial. Liquidität kommt aber auch woanders her: Die TBond-Rendite hat den seit 1965 bestehenden Boden bei knapp 4,2 Prozent getestet und ist hier im Rahmen eines kleinen TBond-Crashs gestern dynamisch nach oben abgeprallt. Das Argument der Bullen: Die TBond-Kurse haben ihr Aufwärtspotenzial jetzt wohl erst einmal ausgereizt und sind im Vergleich zu Aktien zu teuer. Nicht zu vergessen, der Transport-Index. Er fiel vorgestern durch einen fast schon idiotischen Sprung um mehr als 7 Prozent auf. Aktien von Transportunternehmen hängen besonders eng an der Globalisierung. Eine solche Bewegung signalisiert die Überzeugung (oder den Wunsch), dass sich an der internationalen Arbeitsteilung nichts ändern wird und auch sonst alles seinen gewohnten Gang geht. Zunächst jedenfalls mag das auch stimmen... ----------- Gruss Moya |