Wie es laeuft von Dr. Bernd Niquet
Sarrazin ist gewissermassen der Musterfall. Das neue Buch von Thomas Hettche "Die Liebe der Vaeter" handelt von einem Vater, der sich in einer hoffnungslosen Situation befindet, weil er nur dann zu seiner Tochter Zugang hat, wenn die Mutter dem zustimmt. Dieser Mann macht eigentlich alles richtig, doch in einem unbedachten Moment kocht sein ganzer Zorn hoch und er ohrfeigt in Anwesenheit anderer seine Tochter. Fortan werden alle seine Taten und Aeusserungen nur noch im Angesicht dieser Ohrfeige beurteilt. Wer in allem Recht hat, dabei aber ungebuehrlich provoziert, der wird abgeschossen. Wer beispielsweise haargenau nachrechnen wuerde, dass unser Staat eigentlich pleite ist, dabei jedoch einen fahren liesse, erreichte gar nichts, ausser persoenlich angegriffen zu werden. Diese Situation ist gleichermassen unertraeglich wie bequem. Spricht jemand seine Kritik zu leise aus, muss der Kritisierte es nicht gehoert haben. Spricht er es jedoch zu laut aus, kann der Kritisierte angewidert weghoeren ob so eines Stilbruches. Idealtypisch hierfuer sind auch Fussballspiele. Da wird ein Spieler permanent getreten, steht bereits mit einem Bein im Krankenhaus. Doch die Regeln gestatten ein derartiges Verhalten im Prinzip, da ein Kampf um den Ball vorgetaeuscht werden kann. Der Gegenspieler wird dann zwar ermahnt und verwarnt, doch es passiert ihm nichts. Begeht hingegen der Getretene eine kleine Nachlaessigkeit, die nicht durch einen Kampf um den Ball gedeckt ist, so wird er sofort des Feldes verwiesen. Das sind die Regeln innerhalb und ausserhalb des Sportes. Fuer die Politik ist es sehr angenehm, dass das so ist. Anderweitig koennte sie sicherlich auch gar nicht existieren. Denn egal, was passiert, man kann sich derart jeglicher Kritik schon aus rein formalen Gruenden entziehen, ohne ueberhaupt auf ein Argument einzugehen. So sieht sie also aus, unsere Welt: Wird eine Kritik rein sachlich und nuechtern vorgetragen, hoert keiner zu. Wird sie hingegen provokativ in die Welt gebracht, muss sich niemand damit mehr inhaltlich auseinandersetzen. Denn viel trefflicher laesst sich jetzt der Provokateur selbst angreifen. Damit jedoch ist dem Sachthema erfolgreich aus dem Wege gegangen. Es laeuft also so: Heute darf zwar jeder alles kritisieren, doch es wird einem dabei entweder niemand zuhoeren oder man wird sich hinterher isoliert von allen Machtzirkeln wiederfinden und seinen Job verlieren. Die Stuetzen der Gesellschaft dulden keinen Widerspruch. |