schon wieder wichtig machen
Quantensprung der Bioethik Wiener Genetiker entdeckten möglichen Ersatz für embryonale Stammzellen - Streit über ethische Zulässigkeit von Embryonenforschung könnte beendet sein
Menschlicher Embryo im Frühstadium, aufgenommen in einem Labor in Israels Technion Institute of Technology in Haifa. Das Europäischen Patentamt hatte das umstrittene Patent zur Züchtung menschlicher und tierischer Embryonen in den Kernpunkten vor einem Jahr widerrufen.
Eine Aufsehen erregende Entdeckung österreichischer Wissenschafter dürfte der seit Jahren mehr emotional als rational geführten Debatte um die ethische Zulässigkeit der Herstellung von und der Forschungen an embryonalen Stammzellen eine völlig neue Richtung geben.
Hatten in den vergangenen Wochen die Ergebnisse zweier US-amerikanischer Studien bereits Volltreffer ins Fundament christlicher Bioethik gelandet, könnte der Fund eines Teams der Wiener Universitätsfrauenklinik den Streit um Embryonenforschung endgültig beilegen: Eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Genetikers Markus Hengstschläger entdeckte im Fruchtwasser schwangerer Frauen Stammzellen, die wenigstens dasselbe Potenzial haben sollen wie embryonale Stammzellen.
Forschungen im frühen Stadium
"Unsere Forschungen sind noch in einem sehr frühen Stadium", warnt Hengstschläger vor übereiltem Enthusiasmus. Die im Fruchtwasser gefundenen Zellen "weisen zwar all jene Merkmale auf, die embryonale Stammzellen auszeichnen", und sie zeigten auch die Tendenz, sie weiterzuentwickeln - zu Nervenzellen. Ob die neuen Zellen aber halten, was sie versprechen, müsse erst noch in weiteren Studien geprüft werden. Er sei zwar zuversichtlich, aber wirklich wissen werde man es erst in etwa zwei Jahren.
Was den neuen Fund so brisant macht? Die Fruchtwasser-Zellen bilden ein Eiweiß namens "Okt-4". Dieses gilt als untrügliches Indiz für die "Pluripotenz" einer Stammzelle, also für ihre Möglichkeit, sich in alle rund 200 Zelltypen des menschlichen Organismus weiterentwickeln zu können. Zellen, die das Eiweiß nicht bilden, haben diese Fähigkeit verloren. Bisher fand man dieses Protein nur bei embryonalen Stammzellen. Und noch drei weitere Merkmale, die sonst nur embryonale Stammzellen aufweisen, konnte Hengstschlägers Team entdecken.
Das in Europa führende Wissenschaftsjournal im Bereich Fortpflanzungsmedizin, Human Reproduction, das Hengstschlägers Arbeit Montag veröffentlichte, wertete selbige jedenfalls als Sensation und prophezeite: "Haben diese Stammzellen tatsächlich ein ähnliches Potenzial wie embryonale Stammzellen, wird dies die Notwendigkeit, menschliche Embryonen als Quelle zu verwenden, ultimativ reduzieren."
Universalheilmittel
Es müssten also keine Embryonen mehr zerstört werden, um an die begehrten pluripotenten Stammzellen zu gelangen, die, so die Vision der Forscher, jedes beschädigte Gewebe im menschlichen Körper ersetzen und so zum Universalheilmittel werden könnten. Und damit wäre wohl auch die ethische Debatte um die Embryonenforschung zu Ende, die in den vergangenen Wochen - neben dem für heute, Dienstag, angekündigten Finanzierungsbeschluss der EU-Kommission (siehe nebenstehender Artikel) - vor allem durch zwei neue wissenschaftliche Erkenntnisse angeheizt wurde.
Den Beginn machten US-Forscher, die erstmals embryonale menschliche Stammzellen per Jungfernzeugung - also ohne männliche Samenzellen - haben entstehen lassen. Bei diesem "Parthenogenese" genannten Verfahren wurden Eizellen ohne Befruchtung durch einen chemischen Reiz von außen dazu angeregt, sich zu teilen und sich in ein frühes embryonales Stadium weiterzuentwickeln. Daraus konnten embryonale Stammzellen gewonnen werden.
Menschliche Embryonen, die parthenogenetisch entstanden sind, können laut derzeitigem Wissensstand nicht zu lebensfähigen Babys, sondern nur zu einzelnen Geweben heranwachsen. Damit würden bei ihnen auch ethische Einwände entfallen, wonach die Entnahme von Stammzellen entwicklungsfähiges Leben zerstört. Christlich orientierte Bioethiker kamen ob dieser im New Scientist veröffentlichten Studie das erste Mal ins Schwitzen.
Argumentationsnot
Nur wenig später kamen sie erneut in Argumentationsnot. Denn eine weitere US-Studie kam zum Schluss, dass auch die Eizelle - die ja nun zur Züchtung von embryonalen Stammzellen ohne männlichen Samen auskomme - künstlich hergestellt werden kann und die entsprechenden Ausgangszellen dafür nicht einmal von einer Frau kommen müssen.
Science berichtete, dass es Wissenschaftern erstmals gelungen ist, einen künstlichen Eisprung einer künstlichen Eizelle in einem künstlichen Eierstock herbeizuführen. Aus embryonalen Stammzellen wurde eine entwicklungsfähige Eizelle im Labor geschaffen - zwar kamen die Stammzellen von Mäuseembryonen, doch auch das war nach der bisherigen Lehrmeinung für ein Ding der Unmöglichkeit gehalten worden. Hinzu kommt, dass dieser Versuch laut Forschern auch mit männlichen Embryozellen funktionieren soll.
Wo beginnt nun also menschliches Leben und wie entsteht es? Und noch ein Dilemma: Bisherige Rechtskonstrukte zum Schutz von ungeborenem Leben beziehen sich fast alle auch auf eine vorhandene Mutter. Was aber, wenn es eine solche gar nicht gibt?
DER STANDARD, Printausgabe, 1.7.2003)
Und ich dachte ein Quantensprung sei die kleinstmögliche physikalische Veränderungsgröße
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