Unentschieden
Die Hamas gibt sich als Sieger im Krieg mit Israel. Aber viele Menschen im Gazastreifen fühlen sich von den Islamisten ausgenutzt. Offen sagt das keiner
Von Hans-Christian Rössler
Gaza. Gott muss seine Finger im Spiel gehabt haben. Hamas-Kämpfer hätten Engel an ihrer Seite gesehen, als sie in den Krieg gegen Israel gezogen seien, sagt Salah al Bardawil. Wer sonst hätte Wolken und Regen aufziehen lassen, um sie vor den Israelis zu verbergen? Auch den Grund für die Stärke der Hamas kennt der Hamas-Chefunterhändler in Kairo: Tausende palästinensischer Kinder hätten im vergangenen Sommer in islamistischen Sommerlagern den Koran auswendig gelernt. Die Hamas hat sich zum Sieger des kurzen Gaza-Kriegs erklärt, als dort vor zwei Wochen die Waffenruhe begann. Aber die Flucht in die Theologie, die Bardawil antrat, offenbart, dass selbst ihre führenden Vertreter bis heute nicht recht wissen, was der Kriegsausgang für sie bedeutet.
Auf den Straßen Gazas sieht es fast wieder aus wie vor dem Beginn der israelischen Militäroffensive. Polizisten in Leuchtwesten versuchen, des Stroms der hupenden Autos Herr zu werden, Schulen und Läden sind geöffnet. Nur die Schuttberge, die sich in den Lücken der engen Häuserzeilen auftürmen, erinnern an die israelischen Luftangriffe - und noch etwas ist anders als zuvor: Die Vollbärte, die sich Hamas-Anhänger wachsen ließen, um zu zeigen, dass sie fromme Muslime sind, haben die meisten abrasiert; das geschah wohl aus Angst, von israelischen Soldaten und unzufriedenen Einwohnern sofort erkannt zu werden. Für ihre Führer gilt das nicht. Aber die wagen sich seit Wochen nicht auf die Straße, obwohl sie sonst kaum eine Gelegenheit auslassen, ihre Erfolge auf Paraden mit martialisch gekleideten Kämpfern zu feiern. Der frühere Hamas-Ministerpräsident Ismail Hanija und andere halten sich weiter versteckt; angeblich sind sie in der Bunkeranlage unter dem Schifa-Krankenhaus, die die Israelis einst bauten, oder in Schutzräumen der Siedler, die 2006 den Gazastreifen verließen.
"Es ist noch zu früh, um sagen zu können, ob die Hamas stärker oder schwächer geworden ist. Das hängt jetzt sehr davon ab, wie sie den Wiederaufbau angeht, ob sie alle Opfer entschädigt oder nur ihre eigenen Anhänger", erwartet Mcheimar Abu Sada, der Politikwissenschaft an der Al-Azhar-Universität in Gaza lehrt. Aber dass die Hamas, die in den letzten Wahlen auf 44 Prozent kam, durch den Krieg neue Unterstützer gewonnen hat, hält er für unwahrscheinlich: Mit großer Härte ist sie auch in den Tagen der Kämpfe vor allem gegen Fatah-Mitglieder und andere Kritiker vorgegangen; oft hielten ihnen die Hamas-Leute vor, sie spionierten für Israel: Es gab mehrere Hinrichtungen, vielen wurde in die Knie geschossen, und einem vermeintlichem Spion sollen beide Augen herausgerissen worden sein, bevor er Tage später getötet wurde.
An Männern, die notfalls mit solch brachialer Gewalt durchsetzen, was die Hamas will, mangelt es offenbar auch nach dem Krieg nicht. Laut Hamas wurden nur gut 50 ihrer Kämpfer getötet. Aber selbst wenn es mehrere hundert gewesen sein sollten, wie es in Israel heißt, sind das angesichts der mehr als 20 000 bewaffneten Kräfte nicht sehr viele. Sie alle verdanken zudem der Hamas ihre Arbeit, und die ist in Gaza rar.
"Die Hamas übt weiter die Kontrolle im Innern aus. Sie ist in Gaza eine Realität, die nicht wegzubomben ist. Gleichzeitig hört man aber, dass es Leute in Gaza als zynisch oder lächerlich empfinden, wenn die Hamas sich als Siegerin darstellt", beobachtet Knut Dethlefsen, der Vertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung in den Palästinensergebieten, die auch ein Büro in Gaza unterhält. Viele fühlten sich von der Hamas für ihre politischen Zwecke ausgenutzt.
Offen wagen das in Gaza nur wenige Menschen auszusprechen; zu groß ist die Angst vor den Machthabern. Diese versuchen nach dem Krieg, verlorenen Boden in der Bevölkerung gutzumachen. Nach dem Vorbild der Hizbullah im Libanon-Krieg vor zwei Jahren versprechen sie jetzt den Opfern und Geschädigten schnelle Hilfe. Weil Israel die Grenzen weiterhin weitgehend geschlossen hält und nur wenige ausländische Helfer nach Gaza gelangen, ist es für die Hamas nicht schwer, als die einzige Kraft aufzutreten, auf die sich die Einwohner in ihrer Not verlassen können.
"Die Menschen hier wissen, dass wir saubere Hände haben und keine Hilfsgelder in unsere Taschen wirtschaften", sagt der Sprecher der von der Hamas geführten Regierung Taher al Nounou. Für ein völlig zerstörtes Haus werde es als "Erste Hilfe" 4000 Euro geben, 1000 Euro für einen Toten, verspricht er vollmundig. Unklar und widersprüchlich ist jedoch, was bei den Menschen ankommt. Einige hätten die Hundert-Dollar-Scheine empört zurückgewiesen, die Hamas-Leute verteilten; die Summe sei ihnen angesichts ihrer großen Verluste zu gering gewesen, berichtet der Politikwissenschaftler Abu Sada. Andere in Gaza-Stadt erzählen von Verwandten, die schon die versprochenen 4000 Euro bekommen haben sollen. Die Rede ist aber auch von Prügeleien, zu denen es angeblich kam, als die Hamas Lebensmittel verteilte, die dann nicht für alle ausreichten.
Außerhalb des Gazastreifens strotzt die Hamas vor Selbstbewusstsein. Die Exilführung erwägt, eine neue PLO zu gründen, in der die Hamas dann das Sagen hätte. In den Verhandlungen mit Israel in Kairo haben die Islamisten längst die Autonomiebehörde unter Präsident Mahmud Abbas an den Rand gedrängt. Aber auch im Westjordanland hat der Gaza-Krieg der Fatah von Abbas geschadet. "Die Hamas hat eindeutig an Popularität gewonnen", sagt Zakaria al Qaq, der Vizepräsident der Al-Quds-Universität in Ost-Jerusalem. Viele hätten sich mit den Islamisten solidarisiert, die sie als Opfer sahen, auch weil die Fatah ihnen nicht beigestanden, sondern insgeheim darauf gehofft habe, dass Israel ihnen einen vernichtenden Schlag versetze. Mit großer Härte gingen die Sicherheitskräfte im Westjordanland gegen vermeintliche Hamas-Sympathisanten vor. Doch selbst in von israelischen Arabern bewohnten Städten wie Nazareth fällt auf, dass dort - anders als in Gaza - wieder Bärte in Mode kommen.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 01.02.2009, Nr. 5 / Seite 7
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