Roman Herzog: „Ich hätte nicht unterschrieben“
Interview DIE WELT: Ist die Zustimmung des Bundesrats verfassungsgemäß zustande gekommen?
Roman Herzog: Ich habe mir den Vorgang im Bundesrat genau angesehen. Ich glaube nicht, dass das Gesetz auf grundgesetzmäßige Weise zustande gekommen ist.
DIE WELT: Worin liegt nach ihrer Rechtsauffassung der Verstoß?
Herzog: Der Bundesratspräsident Wowereit ist offenbar davon ausgegangen, dass er bei einem Stimmenkonflikt zwischen einem Ministerpräsidenten und einem Landesminister dem Ministerpräsidenten den Vorrang geben muss. Das ist aber eine Frage nicht des Grundgesetzes, sondern des Landesverfassungsrechts. Es gibt auch Bundesländer wie etwa Berlin, in dem es überhaupt keine Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten gibt. Der Bundesratspräsident kann hier nicht das Verfassungsrecht der Länder auslegen. Er hat zu akzeptieren, ob das Land einheitlich abstimmt, oder nicht. Und Brandenburg hat nicht einheitlich abgestimmt.
DIE WELT: Hat der Bundesratspräsident also willkürlich oder sogar parteipolitisch entschieden?
Herzog: Er hat in jedem Fall falsch entschieden.
DIE WELT: Wie muss das Verfahren jetzt weitergehen?
Herzog: Da der Bundesratspräsident der Meinung ist, das Gesetz sei verfassungsgemäß zustande gekommen, wird es jetzt dem Bundespräsidenten zur Unterschrift vorgelegt werden müssen, und der wird zu prüfen haben, ob das Gesetz nach seiner Überzeugung verfassungsmäßig ist. Wenn er der Meinung ist, das sei nicht der Fall, dann darf er es nicht unterzeichnen.
DIE WELT: Darf er es unterzeichnen?
Herzog: Ich hätte es als Bundespräsident nicht unterschrieben.
DIE WELT: Muss jetzt der Gang nach Karlsruhe kommen?
Herzog: Ob das politisch sinnvoll wäre, ist eine andere Frage. Aber ich bin ganz sicher, dass die Länderregierungen daran interessiert sein müssen, die Frage autoritativ vom Bundesverfassungsgericht entscheiden zu lassen, wie weit das Interpretationsrecht des Bundesratspräsidenten gegenüber den Landesverfassungen geht.
DIE WELT: Hat die Verfassung Schaden genommen?
Herzog: Ein glücklicher Vorgang war das nicht, und viele Bürger werden sich wundern, dass so etwas in unserem Land überhaupt möglich ist.
DIE WELT: War es klug von der Koalition und vom Kanzler, das Ergebnis so zu erzwingen?
Herzog: Darauf möchte ich keine Antwort geben.
Die Fragen stellte Michael Möller
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