Dossier Behörde kanzelt Roche und Merck ab von Peter Kuchenbuch (Hamburg) Die Pharmaindustrie hat immer größere Probleme, hohe Preise für die von ihr neu entwickelten Krebsmedikamente durchzusetzen. Davon betroffen ist neben dem Schweizer Pharmakonzern Roche auch der Darmstädter Chemieund Pharmakonzern Merck. Erbitux, das Darmkrebsmedikament von Merck Dessen Darmkrebsmedikament Erbitux wurde gerade von der britischen Behörde NICE (National Institute for Health and Clinical Excellence) als überteuert eingestuft. Die Höhe der Therapiekosten mit Erbitux stehe in einem Missverhältnis zum Therapieerfolg. Folglich soll die Erbitux-Behandlung in Großbritannien nicht vom nationalen Gesundheitsdienst erstattet werden. Ein Firmensprecher kündigte am Dienstag an, Merck werde rechtliche Schritte gegen die Entscheidung einleiten. Das NICE bewertet auch die Wirtschaftlichkeit von Roches Milliardenbringer Avastin - ebenfalls ein Mittel gegen Darmkrebs - negativ und rät von einer Erstattung ab. Auch mit Blick auf Deutschland in Alarmstimmung Das Krebsmedikament Avastin von Roche "Die Entscheidungen des NICE sind ein Frühindikator für die Nutzenbewertung von Medikamenten in anderen europäischen Märkten", sagt Peter Düllmann, Analyst beim Bankhaus Sal. Oppenheim. Die Pharmaindustrie ist auch mit Blick auf Deutschland in Alarmstimmung. Das hiesige NICE-Pendant heißt Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, kurz IQWiG. Für Aufsehen sorgte zuletzt dessen negatives Urteil über den Nutzen so genannter Insulinanaloga zur Behandlung von Diabetes Typ 2. Diese Medikamente werden künftig höchstwahrscheinlich nicht mehr von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet. Ein ähnlicher Rückschlag droht dem mit rund 300 Mio. Euro umsatzstärksten Medikament in Deutschland, dem Blutverdünner Clopidogrel. Hier zu Lande wird das Mittel von Sanofi-Aventis unter dem Namen Plavix und von Bristol-Myers Squibb als Iscover verkauft. Das Mittel soll Herzinfarkt und Schlaganfall vorbeugen. Am Freitag wird der Abschlussbericht des IQWiG zum Einsatz bei Herzpatienten veröffentlicht. Dabei geht es um die Frage, ob Acetylsalicylsäure (Aspirin, ASS) genauso gut wirkt wie eine Kombinationstherapie von Acetylsalicysäure mit Clopidogrel. Im Vorbericht des IQWiG vom 27. März heißt es, Clopidogrel senke im Vergleich zur ASS-Monotherapie zwar das Thromboserisiko. Es sei aber nicht nachgewiesen, dass die Sterblichkeit Thrombose gefährdeter Patienten insgesamt sinke oder Herzinfarktpatienten von dem Medikament zusätzlich profitierten. Veröffentlichung kommt zu schlechtem Zeitpunkt ZUM THEMA DOKUMENTE, AUDIO/VIDEO RESSOURCEN • Merck erleidet herben Rückschlag (http://www.ftd.de/unternehmen/industrie/88127.html) • Merck lüftet Geheimnis um Schering-Gezerre (http://www.ftd.de/unternehmen/industrie/84972.html) • (€) Merck erhält erweiterte Zulassung für Erbitux (http://www.ftd.de/unternehmen/industrie/62025.html) • (€) Gesundheitswirtschaft: Qualitätsnetze gegen Darmkrebs (http://www.ftd.de/unternehmen/gesundheitswirtschaft/60830.html) • (€) Nanokugeln gegen Krebs (http://www.ftd.de/forschung/27542.html) • (€) Merck entwickelt neues Krebsmittel mit Takeda-Konzern (http://www.ftd.de/unternehmen/industrie/24272.html) • NICE: Healthcare services for bowel (colorectal) cancer (pdf) (http://www.ftd.de/div/link/106693.html) • NICE: Colorectal cancer (metastatic) - bevacizumab & cetuximab - Final appraisal determination (pdf) (http://www.ftd.de/div/link/106694.html) • NICE: A guide to NICE (pdf) (http://www.ftd.de/div/link/106695.html) • Medknowledge: Cetuximab (Erbitux) - Antikörper gegen Darmkrebs (http://www.ftd.de/div/link/106687.html) • Darmkrebs.de: Darmkrebs - Überblick (http://www.ftd.de/div/link/106689.html) • Medizin Aspekte: Erbitux europaweit zugelassen (http://www.ftd.de/div/link/106696.html) • Ärztezeitung: Antikörper und Bestrahlung lassen sich gut kombinieren (http://www.ftd.de/div/link/106698.html) • BMWi: Branchenfokus Pharmaindustrie (http://www.ftd.de/div/link/106699.html) Die kommende Veröffentlichung kommt für Sanofi und Bristol-Myers zu einem schlechten Zeitpunkt. Plavix, das weltweit 6 Mrd. $ Umsatz macht, sorgt in den USA für negative Schlagzeilen: Der kanadische Generikahersteller Apotex attackiert seit dem 8. August erfolgreich das patentgeschützte Original mit einer eigenen preiswerteren Nachahmerversion. Zudem befassen sich Staatsanwälte und Kartellbehörden mit möglicherweise illegalen Absprachen der drei Wettbewerber untereinander. Sowohl IQWiG wie auch NICE haben eine zentrale Aufgabe: Sie sollen auf Grundlage wissenschaftlicher Gutachten dazu beitragen, die Kosten im Gesundheitssystem zu senken. "Zu dieser Steuerungsfunktion gibt es keine Alternative", sagt Klinikmanager Volker Jacobs von der Frauenklinik der TU München. "Therapien werden in Zukunft teurer, nicht billiger. Ohne klare Grenzen, ohne eine Kosten-Nutzen-Bewertung wird es nicht mehr gehen." Wirkung durch Studien gesichert Roches Darmkrebsmittel Avastin ist seit Januar 2005 zugelassen und hat im ersten Jahr in Europa 160 Mio. Euro umgesetzt. Erbitux ist hier seit 2004 auf dem Markt und erzielte 2005 rund 218 Mio. Euro Umsatz. In beiden Fällen ist die Wirkung durch Studien gesichert. Eine lebensverlängernde Wirkung um fünf Monate war allerdings nur für Avastin klar erkennbar (20,3 gegenüber 15,6 Monaten); der Lebenszeitgewinn (8,6 versus 6,9 Monate) für Erbitux hat die statistische Signifikanz bislang verfehlt. Die Behandlung mit Avastin kostet in Großbritannien im Schnitt umgerechnet 26.000 Euro pro Patient, mit Erbitux 17.300 Euro. NICE ermittelte bei der Kosten-Nutzen-Bewertung den Gewinn an Lebensjahren in guter Lebensqualität. Der Wert soll nicht mehr als 44.000 Euro betragen. Beide Medikamente liegen mit dem doppelten Wert weit darüber. Nutzenbewertung IQWiG Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) wurde am 1. Juni 2004 als private Stiftung gegründet und ist im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses von Ärzten und Krankenkassen oder des Bundesgesundheitsministeriums tätig. Zu den Aufgaben gehört die Bewertung von Medikamenten, Operations- und Diagnoseverfahren sowie Behandlungsleitlinien. Leiter des in Köln ansässigen Instituts ist Peter Sawicki. NICE Das britische NICE (National Institute for Health and Clinical Excellence) widmet sich der Nutzenbewertung von Arzneimitteln unter wirtschaftlichen Aspekten - darin unterscheidet es sich vom IQWiG, das bislang nicht die ökonomischen Parameter beleuchtet. Die Empfehlungen des NICE sind richtungsweisend für die Behandlungsentscheidungen der Ärzte des staatlichen britischen Gesundheitsdienstes (National Health Service, NHS). Zwar sind britische Ärzte nicht verpflichtet, sich an die NICE-Ratschläge zu halten. Allerdings werden neue Medikament oft nicht verschrieben, wenn NICE dies nicht ausdrücklich empfiehlt. Erstattung In Deutschland erstatten die Krankenkassen die neuartigen Krebsmedikamente - es gibt keine Anzeichen, dass sich dies ändern wird. Das britische Gesundheitswesen gilt als marode. Anders als in Deutschland ist das britische Gesundheitssystem größtenteils steuerfinanziert. Das Grundprinzip besteht in der Erbringung von unentgeltlichen Gesundheitsleistungen für alle. |