News - 02.02.09 22:13
Agenda: Kalifornien im Sog der Krise
Er wollte eine Zukunft für eine neue Heimat. Er kämpfte gegen riesige Etatlöcher und mächtige Politiker. Doch der Kampf von Arnold Schwarzenegger war vergebens. Kalifornien steht vor der Pleite.
Als er anfing, klang er noch ehrgeizig. Er riss diese Sprüche, die auch in einem seiner Drehbücher hätten stehen können. "Jeder Gouverneur will irgendwelche Kisten verrücken", tönte er. "Ich will aber keine Kisten verrücken. Ich will sie in die Luft sprengen."
Das war 2003. Arnold Schwarzenegger, der Österreicher, der Schauspieler und Actionheld, war gerade zum Gouverneur von Kalifornien gewählt worden. Es war eine Sensation. Als "Governator" wurde er betitelt, in Anspielung auf seine Kontrolle als "Terminator" - als stahlharte Menschmaschine.
Aufräumen wollte er also, aufhören mit den Schulden und Defizithaushalten seines demokratischen Vorgängers Gray Davis. "Nie mehr wird die Regierung Geld ausgeben dürfen, das sie nicht hat", versprach er.
Gut fünf Jahre später droht nun die ganz große Kiste in die Luft zu gehen: der Staat Kalifornien selbst. Die achtgrößte Volkswirtschaft steht vor der Pleite. Seit dem Wochenende hat sie aufgehört, ihre Rechnungen zu bezahlen, die Behörden halten für 30 Tage Steuererstattungen an Unternehmen und Bürger zurück. Zuvor wurden schon 2000 Bauvorhaben an Straßen, Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen gestoppt.
Das ganze Wochenende haben Schwarzenegger und Parlamentarier hinter verschlossenen Türen um Lösungen gerungen.
Geeinigt haben sie sich bisher nicht - und das lag wohl nicht nur daran, dass am Sonntag der Super Bowl lief, das stundenlange Endspiel im American Football. "Dies ist die Woche, in der entweder etwas passiert - oder Kalifornien über die Klippe fällt", warnt Dan Walters, Kolumnist der Hauptstadtzeitung "Sacramento Bee". Mit markigen Worten hat auch Schwarzenegger seit Wochen Abgeordnete und Landsleute beschworen: "Kalifornien befindet sich im Notstand", ein "finanzielles Armageddon" drohe.
Der Gouverneur übertreibt nicht. "Das wäre der größte Kollaps eines Staates seit dem Zweiten Weltkrieg", sagt Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff. "Es wäre ein episches Ereignis, das die Märkte schockieren und die Rezession auf ein neues Level heben würde."
Der "Golden State" hat über 40 Mrd. $ weniger in der Kasse, als bis Juni 2010 nötig sind. Seit Wochen gibt es Marathondebatten und Sondersitzungen, doch bislang konnte man sich nur auf Kürzungen in Höhe von 6 Mrd. $ einigen. Die Regierung muss handeln, überall, gnadenlos: Sie setzt Zahlungen an Lieferanten und Dienstleister aus, kürzt bei Universitäten und Schulen, kappt Zuschüsse an Alte, Blinde und Invaliden. Staatsangestellte bekommen Gehaltskürzungen und zwei Tage pro Monat Zwangsurlaub.
Teil 2: Die Gründe für das Desaster
Gründe für das Desaster gibt es reichlich: zunächst, na klar, die Finanzkrise. Kalifornien leidet unter der Rezession und dem Zusammenbruch des Häusermarkts. "Kalifornien war an beiden ökonomischen Exzessen der vergangenen Jahre intensiv beteiligt: dem Dotcom-Boom und dem Immobilienboom", sagt James Diffley, Ökonom beim US-Marktforscher Global Insight.
Doch das Problem, das Kalifornien plagt, ist vor allem chronisch - und es zeichnet ein ganz anderes Bild als jene Klischees, die europäische Ohren klingeln lassen: Kalifornien, der Staat, den die Beach Boys besungen haben, in dem Hollywood glitzert und das Silicon Valley glänzt. Kalifornien kämpft seit Jahren mit Defiziten, das Steuersystem ist veraltet, der Streit um das Budget gehört im Parlament zum Alltag. Denn für die Verabschiedung eines Haushalts ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig. "Das System ist das Problem", schimpft Schwarzenegger. "Kalifornien hat keine andere Wahl, als den Budgetdämonen ins Auge zu sehen."
Ein Beispiel für das systemische Übel: die Proposition 13. Sie geht zurück auf ein Volksbegehren aus den 70ern und beschränkt die Grundsteuer auf ein Minimum. Der Staat hat also nichts von seinen vielen teuren Immobilien in San Francisco und Beverly Hills und hängt stark von Einkommens- und Verbrauchssteuern ab. Diese sind nun massiv eingebrochen. Die Arbeitslosigkeit steigt, Erfolgsunternehmen wie Intel , Cisco oder Microsoft kämpfen mit Umsatzrückgängen oder müssen Mitarbeiter entlassen.
Längst hat sich die Krise durch das Land gefressen. Ein prominentes Beispiel: die Stadt Vallejo, 40 Meilen von San Francisco entfernt, 120.000 Einwohner. Sie hat bereits im Mai 2008 Insolvenz angemeldet.
