Anatomie eines Crashs oder: Wie ein kleiner Händler die Fed zum Handeln zwang
von Jochen Steffens
Mit der Zeit kommen immer mehr Fakten im Zusammenhang mit dem Milliarden-Betrug bei der Société Générale an das Tageslicht, die sich wie ein Krimi lesen: (Uhrzeiten sind fiktiv)
Hauptperson: Jérôme Kerviel
Kerviel ist ein stiller zurückhaltender Mann, gerade 31 Jahre alt geworden, in der Bretagne geboren. Im Jahr 2000, nach seinem Wirtschaftsstudium in Lyon, findet er bei der Société Générale einen Arbeitsplatz im „Backoffice“. Sein Lebenstraum ist aber Börsenhändler. 2006 schafft er, was sonst nur wenige schaffen, er wechselt aus dem Backoffice in den Eigenhandel der Société Générale.
Es läuft gut, denn der junge Kerviel ist ehrgeizig und offensichtlich höchst talentiert: 2007 erzielt er für die Bank noch große Gewinne. Durch seine Arbeit im Back Office wusste er, wie die Sicherungsfunktionen im Eigenhandel auszuschalten sind. Zudem gilt er als Computerspezialist. Wie immer, wenn man beim Traden die Sicherheit außen vor lässt, beginnt irgendwann etwas verdammt schief zu laufen. Zeitungen zufolge hatte er 2007 auf fallende Märkte gesetzt und ab Anfang 2008 auf steigende - ein fataler Fehler.
Freitag 18. Januar. 16.30 Uhr
Durch die schwächeren Börsen in den letzten Wochen muss Kerviel Positionen eindecken, deren Verluste er nicht mehr tarnen kann. Erst diese Verluste führen zu Kontrollen, in deren Folge auffällt, dass seine Handelsgeschäfte die Risikoobergrenzen massiv überschritten haben, so die bisherige Nachrichtenlage.
Samstag 19. Januar 17.42 Uhr
Kerviel wird zu Investmentbanking Chef Jean Pierre Mustier gerufen. Den ganzen Nachmittag über wird Kerviel verhört. Dieses Verhör soll den Angaben zufolge bis in die Nacht gedauert haben. Im Laufe des Wochenendes wird beschlossen, die Positionen des Händlers ab Montag glatt zu stellen.
Wenn aus dieser Position 5 Mrd. Euro Verlust entstehen können, muss die Gesamtposition sehr, sehr viel größer gewesen sein – so wird vermutet, dass Kerviel schlussendlich mit 50 Mrd. Euro jongliert haben soll, was den gesamten Börsenwert der Bank überstieg.
Das Folgende sind lediglich Vermutungen, die aus der Beobachtung des Marktes resultieren, dafür stimmen jetzt die Uhrzeiten:
Montag 21. Januar 8.00 Uhr
Die Société Générale beschließt, die offensichtlich extrem große Position des Händlers Kerviel glatt zu stellen. Die Vorgaben aus Asien sind zwar schlecht, doch setzten diese lediglich die negativen Vorgaben aus den USA vom Freitag um (Eventuell wurde aber auch schon in Asien erste Short-Sicherungspositionen zur Gesamtposition aufgebaut, deren mögliche Auflösung auch die enormen Sprünge im Hang Seng erklären könnten).
Der Dax-Future hatte die negativen amerikanischen Vorgaben bereits Freitag bis 22.00 Uhr umgesetzt. Trotzdem kommt es zu einem Gap Down zum Handelsbeginn im Dax Future.
Der Dax selbst bricht am Montag, im Verhältnis zu diesen Vorgaben, überproportional stark ein. Um 11 Uhr sage ich zu einem Kollegen: „Das ist bestimmt wieder der typische Montagsfake, hier wollen doch offensichtlich einige große Adressen den Markt nach unten drücken, um billig einzusteigen.“
Der erste Teil der Vermutung stimmte, große Adressen waren am Werk, die Schlussfolgerung war dagegen total falsch.
Montag 21. Januar 11.17 Uhr
Ein starker Bodenbildungsversuch wurde unter großem Umsatz abverkauft. Der Markt brach bis 13 Uhr massiv ein!
Mittlerweile wird auch allen anderen Tradern klar, dass hier große Positionen im Markt verkauft werden. In einem Gespräch mit einem anderen Kollegen, auf der Suche nach dem „Grund“ fragen wir uns, ob der Markt irgendetwas weiß, was wir noch nicht wissen. Das zeigt, dass man deutlich spüren konnte, dass etwas nicht stimmt.
