Der weltgrösste Nahrungsmittel-Hersteller Nestlé veröffentlicht morgen Donnerstag das Geschäftsergebnis für das erste Halbjahr 2013. Die Marktbeobachter erwarten einen Gewinn von über fünf Milliarden Franken.
Die Analysten gehen von einem Umsatz von 45,5 Milliarden Franken aus (Vorjahr: 42,8 Milliarden). Nachdem Nestlé in den vergangenen Jahren sehr oft (deutlich) besser abgeschnitten hatte als die Konsensuserwartungen, wendete sich das Blatt zuletzt etwas. Der Konzern verfehlte nämlich die letzten drei Quartale in Folge die Schätzungen der Analysten für die wichtig(st)e Kennzahl - das organische Wachstum. Entsprechend sind die Erwartungen auch deutlich zurückgekommen. Von AWP befragte Analysten erwarten im Durchschnitt für die Monate Januar bis Juni mit 4,4 Prozent ein organisches Wachstum relativ deutlich unter der langfristigen Zielmarke von 5-6 Prozent. Im ersten Quartal lag der Wert bei 4,3 Prozent, was für das zweite Quartal entsprechend ein Wachstum von rund 4,5 Prozent ergäbe.
Schlechtes Wetter - schlechte Zahlen?
Eigentlich müssten die Zweitquartalszahlen nach den schlechten Wetterbedingungen im Mai und Juni, die das Wasser- und Eiscreme-Geschäft negativ beeinflusst haben, relativ schwach ausfallen, meinen Analysten. Allerdings würden die bereits rapportierten Zahlen von Konkurrenten wie Danone oder Unilever oder Zulieferern wie Givaudan darauf hindeuten, dass Nestlé vielleicht doch eine stärkere Beschleunigung gegenüber dem schwachen ersten Quartal gelungen sei, heisst es etwa in einem Kommentar der ZKB.
Hauptgrund für die zuletzt etwas enttäuschenden Wachstumszahlen war die Entwicklung im asiatischen Markt sowie die Abschwächung bei der früheren Wachstumsmaschine Nespresso. Das Wachstum in der Zone AOA (Asien, Ozeanien, Afrika) musste im ersten Quartal laut Analysten mit einem organischen Wachstum von 4,4 Prozent das schwächste Ergebnis der letzten neun Jahre hinnehmen. Bei Nespresso haben sich die Wachstumsraten von früher jeweils über 20 Prozent ebenfalls deutlich abgeschwächt, wobei die Details zum ersten Quartal nicht genannt wurden.
Nestlé selbst verwies beim Erstquartalsergebnis neben dem allgemein schwierigen makroökonomischen Umfeld auf das schlechte Wetter, Produktionsunterbrüche wegen des Krieges in Syrien, eine Restrukturierung bei Distributoren in Afrika oder auch den Pferdefleischskandal. Ausserdem sei der Vorjahrwert sehr hoch gewesen (org. Wachstum +7,2 Prozent). Dennoch hat der Konzern seine Ziel bestätigt.
Wachstum bei 5 Prozent?
Mehr als sonst im Fokus werden entsprechend Aussagen zum laufenden und nächsten Quartal sein bzw. die Frage, ob Nestlé seine Wachstums-Schätzung aufrecht erhalten kann. Konzernchef Paul Bulcke liess zuletzt verlauten, dass das Wachstumsziel mittelfristiger Natur sei und das Management nicht beunruhigt wäre, wenn es in einem einzelnen Jahr verfehlt würde (zuletzt geschehen im Rezessionsjahr 2009 mit +4,1 Prozent). Wie stark dies den Aktienkurs belasten würde, ist fraglich. Derzeit steht der Konsens der Analysten für das Gesamtjahr 2013 bei gut 5 Prozent. Sollten Analysten nach den Q2-Zahlen der Meinung sein, dass dieser Wert nicht mehr erreicht werden kann, könnte das zu einer deutlichen Senkung der Konsens-Schätzungen und einem Kursrückgang führen. Es wäre für Investoren bzw. den Aktienkurs von Nestlé also sehr wichtig, dass Nestlé frühere Aussagen, wonach das Wachstum im zweiten Halbjahr anziehen wird, bestätigen kann, meinen Analysten.
Hoffen auf zweite Jahreshälfte
Der Konzern hat im April anlässlich der Bekanntgabe der Erstquartalszahlen 2013 den üblichen (langfristigen) Ausblick - das sogenannte Nestlé-Modell - auch für das Gesamtjahr 2013 bestätigt. Demnach will der Konzern auch dieses Jahr organisch um 5 Prozent bis 6 Prozent wachsen und die Margen und den nachhaltigen Gewinn pro Aktie bei konstanten Wechselkursen verbessern. An einem Call für Analysten wurde der Ausblick dann etwas konkretisiert. Man erwarte eine Verbesserung des organischen Wachstums und der operativen Marge vor allem in der zweiten Jahreshälfte. Ausserdem dürfte das organische Wachstum (OG) im unteren Bereich der angepeilten 5-6 Prozent zu liegen kommen, hiess es dort. CEO Peter Bulcke liess sich damals in der Mitteilung mit folgenden Satz zitieren: "Der Start ins neue Jahr spiegelt die Vorsicht wider, die wir im Februar zum Ausdruck gebracht haben. Für den weiteren Verlauf erwarten wir ein anhaltend volatiles Umfeld."
