'...Das ist das, was die Kanzlerin mit nachhaltigem Wachstum meint. »Solide Finanzen sind eine Grundbedingung dafür«, sagt Merkel in einem Zeitungsinterview. Solide Finanzen, das bedeutet: keine zockenden Banken, keine verschwenderischen Regierungen, keine Konsumenten, die ihre Kreditkarte als Geldspeicher betrachten. Wenn Naturschützer von nachhaltigem Wachstum sprechen, reden sie von Science-Fiction. Kein Land der Welt hat es geschafft, reich zu werden, ohne Gas, Öl und Kohle zu verbrennen. Besitzstandsmehrung ohne ökologische Krise gibt es nicht. Besitzstandsmehrung ohne ökonomische Krise dagegen kam auf der Welt schon öfter vor. Zum Beispiel im Westdeutschland der Nachkriegszeit, besonders in einer kargen Gegend, in der die Luft immer ein paar Grad kälter ist als im Rest des Landes. Dort oben auf der Schwäbischen Alb zogen die Frauen nach dem Krieg ihre Handkarren zu kümmerlichen Gemüsefeldern. Die Männer suchten Arbeit, irgendwo, und wenn am Abend ein paar gekochte Rüben auf dem Teller lagen, waren die Familien zufrieden. Sonst gab es Brennnesselsuppe. Ein paar Jahrzehnte später hatten Rostbraten und Maultaschen das Gemüse ersetzt. Vor den Türen parkten polierte Autos, die Häuser waren abbezahlt. Der Wohlstand wuchs, gleichmäßig und krisenfrei. Das Wirtschaftswunder war über die Republik gekommen. Wie war das geschehen? Wer hatte es bewirkt? Die Deutschen und ihre Eigenschaften, natürlich, allen voran ihre Sparsamkeit. Deutsche machen keine Schulden, die Schwaben am allerwenigsten. Das ist das Geheimnis des deutschen Wirtschaftswachstums der Nachkriegszeit, wie es in Zeitungsartikeln, Romanen und Politikerreden ungezählte Male erzählt wurde. ...''...sagte Angela Merkel rund 45 Jahre später – wieder in einer Rede, diesmal auf dem CDU-Parteitag in Stuttgart –, die große Krise wäre leicht zu verhindern gewesen. »Man hätte nur die schwäbische Hausfrau fragen sollen, sie hätte uns eine Lebensweisheit gesagt: Man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben.« Merkel stellte damit einen Gegensatz her zwischen einer furchterregenden Gegenwart voller Pleiten und einer behaglichen Vergangenheit ohne Schulden, als es den Euro noch nicht gab und die D-Mark einen mächtigen Beschützer hatte: die Deutsche Bundesbank. Ausgerechnet in deren Archiv finden sich allerdings Dokumente, die eine andere Geschichte des Wirtschaftswunders erzählen. Sie zeigen Tabellen, Schaubilder, Zahlen der sogenannten Leistungsbilanz. Daraus geht hervor, wie sehr die Vergangenheit der Gegenwart gleicht. Schon damals entstand ein Gutteil der deutschen Arbeitsplätze durch Zahlungen aus dem Ausland. Schon damals kauften die europäischen Nachbarn im großen Stil deutsche Produkte. Schon damals finanzierten sie ihre Käufe durch Schulden. Es war ganz ähnlich wie heute. Man kann sagen, damals hat das alles angefangen. Auch das deutsche Wirtschaftswunder war nichts weiter als: Wachstum auf Pump. Das klingt, als sei man auf ein Geheimnis gestoßen. In Wahrheit ist es das Gegenteil. Eine Banalität. Natürlich wurde das Wachstum damals durch Schulden erzeugt. So wie immer. Es geht nicht anders...' mehr zeit online ----------- contrarian investors are buying / selling the divergence between fundamentals and expectations |