| Der Satz des Jahres zu Jahresbeginn Verehrte Leserinnen und Leser, Auch ich darf Sie hiermit persönlich in der Achter- oder Geisterbahn 2008 persönlich willkommen heißen. Ich hoffe, Sie sind gut „rüber gekommen“. Ich persönlich hatte erwogen, doch besser in 2007 zu bleiben. Was soll man von einem Jahr halten, dass mit derartigem Krach beginnt ... und damit zeigt, dass der Anteil derer, die lieber 20 Euro spenden statt für 50 Euro ihrer Nächsten Trommelfelle zu beschädigen, nicht wächst. Aber mein Missmut war schnell dahin:
Der erste Handelstag hatte Pfeffer. Und ich hatte das Glück, auf Bloomberg-TV einen Satz zu vernehmen, den ich mal im Vorfeld besserer Gags zum bisherigen Satz des Jahres erkläre: „Gleich am ersten Handelstag haben die Analysten recht bekommen. Nicht so sehr, was die Richtung angeht, aber was die Volatilität betrifft“.
Ist das ein Brüller oder nicht? Und wenn das Anerkennung wert ist, wieso bin ich Dussel denn bloß nicht Analyst geworden? Aber es ist doch nie zu spät, daher reihe ich mich noch schnell unauffällig ein! Also, ich sage voraus:
Die Börsen werden schwanken. Und das (oho!) in beide Richtungen!
Heute ist die Lage gut .. aber morgen wird sie noch besser!
Damit wäre dann ja nun alles gesagt. Viel Erfolg, hahaha. Aber genug der Häme, gehen wir zum Sarkasmus über. Ich stelle fest, dass viele der – Sie wissen ja, was ich von dem Blödsinn per se halte – Jahresprognosen eines übereinstimmend aussagen:
Im ersten Halbjahr wird es wegen der wirtschaftlichen Probleme noch schwierig, aber in der zweiten Jahreshälfte werden die Kurse wieder steigen und wir werden am Ende erneut ein gutes Börsenjahr sehen.
Hm. Vielleicht ist Analyst doch zu schwierig für mich. Und wie meine Mutter zu sagen pflegt: Ich bin doof geboren und habe nichts dazugelernt. Deshalb wohl fühle ich mich ob derartiger Weissagungen immer so klein und dumm. Aber wenigstens (ich hoffe, ohne von den Bullen niedergebrüllt zu werden) eine demütige Rückfrage möchte ich stellen:
Sie müssen es gewusst haben ...!
Diese beinharten Gesellen, die wissen, dass die Kurse im zweiten Halbjahr 2008 steigen werden ... warum haben die geschwiegen, als es um die Frage ging, wie weit der Euro in 2007 klettern würde? Oder dass der Dax in 2007 steigen, der S&P 500 nahezu unverändert bleiben und der Nikkei im Gegenteil fallen würde? Sie müssen gewusst haben, dass die Subprime-Krise kommen würde, wie stark sie ausfallen wird dass die Aktienmärkte darauf kaum reagieren werden. Sie müssen es gewusst haben! Denn wenn nicht ...
... wie können sie dann weissagen, dass die US-Konjunktur in sechs Monaten wieder Fahrt aufnimmt, sich die Kreditkrise beruhigen wird und die Aktienmärkte, die vorher deswegen nicht gefallen sind, daraufhin steigen werden?
Aber wenn sie das alles gewusst hatten und so hätten beweisen können, dass sie trotz der Unzahl an in sich selbst kaum vorhersehbaren Einflussfaktoren (die wiederum einen Mix bilden, bei dem nicht einmal einen Tag vorher klar ist, wie die Millionen Investoren weltweit darauf reagieren werden) die Zukunft der Börsen kennen ... warum haben sie uns das damals nicht verraten?
Aber ... wenn sie das alles nicht vorhergesehen haben ... wieso stellen sich die Analysten dann heute hin und geben solche Prognosen zum besten ... die das Risiko bergen, dass die Anleger sie glauben und sich entsprechend positionieren? Wissen sie nicht, dass das die Gefahr birgt, ein vorgefasstes Szenario im Kopf herumzutragen und so bei Veränderungen von den Weissagungen nicht rechtzeitig zu reagieren? Ein Mirakel.
Gehrt ermittelt
Ich erdreiste mich, dergleichen Fragen in den Raum zu stellen, weil ich über meine obige, bahnbrechende Weissagung hinaus nie irgendetwas prognostiziere. Ich habe auch keine Theorien, keine Ahnungen. Ich halte es mit George Simenons Maigret: Ich ermittle nur.
Einfach, weil mir bis heute niemand erklären konnte, warum solche Vorhersagen bei der komplexen Struktur, aus der die Börsenkurse entstehen, jemals eine realistische Chance haben sollen, einzutreffen. Und zum zweiten, weil ich keine Ahnung habe, warum es in irgend einer Weise wichtig sein soll zu wissen, was die Aktien ab Juli machen, während ich gleichzeitig (nicht ich, sondern „man“) der alten, dämlichen Regel folge, dass auf die Jahresendrallye (ausgefallen) die Neujahrsrallye folgt und fröhlich bei 8.100 am 2. Januar morgens Dax-Aktien kaufe, um dann am Abend bei 7.925 meine Weisheit zu rühmen. Oder anders gesagt keine Ahnung habe, was in einer Stunde passiert.