Natürlich kommen auch auf dem Parkett Gerüchte auf. Eines dieser Gerüchte ist, dass eine große Bank in Schieflage geraten ist und verkaufen muss (was letzten Endes auch stimmte). Als möglicher Kandidat wird aber nicht die Société Générale genannt, sondern Citigroup und UBS. Die Banken waren schon im Zusammenhang mit den Problemen der Anleihenversicherer im Gespräch, die eine Woche zuvor bekannt geworden waren. Offenbar bereitete das die Grundlage für das Gerücht (wie ich jedoch zu dem Zeitpunkt geschrieben habe: Das war bekannt und damit sicherlich NICHT der Grund).
Montag 21. Januar 13-14 Uhr
Wahrscheinlich machen die Händler der Société Générale erst einmal Mittagspause (oder hoffen auf eine Gegenbewegung). Der Markt kann sich erholen und bildet eine klare Umkehrformation heraus. Normalerweise müsste der Markt nun einen Teil seiner Verluste wieder ausgleichen, bzw. sich weiter stabilisieren, da immer noch keine Nachrichten zu diesem Vorfall bekannt geworden sind. Alles rätselt. Doch offenbar ist der Verkäufer noch am Markt, es geht bis zum Abend weiter, der Dax fällt ins Bodenlose.
Dienstag 22. Januar
Die asiatischen Börsen setzen die Vorgaben aus Europa um. Die amerikanischen Futures sind am Limit Down und werden kurzfristig ausgesetzt (soweit ich das mitgekriegt habe). Der Dax rutscht noch einmal massiv in den Keller, bis die Fed sich zu einer außerordentlichen Zinssenkung um 75 Basispunkte entschließt, die einen Crash in den USA verhindern soll (der sich vorbörslich abzeichnete).
Mittwoch 23. Januar
Der Verkaufsdruck scheint noch nicht aus dem Markt zu sein, nach einer kurzen Erholung kommt es zu einem weiteren letzten massiven Abverkauf. Erst damit scheint der Verkaufsdruck beendet.
Donnerstag 24. Januar
Die Meldung über den Betrug bei der Société Générale erreicht die Medien...
Damit ist diese Nachricht im Markt und „eingepreist“....
Wenn Sie sich fragen, warum die Société Générale erst so spät ihre Probleme offenbart hat: Wäre diese Meldung vorher bekannt geworden, hätten sehr viele Trader gegen die Société Générale getradet, der Crash wäre um ein Vielfaches schlimmer geworden! Die Société Générale konnte also nicht anders und musste absolut dicht halten.
So erklärt sich, dass nicht einmal die Fed Bescheid wusste: Heute ist dazu zu lesen:
„Mitarbeiter der US-Notenbank, die am Montagabend kurzfristig den Leitzins um 0,75 Prozent senkte, um die Börsenverluste aufzufangen, zeigen sich verwundert. Niemals hätten sie damit gerechnet, dass die Schwankungen auf den Finanzmärkten auf eine einzelne Institution zurückzuführen sei. Vielmehr habe man den Eindruck gehabt, dass die Turbulenzen auf Sorgen um die Wirtschaft zurückzuführen seien.“ Quelle:
www.kurier.atDass auch die allgewaltige Fed einem kleinen Börsenhändler auf dem Leim gegangen sein soll, ist höchst amüsant.
Noch witziger finde ich allerdings, dass all die Bären, die in dieser Woche groß getönt haben, dass sie diesen Crash (!) vorausgesehen haben und dann die bekannten (meines Erachtens bereits eingepreisten) Gründen nannten, Unrecht hatten.
Es war tatsächlich einfach nur Glück, auf der Shortseite zu sein. Ich könnte Ihnen mehrere Mails vorlegen, die mich wegen der Aussage vom Montag, dass der Markt „ohne bisher ersichtlichen Grund“ eingebrochen ist, der völligen Ahnungslosigkeit und Blindheit bezichtigten. Die Gründe wären doch sonnenklar, so der Tenor dieser Leser. Nein, waren sie nicht, wie man jetzt sieht!
Das alles hat doch schon etwas von Realsatire, oder ?
Die aktuelle Gegenbewegung
Trotzdem, es sind noch genug Belastungsfaktoren im Markt. Und erst die aktuell laufende Gegenbewegung wird uns etwas über den eigentlichen Zustand des Marktes verraten. Und erst diese wird dann wahrscheinlich klären, wie stark der Einfluss dieses Händlers auf den Crash wirklich gewesen ist, oder ob letzten Endes nur etwas beschleunigt wurde, was sowieso eingetreten wäre.
Denn noch handelt es sich bei der aktuellen Aufwärtsbewegung im Dax bisher nur um eine einfache technische Gegenreaktion, die meines Erachtens sogar noch vergleichsweise verhalten abläuft...
Viele Grüße
Jochen Steffens
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Gruss Moya