Zweiter Anlauf
Von Peter Kuchenbuch, Hamburg, und Patrick Dieckhoff, Berlin
FTD vom 23.05.2008
Viele Investoren hatten sich aus der deutschen Biotechindustrie bereits verabschie- det. Der Verkauf von U3 Pharma sorgt nun in der Branche für Euphorie: Eine neue Generation von Grün- dern vermeidet die Fehler ihrer Vorgänger – und sam- melt wieder Millionen ein
Thomas Höger kennt die Biotechindustrie von allen Seiten. Er hat als Biologe am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg Tumorzellen bekämpft und bei der BASF-Pharmatochter Knoll Forschungsprojekte geleitet. Er hat als Analyst der DZ Bank fulminante Börsengänge begleitet und später den Absturz so mancher Firma in die Bedeutungslosigkeit kommentiert.
Seit November 2005 führt er das Heidelberger Biotechunternehmen Apogenix. Mit ihm startete die Firma ihren zweiten Anlauf nach der Insolvenz. Der neue Chef geht neue Wege. Er kümmert sich stärker um die Bedürfnisse der Partner aus der Pharmaindustrie, bietet mehr Produkte an und stärkt die eigene Forschung und Entwicklung. So wie Apogenix agieren viele andere Firmen der Hoffnungsbranche. „Man kann sagen, dass sich mittlerweile eine zweite Generation von Biotechunternehmen in Deutschland etabliert hat“, sagt Höger.
Seit Mitte dieser Woche steht diese zweite Generation im Fokus. Zum ersten Mal wurde ein deutsches Biotechunternehmen an einen großen internationalen Pharmakonzern verkauft. Das japanische Unternehmen Daiichi Sankyo zahlt für die Übernahme der Münchner Firma U3 Pharma 150 Mio. Euro. Das Geschäft könnte Signalwirkung haben. „Das ist ein gutes Timing für den deutschen Markt“, sagt Joachim Rothe, Aufsichtsrat von U3, der Deal „wird hoffentlich auch wieder die Aufmerksamkeit bei deutschen Investoren wecken.“
Bisher waren in der Öffentlichkeit nur die Namen weniger Akteure bekannt, die zudem wenig glücklich agierten. Im vergangenen Jahr träumte man bei GPC Biotech in Martinsried bei München schon von dreistelligen Millionengewinnen aus der Vermarktung des Krebsmittels Satraplatin. Doch die US-Behörde verweigerte die Zulassung, die Aktie fiel um 86 Prozent. Vor wenigen Wochen bescherte das Nein der Amerikaner der Berliner Biotechfirma Jerini eine ähnliche Talfahrt. Statt von erfolgreichen Börsengängen sprach man zuletzt eher vom Ende der Biotech in Deutschland.
Doch davon ist die Branche weit entfernt. Im Schatten der ersten Generation hat sich eine zweite formiert, die mit einem völlig neuen Geschäftsmodell recht erfolgreich ist. Um finanziell durchzuhalten, setzen die neuen Unternehmer früh auf Partnerschaften mit Pharmakonzernen. Die Berliner Firma Noxxon verbündete sich mit Pfizer und beendete so ihre Durststrecke. Mit dem Vertrauen des amerikanischen Pharmakonzerns stieg auch das Vertrauen anderer Investoren. Pfizer will mit Noxxons Biomolekülen gegen Übergewicht vorgehen. Auch U3-Gründer Axel Ullrich kümmerte sich frühzeitig um einen potenten Partner – und arbeitete mit dem weltgrößten Biotechkonzern Amgen zusammen.
Noch denkt man bei Namen wie Glycotope, Ganymed, Antisense oder Affimed eher an seltsame Wesen aus Science-Fiction-Filmen als an erfolgreiche Unternehmen. Doch die neuen Hoffnungsträger der Biotechszene könnten es bald zu einiger Berühmtheit bringen. Die Firmen haben einen finanziellen Puffer von mindestens zwei Jahren. Und sie genießen das Vertrauen der Investoren. Im vergangenen Jahr sammelten die deutschen Topfirmen der zweiten Generation jeweils mehr als 20 Mio. Euro ein, hat das Biotechmagazin „Transkript“ ausgerechnet. So viel wurde schon lange nicht mehr in die zweite Reihe der Branche investiert.
Höger und das alte Apogenix-Team weckten beispielsweise das Interesse von SAP-Mitgründer Dietmar Hopp. Mit einer Startfinanzierung von 15 Mio. Euro schaffte es der Biotechinvestor, die insolvente Firma Apogenix wiederzubeleben. Im vergangenen Monat schoss der Hoffenheimer noch einmal 27,5 Mio. Euro nach.
Mit dem neuen Vertrauen belohnen die Geldgeber vor allem das neue Denken der zweiten Generation. Die Firmen haben aus den Krisen ihrer Vorgänger gelernt. Die Börsenreife ist nicht mehr das oberste Ziel.