Gut und schön, man kann hier einwenden, dass die üblen Vorgaben aus den USA eigentlich hätten erahnen lassen, dass es nicht so einfach mit Hurra nach oben geht. Aber wenn Sie sich den Kursanstieg von der Eröffnung bis ca. 10 Uhr im Dax ansehen ... irgendwer muss das wohl übersehen haben. Und mit Blick auf die Umsätze: Irgendwer mit zuviel Geld (... das wahrscheinlich nicht seines ist).
Weil ich also leider zu dusselig bin, um derart weit in die Zukunft zu sehen oder gar ins zweite Halbjahr 2008, ja sogar unfähig war vorauszusagen, dass die Aktienmärkte an diesem 2. Januar deutlich im Minus enden und dafür Öl und Gold schlagartig durch die Decke gehen, habe ich mein Handelssystem entwickelt. Das hilft mir – und den Lesern des Börsenbriefs – unsere kollektive Unfähigkeit, so wie viele Analysten all diese Dinge vorher gewusst zu haben und dies nachher allen kund zu tun, zu überwinden. Und es macht einfach Sinn, sich dem Sog zu entziehen, den eine solche Jahresprognose (wenn Sie über die Volatilität hinausgeht) ausübt. Überlegen Sie mal:
Warum in die Ferne schweifen ...
Was ist schöner, als sich solche Vorhersagen anzuhören (erstes Halbjahr ein wenig stürmisch, danach wird es prima) und so in aller Ruhe planen zu können? Dumm nur: Sollte es sich zufällig herausstellen, dass die Prognosen für 2008 genauso voll daneben liegen wie in den Jahren zuvor, dann macht jemand, der ein solches Bild im Kopf trägt, alles falsch! Müssen wir das haben?
Ein Handelssystem ist keine Glaskugel. Und gerade in Seitwärtstrends haben es Systeme wie mein SYSTEM22 (www.system22.de), das eigentlich mit mittelfristigen Trends arbeitet, nicht gerade leicht ... was bedeutet, dass es mehr blaue Augen gibt als in normalen Trendphasen. Aber es hat den Vorteil, erst dann ein Signal zu geben, wenn es Sinn macht, zu handeln ... ohne, dass es wie wir Menschen bei jeder Entscheidung innerlich gegen die eigenen Meinungen, Hoffnungen und Ängste antreten muss.
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Es hat auch den Vorteil, völlig neutral die Kurse zu betrachten (mit einem Maschinen-Auge quasi ...), das tägliche Gehüpfe der Kurse wegzuschalten um nur die Wochenveränderungen zu betrachten und so bereits im Nikkei, im S&P 500, im Euro Stoxx Short zu sein. SYSTEM22 kostete das keine Überwindung, denn es hat die bullishen Prognosen der Analysten nicht gehört. Für mich war dieser erste Handelstag somit zwar auch eine Überraschung (Aktien runter, Bund Future auf einmal rauf, Dollar/Yen stürzen ab, Gold und Öl explodieren) ... aber etwas, was man amüsiert von angenehmer Distanz aus betrachten kann ... zumal: Es muss sich erst mal herausstellen, ob all diese Tendenzen auch bis zum Handelsende dieser Woche anhalten. Erst dann wird neu bewertet.
... wenn man schon in der Nähe genug Fehler macht!
Dieses System hatte ich entwickelt, um meinen eigenen Emotionen einen Riegel vorzuschieben. Und natürlich vollziehe ich die Depots selbst ebenfalls nach ... mit anderen, aber ähnlichen Optionsscheinen als im Depot des Börsendienstes, selbstredend. Aber wie meine Mutter schon sagte: Dumm geboren ...
Manchmal muss ich einfach querschießen. Es ist so unheimlich anstrengend, Disziplin zu wahren. Und so habe ich (meiner eigenen Meinung folgend und NICHT dem System) schon mal vorsorglich Gold- und Rohöl-Puts gekauft. Nicht heute, nein ... deutlich früher ... deutlich teurer.
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Aber trotzdem: Ich kann nicht nachvollziehen, warum Gold und Öl auf einmal steigen, während diese Commodities vorher entweder parallel zu Aktien stiegen und/oder weil deren Nachfrage wegen einer doch besser als erwarteten laufenden Konjunktur voraussichtlich steigen würde. Beide Argumente trafen gestern nicht zu. Darum habe ich auch lächelnd nachgekauft (was nicht bedeutet, dass die Kurse deswegen hurtig wieder fallen, das soll also keine Empfehlung sein!).
Natürlich hätte ich warten müssen, bis klare Verkaufssignale kommen. Oder, noch besser, bis das Handelssystem ein Shortsignal gibt. Aber - und das ist etwas, was ich als „meine persönliche Mondlandung“ ansehe: Ich habe mich nicht aufgeregt. Ich finde es nur lustig, immer wieder festzustellen: „Dienstlich“ sind knapp 20 Jahre Börsenerfahrung zunehmend hilfreich ... aber „privat“ bin ich halt immer noch ein Esel. Ihr Ronald Gehrt
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