Weitere Grossaquisiton nicht in Sicht
Nestlé hatte letztes Jahr im April eine Grossakquisition getätigt. Vom US-Pharmariesen Pfizer wurden dessen Babynahrungs-Sparte mit rund 4'500 Angestellten für 11,85 Mrd USD übernommen. Die Transaktion ist zu einem guten Teil über die Bühne. Der Umsatz des akquirierten Geschäfts wurde von Nestlé für 2012 auf 2,4 Mrd USD geschätzt, bei einem EBITDA von rund 600 Mio USD bzw. einer Marge von 25 Prozent. Rund 85 Prozent des Umsatzes wird in den aufstrebenden Märkten bzw. Ländern mit einer grossen, schnell wachsenden Bevölkerung erzielt. Die Schlüsselmärkte des Geschäftes sind China, die Philippinen, Thailand, Indonesien, der Nahe Osten und Mexiko. Aufgrund der Grossakquisition erwarten Analysten vorderhand keinen grösseren Zukauf mehr. Der Fokus dürfte ganz klar auf Abrundungskäufen liegen, sagte auch Nestlé zuletzt. Viel wurde seither denn auch nicht mehr dazu gekauft. Dieses Jahr wurde einzig der Kauf der im Bereich medizinischer Nahrungsmittel tätigen US-Firma Pamlab bekannt gegeben. Angaben zu finanziellen Einzelheiten der Transaktion gab es aber keine.
Nachhaltige Dividendenpolitik
Nestlé hat vor einiger Zeit eine Dividendenerhöhung (in Franken) gegenüber weiteren Aktienrückkäufen in den Vordergrund gestellt, hat letzteres aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Diese Politik wurde im April letztmals bestätigt, nachdem es kurz zuvor an der Generalversammlung zu Unklarheiten gekommen war. "Wir wollen weiterhin eine nachhaltige Dividenden-Politik. Dabei steht die absolute Erhöhung der Dividende in Franken im Vordergrund und nicht eine bestimmte Ausschüttungs-Quote", sagte ein Nestlé-Vertreter am Call. VR-Präsident Brabeck hatte kurz zuvor an der GV gesagt, dass die Pay-Out-Ratio in Richtung 55 Prozent gehen soll, nachdem sie zuletzt bei über 60 Prozent gelegen hatte. Die Ankündigung eines Aktienrückkaufes ist derzeit nicht zu erwarten, wäre laut Marktteilnehmern aber gut möglich, falls Nestlé (nächstes Jahr?) seinen Anteil an L'Oréal verkaufen sollte (siehe weiter unten Text zu L'Oréal).
Nespresso: Es lauert die Konkurrenz
Die Entwicklung des Geschäftes mit Kaffeekapseln ist für Nestlé bekanntlich eine Erfolgsgeschichte seit ihrer Lancierung. Die hohen Gewinnmargen ziehen aber auch neue Wettbewerber an. Die Westschweizer wehren sich an vielen juristischen Fronten gegen die Konkurrenz. Es laufen entsprechend unzählige (Patent)klagen, wobei es schwierig ist, hier den genauen Überblick zu behalten. Zuletzt forderte auch der US-Rivale Mondelez Nestlé heraus: In der zweiten Jahreshälfte will das nach eigenen Angaben weltweit zweitgrösste Kaffee-Unternehmen in der Schweiz, in Deutschland, Frankreich und Österreich für das Nespresso-System kompatible Kaffeekapseln lancieren.
Klar ist aber, dass Nestlé die Marke weiterhin forciert, wobei die Zeit der ganz starken Wachstumsraten (über 20 Prozent) zu Ende sein dürfte. "Wir hatten im laufenden Jahr einen langsameren Start als noch im letzten Jahr", sagte der IR-Verantwortlicher von Nestlé im April. Dies vor allem wegen dem verstärkten Wettbewerb, wobei er damals etwa den wichtigen Schweizer Markt erwähnte, wo die Migros letztes Jahr neue Kapseln eingeführt hat. Im Gesamtjahr sollte das Umsatzvolumen global aber rund 500 Mio CHF zulegen, so die Erwartungen (Umsatz 2012: 4,4 Mrd CHF).
Volatiler Aktienverlauf
Die Nestlé-Aktie hat einen recht volatilen Verlauf bisher im Jahr 2013 hinter sich. Nach einem starken Beginn, der am 3. April in einem Allzeit-Hoch bei 70,00 CHF gipfelte, fiel das Papier in der zweiten Junihälfte auf unter 60 CHF zurück. Seither hat sich die Aktie - zum Teil im Gleichlauf mit dem Gesamtmarkt - wieder deutlich erholt auf derzeit knapp über 65 CHF. Per Saldo gibt das bisher im Jahr 2013 eine Performance von knapp 10 Prozent, dies im Vergleich zum Gesamtmarkt (SMI) von rund +18 Prozent.