Die meisten Unternehmen haben überdies Abstand davon genommen, von der Idee bis zur Gestaltung der Verpackung eines Medikaments alles selbst zu machen. „Es ist sehr riskant, ein Produkt bis zuletzt allein zu entwickeln und dann auch noch vermarkten zu wollen“, sagt Höger. Für U3-Gründer Ullrich steht fest: „Das ist der richtige Zeitpunkt für den Verkauf der Firma, weiter wollten wir bei der Entwicklung nicht gehen. Wir hätten es auch nicht finanzieren können.“
Nicht nur die Gründer der zweiten Generation haben ihre Taktik geändert, auch die Geldgeber positionieren sich neu. „Ich habe aus falschen Einschätzungen gelernt und brutal draufgelegt“, sagt Karsten Henco, Investor und Unternehmer. „Heute bewerte ich viel stärker das Business Development und lege Wert darauf, dass die Projekte innerhalb von eineinhalb oder zwei Jahren in eine attraktive Partnerschaft mit der Industrie münden.“
Die Akteure der ersten Generation würden heute einiges anders machen. „Wir haben uns anfangs zu wenig mit erfahrenen Spezialisten umgeben, die die Spielregeln der Industrie kennen“, sagt Peter Heinrich, Mitgründer von Medigene aus Martinsried. Außerdem habe seine Firma in manchen Fällen zu lange an falschen Projekten festgehalten. Die jüngeren Unternehmen beschäftigen sich früh mit den Bedürfnissen des Marktes, planen in überschaubaren Zeiträumen und trennen sich beizeiten von Projekten.
Sie wissen, wie wichtig ein gutes Verhältnis zwischen Markt und Labor ist. „Wir haben uns zuerst angeschaut, welche Art von Therapie in der Medizin gebraucht wird und was das für unser Konzept bedeutet“, sagt der Wissenschaftler und Ganymed-Gründer Ugur Sahin. „Danach muss die Umsetzung der Pläne zügig erfolgen. Nur weil man vor dem Ergebnis Angst hat, sollte man nicht auf Zeit spielen. Das wäre schädlich.“ So etwas hören langfristig orientierten Investoren gern.
Firmengründungen im Biotechsektor sind sehr risikoreich. Und falsche, zu hoch gesteckte Erwartungen seien schädlich für beide Seiten, sagt Sahin. Je länger der Entwicklungsprozess eines Medikaments dauert, umso teurer wird das Projekt und umso erpressbarer wurden die Unternehmen in der Vergangenheit.
Das haben auch die Investoren der ersten Generation zu spüren bekommen. Oft benötigten die Biotechfirmen mehr Geld, als sie ursprünglich geplant hatten. Je später ein Kapitalgeber einstieg, desto mehr Bedingungen knüpfte er an sein Engagement. Für die Starthelfer blieb da meist nicht mehr viel übrig. „Früher oder später wachen meist alle Beteiligten auf“, sagt Henco. „Aber wenn die Pioniere für ihr Engagement und das Risiko, das sie eingegangen sind, bestraft werden, werden sie langfristige Biotechinvestments meiden.“ Das wäre fatal für die Branche.
Wohin der Mangel an finanziellem Spielraum führt, kann man an der ersten Generation beobachten. Die Vorkämpfer der deutschen Biotechszene strebten möglichst schnell an die Börse und erwarben dafür die Rechte an bereits erprobten Produktkandidaten von der Pharmaindustrie. Biotech war das zwar oft nicht, aber das spielte keine große Rolle. „Viele der heute notierten Biotechfirmen haben den Weg zur Börse über die Einlizenzierung von reiferen Pharmaprodukten abkürzen können“, sagt Klaus Stöckemann, Partner beim Risikokapitalgeber 3i. Ihre eigentlichen Projekte mussten sie dafür allerdings vernachlässigen.
GPCs Mittel Satraplatin zur Krebsbehandlung ist ein klassisches Chemotherapeutikum, einlizenziert vom US-Pharmakonzern Bristol-Myers Squibb. Medigene hat zwei Medikamente im Markt, das nächste wird ebenfalls ein Produkt aus dem Chemielabor sein. Das Unternehmen Jerini will die Erbkrankheit Angioödem bekämpfen, das Arzneimittel dafür stammt von Hoechst. Paion aus Aachen scheiterte mit einem von Schering übernommenen Schlaganfallmittel.
Je marktreifer diese Produkte wurden, desto höher war der Firmenwert – und desto überzeugender und glaubhafter wurde die Geschichte des nahenden Erfolgs für die Börse. Zur Jahrtausendwende heizten Biotechgurus und Genomforscher die Fantasie der Märkte an. Doch genauso schnell wie es bergauf ging, rauschten zuletzt viele Firmen bergab.
Die zweite Generation verfolgt eigene Ideen, ohne ständig an den Börsengang denken zu müssen. Für die Investoren gibt es inzwischen andere Möglichkeiten, mit Biotechfirmen Geld zu verdienen. Der Verkauf an einen Pharmakonzern ist sehr attraktiv. Den Konzernen mangelt es an neuen Produkten, und deshalb lechzen sie nach Innovationen. „Pharmafirmen sind heute eher bereit, früh über Biotech-Akquisitionen nachzudenken“, bestätigt 3i-Partner Stöckemann. Der Kauf von U3 ist dafür das beste Beispiel. |