Interessanter Artikel von Niels Kadritzke vom vorvergangenen Oktober, als ... "Yanis Varoufakis, der Finanzminister der ersten Regierung Tsipras, (...) nur zwei Jahre nach Ausscheiden aus seinem politischen Amt ein Buch über seine Erfahrungen und Auseinandersetzungen mit EU-Europa, der Eurozone und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) geschrieben" hat.
Die Drohungen gelten Frankreich
Die zweite wichtige Enthüllung dieses Buches lautet: Schäubles Griechenland-Politik war weniger gegen Athen gerichtet, und auch nicht gegen die anderen disziplinlosen Südeuropäer, sondern vor allem gegen Paris. V. hat diese These schon zuvor publiziert, aber in seinem Buch ist sie am präzisesten belegt. Zum Beispiel wenn er von der IWF-Konferenz vom 16. April 2015 folgende Episode berichtet: In seiner unmittelbaren Nähe hörte er eine lautstarke Auseinandersetzung zwischen Schäuble und Frankreichs Finanzminister Michel Sapin. Sein Nachbar, der französische IWF-Direktor Coeuré, übermittelte ihm den Grund der Aufregung: Michel habe Wolfgang angeschrien, weil Wolfgang gesagt hat, daß er die Troika in Paris haben will. Was genau Sapin geschrien und was genau Schäuble zu ihm gesagt hat, kann V. in diesem Fall nicht mitteilen. Aber er erklärt dem Leser plausibel: Die deutschen Drohungen in Richtung Athen waren im Grunde ein Signal von Berlin an Paris: Wenn Frankreich den Euro will, muss es die Souveränität über sein Haushaltsdefizit aufgeben. In einem Gespräch, das V. mit Schäuble am 11. Mitte Mai in Brüssel führte, beklagte sich dieser über den Widerstand der Franzosen gegen seine Europa-Ideen. Und als V. flapsig bemerkt: Die wollten eure Deutschmark benutzen, aber ohne die Souveränität zu teilen, stimmt Schäuble ihm von Herzen zu: Genau so sei es, aber er werde das nicht hinnehmen: Jeder, der den Euro will, muss Disziplin akzeptieren. Und es wird eine viel stärkere Eurozone sein, wenn wir sie durch den Grexit disziplinieren.(S. 409) Damit war für Yanis klar, dass Wolfgang ein größeres Spiel als das griechische spielte: Grexit war für ihn ein Instrument, mit dem er seine Vision einer kleineren, disziplinierteren Eurozone verfolgte, wobei die Troika fest in Paris stationiert sein sollte.(S. 415) Die Guten: Emmanuel Macron und Christine Lagarde
Diese Erkenntnis, und die Beobachtung, wie wenig die Regierung in Paris gegen Schäuble und Berlin aufbegehrte, erklären die tiefe Sympathie, die Varoufakis in seinem Rückblick für einen Politiker äußert, der damals noch Wirtschaftsminister in der zweiten Regierung Valls war. Sein einziger Freund in Paris war Emmanouel Macron, dem er bescheinigt, zuhören zu können, engagiert zu reagieren und eine Ahnung von Makroökonomie zu haben. Sehr schnell waren sich die beiden einig, dass Europa ein großes Investitionsprogramm brauche. Seit unserem ersten Treffen schreibt V., habe ich sehr bedauert, dass Sapin in der Eurogroup Frankreich vertrat, und nicht Macron. Hätten sie die Rollen getauscht, wären die Dinge vielleicht anders gelaufen.(8) Freund Emmanuel hat die griechische Position bis zum Schluss moralisch und so weit möglich auch politisch unterstützt. Noch am 20. Juni versuchte er, nach Athen zu fliegen und einen Kompromiss auszuhandeln, der in den Worten von V. für uns tragbar und für Wolfgang akzeptabel war. Aber Hollande blockierte diese Initiative seines Wirtschaftsministers.(9) Es gibt nur eine Figur, die V. genau so positiv würdigt wie seinen Freund Emmanuel. Das ist Christine vom IWF, die er als intelligent, integer und voll Verständnis für die Probleme Griechenlands darstellt. Diese Einschätzung hat gewiss auch damit zu tun, dass er Lagarde für intellektuell ebenbürtig hält und weiß, dass diese Wertschätzung auch umgekehrt gilt. ...9) Im Oktober 2015 hat Macron seinem griechischen Freund (privat) anvertraut, er habe damals sogar Merkel direkt angerufen, um ihr klarzumachen, dass die Pläne der Troika für Griechenland eine Art Versailler Vertrag seien.( S.454). ... Die Seitenzahlen beziehen sich auf das Buch Adults in the Room; die übersetzten Zitate weichen von der deutschen Ausgabe ab, die entsprechenden Stellen sind aber sicher leicht zu finden. https://monde-diplomatique.de/shop_content.php?coID=100105 Ja, es lohnt sich Varoufakis Buch zu lesen gegen das Vergessen... man könnte sich dann fragen, ob vielleicht Macron dahintersteckt, dass Schäuble gegen seinen Willen seinen Posten als Finanzminister in der Eurogruppe räumen musste?
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