Osby Davis, das Stadtoberhaupt, ist ein Mann mit zynischen Visionen geworden. "2015", sagt er, "soll alles wieder gut sein." Dann werde es wieder eine lebendige und sichere Innenstadt geben, dann werden erfolgreiche Unternehmen hier sein und Menschen seine Stadt besuchten, statt nur schnell durchzufahren. Davis hält inne, dann fügt er leise hinzu: "Die Leute sagen, dass ich so reden muss, weil ich hier der Bürgermeister bin." Der 63-Jährige sieht aus wie ein gealterter Barack Obama. Aber Überzeugungskraft und Entschlossenheit sind ihm völlig abhandengekommen. "Wir hatten in einem Jahr 4000 Zwangsversteigerungen."
Die Finanzkrise hat den Niedergang der Stadt nur beschleunigt, nicht ausgelöst. Die Ausgaben waren schon vorher außer Kontrolle geraten. Nach den Terroranschlägen von 2001 etwa hatte die Stadt das Sicherheitsbudget aufgestockt. Mehr als 70 Prozent des Haushalts gingen zeitweise für Polizei und Feuerwehr drauf. Jetzt wird gespart.
Scharenweise Polizisten und Feuerwehrmänner haben nun freiwillig ihren Dienst quittiert und sind in andere Städte geflüchtet. Sie hatten Angst, ihre Pension zu verlieren und nicht mehr krankenversichert zu sein. Inzwischen gibt es zwei Feuerwachen weniger in Vallejo, die verbleibenden 72 arbeiten länger und härter. Und es dauert im Schnitt doppelt so lange wie früher, Notrufe entgegenzunehmen. Auch bei der Polizei wurde gespart, seitdem nimmt die Kriminalität wieder rapide zu. Viele Bürger erstatten schon gar keine Anzeigen mehr. "Die Polizei kann sich nur noch um schwere Kriminalität kümmern, kleinen Delikten geht sie nicht mehr nach", berichtet Jane Ahero, eine 73-jährige Einwohnerin. Der schleichende Untergang Vallejos ist aber nur der Anfang: "Kalifornien als Ganzem geht es nicht besser als Vallejo", sagt Mark Mittmann, Analyst bei Canterbury Consulting in Newport Beach.
Teil 3: Schwarzenegger bricht Tabu
Schwarzenegger will nun ein Tabu brechen: Steuererhöhungen. Die Mehrwertsteuer soll unter anderem für drei Jahre um 1,5 Prozentpunkte angehoben werden, auch die Kfz-Steuer und Alkoholsteuer sollen steigen. Doch seine Partei wehrt sich. "Das ist Ideologie, und kein Plan und keine Lösung", kritisiert Henry Brady, Professor an der University of California in Berkeley, die sture Haltung der Republikaner.
Und so kämpft Schwarzenegger, dessen Gesichtsfarbe ein beunruhigendes Orangebraun angenommen hat, wieder einmal um sein politisches Überleben. Schon mehrmals war es in den vergangenen Jahren eng für ihn geworden, als er etwa gegen Homoehen ins Feld zog oder gegen mexikanische Immigranten wetterte. Und immer wieder hat er versucht, das Defizit einzudämmen. Er hat sogar zwei Referenden abgehalten, die beide vom Wähler abgeschmettert wurden. Mit einem wollte er eine Obergrenze für staatliche Ausgaben, mit dem anderen Möglichkeiten für den Gouverneur, mitten im Jahr Einschnitte im Haushalt vorzunehmen. Einmal schlug er sogar vor, mehr als 20.000 nicht gewalttätige Häftlinge freizulassen, womit der Staat rund 250 Mio. $ eingespart hätte.
Es gibt auch Erfolge
Dabei hat Schwarzenegger auch Erfolge vorzuweisen. Er hat Kalifornien zum Klimavorzeigestaat gemacht, unterzeichnete 2006 das strengste Emmissionsgesetz der USA. Schwarzenegger selbst fährt einen mit Gemüseöl betriebenen Hummer. Im Schulterschluss mit den Demokraten hob er zudem den Mindestlohn an, verschärfte Waffengesetze und half fünf Millionen Kaliforniern, die keine Krankenversicherung haben.
"Doch er hat das Problem nicht gelöst, für das er 2003 zum Gouverneur gewählt wurde", sagt Gary Jacobson, Professor an der University of California in San Diego. Der taumelnde Bundesstaat kann sich kaum noch refinanzieren - die Anleger sind zu vorsichtig geworden. "Für Kalifornien ist es schwierig, Anleihen auszugeben, da wir bereits vor der Finanzkrise massive Budgetprobleme hatten", sagt Steve Levy, Ökonom im Silicon Valley. Die Kreditwürdigkeit ist auf die des ärmsten US-Bundesstaats Louisiana abgesackt.
Im richtigen Leben läuft es eben nicht wie im Kino. "Wenn ich mich zu Verhandlungen hinsetze, weiß ich immer schon, ob ich es mit Kabuki zu tun habe", stöhnte Schwarzenegger vergangene Woche bei einem Mittagessen im Sacramento Press Club. Kabuki ist ein japanisches Tanztheater. Keine Action also. Und kein D-Day.
Von Helene Laube (San Francisco) und Sebastian Bräuer (Vallejo)
Quelle: Financial Times Deutschland |