Rijkaards Abgang könnte ein Sturm folgen
Von Paul Ingendaay, Madrid
09. Mai 2008 Der Ritter geht, und er tut es mit Stil, ohne Klage oder Vorwurf. Am späten Mittwochabend, nach dem demütigenden 1:4 gegen Real Madrid, sprach Barcelonas Trainer Frank Rijkaard leise und wie unter Schock. Für Momente erwartete man, Tränen rinnen zu sehen. Dann stand der 1,90 Meter große Mann auf und verließ den Tisch. Markige Sprüche waren nie seine Sache. Es schien, als wollte Rijkaard über den Verein, den er aus tiefer Depression auf den Gipfel des europäischen Fußballruhms geführt hatte, nichts Zitierfähiges mehr sagen.
Am Tag darauf gab Barcelonas Präsident Joan Laporta offiziell bekannt, was schon alle wussten: Josep Guardiola, der ehemalige Spieler und heutige Trainer der Drittliga-Mannschaft Barcelona B, wird Rijkaard zum 30. Juni auf dem Chefsessel beerben. Ein Zyklus von fünf Jahren sei damit zu Ende gegangen, sagte Laporta, womit er Rijkaard und seine drei Assistenten meinte, darunter den früheren holländischen Nationalspieler Johan Neeskens, nicht aber sich selbst.
Die Mannschaft des FC Barcelona ist erledigt
Immerhin gab er sich Mitschuld an der verkorksten Saison, denn er habe an Coach und Konzept festgehalten, habe darauf vertraut, die schlappe Spielzeit 2006/07 durch neue Anstrengungen vergessen machen zu können. Leider habe es nicht gereicht. Jetzt soll ein neun Jahre jüngerer Mann ganz von vorn anfangen, im Prinzip aber dasselbe tun: auf den Angriffsfußball der „holländischen Schule“ setzen, den der FC Barcelona nie aufregender spielte als in den legendenumwobenen Tagen des „Dream Team“ unter Johan Cruyff.
Nicht dass es der 1:4-Schlappe von Barça bei Real Madrid noch bedurft hätte, um den Entschluss zum Wechsel zu bekräftigen. Doch der saftlose Auftritt im Bernabéu-Stadion und das schmachvolle Gefühl, von einem bis in die Haarspitzen motivierten Gegner überrollt worden zu sein, haben es auch noch dem letzten Unbelehrbaren eingebleut: Diese Mannschaft ist erledigt.
Fünf Titel in 24 Monaten
Sie braucht nicht nur Ruhe und Facelifting, sondern ein Erneuerung vom Kopf bis zu den Füßen. Und die Gesetze des Fußballs sehen in solchen Fällen vor, beim Trainer zu beginnen. Jenem Mann folgen, dessen Triumphe noch in der Vitrine zu bewundern sind, aber in den täglichen Übungen auf dem Rasen in weite Ferne gerückt waren.
Drei Jahre sind es, für die Barça-Fans dem Trainer Frank Rijkaard immer dankbar sein werden: für den Aufbau in der Saison 2003/04 und die fette Ernte von fünf Titeln in den vierundzwanzig Monaten danach. Neben zwei spanischen Meisterschaften sowie zwei spanischen Supercopas trat 2006 als Krönung der Gewinn der Champions League in Paris gegen Arsenal London. Hätte man es vorher gewusst, Rijkaard wäre gut beraten gewesen, damals mit frischem Lorbeer auf dem Haupt abzutreten und die Verwaltung des Rufs, das am schönsten spielende Team der Welt zu befehligen, einem anderen zu überlassen. Aber wer tut das schon?
Die Nachrufe fallen respektvoll aus
So machten sie alle weiter, etwas älter, müder und verwöhnter geworden, und nach weiteren vierundzwanzig Monaten hatten sie alles wieder vertändelt. Inzwischen hat Real Madrid es dem Rivalen gleichgetan und zwei Meistertitel in Folge erobert. Mit siebzehn Punkten Rückstand auf Schusters Männer liegt Barcelona fast wieder in so einem tiefen Loch wie damals, als der 39-jährige Rijkaard an Bord kam: Ronaldinho abgemeldet und ausgebrannt, Henry ein Fehleinkauf, das Team ratlos.
Eine Zeitlang war Rijkaard der ideale Mann für diesen Verein. Mit so viel Gelassenheit so erfolgreich zu sein und selbst gegen Aufputscher wie seinen damaligen Chelsea-Rivalen José Mourinho das letzte Wort zu behalten, erfordert einen Trainer von Format. Die spanischen Nachrufe auf den besonnenen Gentleman aus Amsterdam fallen denn auch trotz der verheerenden Krise respektvoll aus, weil offen zutage liegt, dass die Spieler, ermuntert von einem passiven Präsidium, dem Übungsleiter den Teppich unter den Füßen weggezogen haben.
Es kommt ein Trainer ohne Erstliga-Erfahrung
Ob beim FC Barcelona mit diesem Rauswurf schon die richtigen Weichen gestellt sind, wird allerdings bezweifelt. Auf der Homepage der katalanischen Zeitung „La Vanguardia“ melden sich die Anhänger fast im Minutentakt, um ihrem Ärger über das schlechte Krisenmanagement Luft zu machen. Manche glauben, der designierte Trainer Guardiola habe nicht genug Erfahrung für den Job. Die Entscheidung sei auch längst nicht so „einmütig“ gefallen, wie der Präsident behaupte.
Andere fordern unmissverständlich Laportas Rücktritt, damit die Erneuerung an der Klubspitze beginnen könne. Eine Gruppe von Vereinsmitgliedern hat angekündigt, gegen den Präsidenten einen Misstrauensantrag einzubringen. Wenn Frank Rijkaard Barcelona längst verlassen hat, könnte der Sturm erst richtig zu blasen beginnen.
Text: FAZ.NET mit Material von dpa
http://www.faz.net/s/...3A883A13C1CBC1F43A~ATpl~Ecommon~Scontent.html -----------
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