HANDELSBLATT, Dienstag, 25. Juli 2006, 13:11 Uhr Steigende Preise erwartet
Der Markt für Erdgas dreht Von Udo Rettberg
Der US-Energiemarkt zeigt eine erstaunliche Preisentwicklung. Während der Ölpreis nur leicht unter seinem historischen Hoch liegt und Benzin Rekordpreise erreicht, ist der Preis für Erdgas von fast 16 Dollar im Oktober 2005 auf zeitweise weniger als sechs Dollar je Million British Thermal Units (MMBtu) abgesackt. Doch jetzt steht der Erdgasmarkt nach Meinung von Experten vor einer Wende.
FRANKFURT. Hierfür spricht die langfristig geringe Verfügbarkeit von Gas in Nordamerika und die Tatsache, dass der Preis für künftige Gaslieferungen bereits stark gestiegen ist.
Erdgas habe mit dem jüngsten Rutsch auf 5,80 Dollar sein langfristiges Preisverhältnis zum Erdöl unterschritten. Dieses lag in den vergangenen Jahren bei eins zu sechs, sagt Hans-Jürgen Klisch, Energie-Experte des Investmenthauses Raymond James & Associates. Erdgas müsste theoretisch heute an der Nymex bei mehr als zwölf Dollar gehandelt werden. In normalen Marktphasen werde diese Preisrelation dadurch hergestellt, dass die Energieversorger die günstigsten Preise suchen und dabei meist zwischen Erdöl und Erdgas wechseln.
„Dieses Switching geschieht derzeit deshalb nicht, weil die in der Vergangenheit billig aufgebauten hohen Ölreserven der Kraftwerke noch nicht aufgebraucht sind“, sagt Klisch. Zudem werde Gas in den Terminpreisen 2007 und 2008 deutlich über zehn US-Dollar gehandelt. „Wir glauben, dass das Preisrisiko begrenzt ist“, sagen die Experten der US-Investmentbank Goldman Sachs. Wegen noch immer hoher US-Gasbestände sehen Experten dieses Hauses – im Gegensatz zur Konkurrenz – vorerst auch nur geringes Preispotenzial. Der in einigen Regionen Nordamerikas heiße Sommer und die Gefahr einer eventuell sehr aktiven Hurrikan-Saison könnten indes dazu führen, dass die Bestände rascher schrumpften als derzeit angenommen, sagt Richard Egelton, Chefökonom der Bank of Montreal.
Nach dem kräftigen Preisverfall der vergangenen Monate sei die Marktstimmung so schlecht wie im Baissejahr 2003. „Wenn selbst langfristige Superbullen wie der legendäre Ölmagnat T. Boone Pickens aus Houston im US-Bundesstaat Texas vor der Schwäche des Marktes kapitulieren und ein langfristiges Preisszenario von fünf bis sechs Dollar zeichnen, dürfte das Stimmungstief erreicht sein“, sagt Klisch.
Kenner der Börsenabläufe verweisen auch darauf, dass die Kassamärkte auf Dauer keine Preisdifferenz von 50 Prozent zu den Terminbörsen zulassen. Auch am Terminmarkt bestimme neben spekulativen Einflüssen letztlich die fundamentale Lage eines Rohstoffs dessen Preistrend. Gasproduzenten würden sowohl am Kassa- als auch am Terminmarkt handeln. Das niedrige Preisniveau am Kassamarkt könnte wegen geringer Einnahmen eine Einschränkung der Suche und Exploration und eine rückläufige Produktion zur Folge haben. In einer Welt knapper Energie-Ressourcen gilt dies als wenig realistisches Szenario.
Schon heute ist es der Gasbranche trotz einer Rekordzahl von Bohrungen nicht gelungen, das Produktionsniveau durch neue Quellen zu halten. Denn die „Depletion“ – die Ausbeutungsquote von Gasreserven während des ersten Produktionsjahres – liegt in den USA bei 30 Prozent und in Kanada oft bei etwa 50 Prozent. „Auch aus diesem Grund wird der Gaspreis in den alten Trendkanal bei acht bis zehn Dollar zurückpendeln“, sagt Klisch.
Lei Shen von J.P. Morgan glaubt, dass der Preis für an der Nymex gehandeltes Gas im vierten Quartal 2006 im Durchschnitt bei 7,7 Dollar je MMBtu liegen und im zweiten Quartal 2007 auf einen Mittelwert von 7,3 Dollar absacken wird. Optimistischer ist Patricia M. Mohr, Rohstoff-Analystin der Scotiabank, die für 2006 durchschnittlich acht Dollar prognostiziert und damit den gleichen Preis erwartet wie Lloyd Byrne von Morgan Stanley. Während Byrne für 2007 einen unveränderten Durchschnittswert erwartet, glaubt Mohr, dass Erdgas dann auf durchschnittlich 8,50 Dollar steigt. Und auch die Produzentenseite ist optimistisch: „Wir werden wieder höhere Preise sehen“, sagt Cameron White, Vorstandschef des Gasproduzenten Thunderbird Energy Corporation.
Daten und Fakten rund ums Erdgas
Anteil: Erdgas deckt etwa ein Viertel des weltweiten Energieverbrauchs ab. Nach Berechnungen der Energy Information Agency (EIA) wird der Verbrauch in den nächsten 25 Jahren stärker wachsen als der von Erdöl.
Marktsituation: Ein einheitlicher Weltmarkt für Erdgas existiert nicht. Vielmehr weisen die Märkte einen stark regionalen Charakter auf.
Reserven: Von den als sicher angesehenen Gasreserven befindet sich je ein Drittel auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion und den politisch wenig stabilen Ländern des Nahen Ostens.
Handelseinheit: In den USA wird Naturgas in Million British Thermal Units (MMBtu) gehandelt. Eine deutsche Entsprechung gibt es nicht. Eine Kilowattstunde entspricht 0,003412 MMBtu. |