«Wir sind doch nicht auf die Bremse getreten!» Nationalbankpräsident Jean-Pierre Roth über Geldpolitik, das Gold und die Konjunktur NZZ am Sonntag: Gut vierzehn Tage nach der Nationalbank hat auch die US-Notenbank die Zinsen erhöht. Hatten Sie mit Alan Greenspan Kontakt?
Jean-Pierre Roth: (lacht) Es gibt tatsächlich Gemeinsamkeiten. Weltweit bewegt sich die Wirtschaft fast überall in der gleichen Phase des Konjunkturzyklus. Der Aufschwung läuft ziemlich synchron, angeführt von den USA und Asien. Europa ist etwas später in Fahrt gekommen. Die verschiedenen Wirtschaftsblöcke müssen deshalb fast gleichzeitig von einer stark expansiven auf eine moderatere Geldpolitik korrigieren.
Europa und die Schweiz hinken punkto Wirtschaftsdynamik stark hintennach.
Es gibt natürlich Unterschiede. Die amerikanische Wirtschaft wurde stark stimuliert, die asiatischen Volkswirtschaften haben bei aller Eigendynamik auch viel Liquidität geschöpft. Die Schweiz war von der weltweiten Investitionskrise massiv betroffen. Wir haben die Zinsen früher und stärker gesenkt als etwa die Europäische Zentralbank. Doch jetzt profitiert unsere breit diversifizierte Exportwirtschaft vom weltweiten Aufschwung.
Sie glauben an einen nachhaltigen Aufschwung der Schweizer Wirtschaft?
Wir glauben, dass dieses Jahr das Wirtschaftswachstum fast 2% betragen wird. Das ist auf dem Hintergrund der schwachen Vorjahre zwar mager. Die positive Entwicklung dürfte indes 2005 anhalten.
Und der Arbeitsmarkt?
Der Wendepunkt ist erreicht. Wir erwarten in den nächsten Quartalen eine Besserung der Beschäftigungssituation.
Die positiven Signale kommen allerdings von der Export- und weniger von der Binnenwirtschaft.
Richtig: Die Dynamik kommt von der Exportwirtschaft, die Binnenkonjunktur hinkt hintennach. Doch das Vertrauen in den Aufschwung wird auf die Binnenwirtschaft durchschlagen. Aber im Binnensektor haben wir natürlich erhebliche strukturelle Probleme. Nicht nur im öffentlichen Sektor, auch in Dienstleistungsbereichen wie zum Beispiel im Tourismus sind wir zu wenig effizient.
Jetzt bessert sich die Wirtschaftslage. Da nimmt der Druck ab, in den schwachen Sektoren zu restrukturieren, die Produktivität zu steigern.
Die Gefahr besteht, dass wir die Hausaufgaben wieder vergessen, die nötigen Strukturreformen nicht anpacken. Dabei sollten wir jetzt die Chance wahrnehmen, in unserem Land das Wirtschaftswachstum zu fördern.
Effektive Reformen haben politisch wenig Chancen.
Natürlich ist das Paket des Bundesrats zur Wachstumsförderung in den Augen vieler Ökonomen ein absolutes Minimum. Doch ich bin der Meinung, dass wir wenigstens diesen Schritt nun machen sollten, statt die Latte zu hoch zu legen und damit zu scheitern.
Was sagen Sie zu den Initiativen, die die laufenden Notenbankgewinne und
neuerdings auch wieder gewisse Erträge aus den Goldreserven an die AHV binden wollen?
Wir sind für eine solide AHV, wir sehen auch periodische Schwierigkeiten mit der AHV-Finanzierung in der Zukunft. Doch Brücken mit der Nationalbank auf der einen und der AHV auf der anderen Seite sind Teufelsbrücken. Da wird politischer Druck auf die SNB praktisch programmiert. Unsere Geld- und Währungspolitik könnte beeinträchtigt werden. Zudem wird das Gewinnpotenzial der SNB überschätzt. Wenn einmal entschieden ist, was mit den Mitteln aus den Goldverkäufen geschehen soll und dieses Kapital aus der SNB-Bilanz ist, sehen wir ungefähr noch eine Milliarde Franken Gewinn pro Jahr.
Können Sie die heftige Kritik von Economiesuisse und den Gewerkschaften
am Zinsschritt nachvollziehen?
Wenn man bei unserem Zinsschritt von Überraschung spricht, hat man die Realität ausgeblendet. Der Dreimonatssatz war schon vor unserem Entscheid am Steigen. Auch die langfristigen Zinsen sind gestiegen. Die Märkte erwarteten eine Korrektur in dem Sinne, dass wir weniger aufs Gaspedal drücken. Das haben wir getan. Wir sind doch nicht auf die Bremse getreten! Unsere Geldpolitik bleibt expansiv.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Zinsen belassen. Für Norbert Walter, Chefökonom der Deutschen Bank, hat die SNB viel zu früh gehandelt und hat nun ein Aufwertungsrisiko.
Die Schweiz läuft besser als Deutschland. Das ist die Realität. Zudem sind wir in der expansiven Politik weiter gegangen als die EZB. Das sind doch gute Gründe, nicht auf die Europäische Zentralbank zu warten.
Wann folgen die nächsten Zinsschritte?
Wir müssen die Geldpolitik normalisieren, wenn sich die Wirtschaft normalisiert. Die Beurteilung machen wir alle Quartale, das nächste Mal im September. Was wir dann entscheiden, ist völlig offen.
Aufgrund der Tiefzinsphase hat sich im US-Immobiliensektor eine Kredit- Pyramide aufgebaut - ein grosses Risiko?
Ich kann die Sorgen einiger meiner Kollegen gut verstehen. Nicht nur in den USA, auch zum Beispiel in Grossbritannien und Spanien sehen wir einen starken Immobilienboom. Einmal kommt die Korrektur. Ich habe im Kreis der Notenbanken darauf hingewiesen, was uns Anfang der neunziger Jahre die Immobilienkrise gekostet hat. Heute sind unsere Banken vorsichtiger. Auch wenn man sehr begrenzt von nicht mehr risikogerechten Konditionen hört.
Die Zeit der tiefen Hypothekarzinsen ist vorbei. Werden nun wie immer im Aufschwung die Mietpreise steigen?
In den Ballungsgebieten steigen die Mieten bereits heute - vor allem wegen des knappen Angebots. Wir müssen die bestehenden Wohnbau- Hemmnisse beseitigen. Ich hätte natürlich eine Entkopplung der Mieten von den Hypothekarzinsen begrüsst.
Die Jahresteuerung ist auf 1,1% gestiegen. Sehen Sie eine Inflationsgefahr?
Nein. Der Anstieg war zum grössten Teil eine Folge der höheren Energiepreise. Wir sehen im laufenden Jahr eine Teuerungsrate um 1%. Generell liegt die grösste Pricing Power bei der öffentlichen Hand.
Wie fragil ist der Dollar?
Entscheidend für den Dollar ist das Vertrauen in die amerikanische Wirtschaft. Erschwerend kommt hinzu, dass Europa keine Konjunktur-Lokomotive ist und die Währungslandschaft in Asien nicht der Realität entspricht. China hat Handlungsbedarf.
Quelle NZZ |