Ein Spezialkran hievt den Rotor des Windrads zur Montage nach oben.
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Die Windenergie auf dem Festland könnte viel mehr Strom erzeugen, als bisher vermutet: 65 Prozent des deutschen Bruttostromverbrauchs hätten im Jahr 2010 gedeckt werden können, wenn Windräder sich auf ganzen zwei Prozent der Landfläche gedreht hätten. Im Auftrag des Bundesverbandes Windenergie haben Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik in Kassel das ausgerechnet. Sowohl die Flächen wie auch die Technik sind vorhanden, um solche theoretischen Studien in die Realität umzusetzen: Immerhin eignen sich acht Prozent von Deutschlands Fläche für Windenergieparks, wenn die Rotorblätter sich nicht über Wäldern und Schutzgebieten drehen sollen und die vorgeschriebenen Abstände zu Siedlungen und Verkehrswegen eingehalten werden.
In diesen Gebieten sollten dann Anlagen stehen, die sich kaum von den heutigen Windparks unterscheiden. Nur die Türme dürften mit mehr als 100 Metern höher und die Rotorblätter länger sein. Solche Anlagen rentieren sich dann auch in den Mittelgebirgen im Süden Deutschlands, während sich die Windmühlen bisher vor allem an den Küsten und in der Tiefebene zwischen der holländischen und der polnischen Grenze drehen.
„Deutsche Hersteller haben wirtschaftliche Anlagen für das Binnenland bereits entwickelt“, erklärt Alexander Sewohl vom Bundesverband Windenergie in Berlin. Die ersten Prototypen werden bereits installiert und warten mit enormen Leistungszuwächsen auf: Die Anlagen haben deutlich höhere Nennleistungen als ihre Vorgänger. Waren 1987 gerade einmal 50 Kilowatt pro Windrad üblich, lag dieser Wert 1997 bereits bei 600 Kilowatt und übertraf im Jahr 2000 mit mehr als 1000 Kilowatt erstmals die Ein-Megawatt-Marke.
In diesem Jahr bewegt sich der Durchschnittswert an Land bereits bei drei bis 3,5 Megawatt. Anlagen im Meer („offshore“) haben etwa die doppelte Leistung. Während die Entwicklung im Meer weitergeht und bereits an 20-Megawatt-Anlagen geforscht wird, haben die Hersteller für Anlagen an Land („onshore“) einen triftigen Grund, die Nennleistung nicht weiter zu steigern: Dort weht nicht genug Wind, um mit höheren Leistungen Geld zu verdienen.
Die Rechnung dabei ist ganz einfach: Verdoppelt der Hersteller die Leistung, vervielfachen sich die Kosten für die Anlage. Gleichzeitig aber gibt es im Binnenland kaum Standorte, an denen die bereits existierenden Anlagen mit sechs oder sogar 7,5 Megawatt diese Leistung dauerhaft nutzen können. Kurzum rentieren sich solche Anlagen für den Käufer kaum. Daher bieten die Hersteller inzwischen Windräder an, die bei drei oder 3,5 Megawatt Leistung bleiben, aber den Wind besser einfangen als bisherige Anlagen dieser Klasse.
So lang wie ein Fußballfeld
Dazu werden im Prinzip einfach die Rotorblätter länger gemacht. So baut der Windkraftanlagen-Spezialist Nordex in Rostock eine 2,5 Megawatt-Anlage, deren dreiblättrige Rotoren einen Durchmesser von hundert Metern haben – was fast der Länge eines Fußballfeldes entspricht. Dieser Typ ist bereits für das Binnenland mit mittleren Windgeschwindigkeiten ausgelegt. Für Standorte mit weniger Wind ersetzt das Unternehmen die bisher für die Rotorblätter verwendeten Glasfasern durch leichtere Kohlenstoff-Fasern und vergrößert den Durchmesser des Rotors auf 117 Meter. Durch den leichteren Werkstoff können die Rotorblätter deutlich verlängert werden, während ihr Gewicht bei ungefähr elf Tonnen bleibt. Die Gesamtkonstruktion muss daher nicht verstärkt werden. Statt einer Fläche von bisher 7823 Quadratmetern überstreichen die Blätter jetzt aber 10 715 Quadratmeter. Auf dieser größeren Fläche lässt sich auch bei schwacher Luftbewegung mehr Wind einfangen.
Obwohl die Anlage mit 2,4 Megawatt eine leicht geringere Nennleistung hat, rentiert sie sich auf Standorten mit schwachem Wind besser. Obendrein bewegen sich die Spitzen der Rotorblätter in jeder Sekunde nicht mehr 77 Meter, sondern nur noch 72 Meter weiter. Das aber macht die Anlage hörbar leiser und verringert so die akustische Belastung der Nachbarn.
Hier wird die Gondel mit zwei vormontierten Rotorblättern auf den Turm gesetzt.
Die Hersteller haben aber noch eine weitere Möglichkeit, mehr Wind einzufangen: Sie bauen die Türme der Anlagen höher und nutzen dabei eine Tatsache, die Meteorologen gut kennen: Eine unregelmäßige Oberfläche wie ein Gebirge, eine Stadt
, ein Wald oder bereits ein Getreidefeld bremst den Wind erheblich stärker als eine glatte Oberfläche wie ein See oder die Landebahn eines Flugplatzes. Je höher man sich über einer Fläche befindet, umso stärker weht also der Wind. Eine Faustregel sagt daher, dass jeder Meter Turmhöhe ein Prozent mehr Ertrag an Windenergie bedeutet. Nordex und der Hersteller Enercon bieten daher inzwischen Türme an, auf denen die Nabe in 140 Metern Höhe montiert wird.
Die höheren Türme aber erschließen zugleich eine riesige Fläche, die bisher kaum genutzt wurde, die Waldgebiete. Weil im Wald der Wind stark gebremst wird, lohnen sich dort Windräder überhaupt nicht. In den Luftschichten direkt über den Wipfeln ist der Wind so turbulent, dass an eine „Windernte“ ebenfalls nicht zu denken ist. Mit 140 Meter hohen Türmen aber erreichen die Rotorblätter auch am tiefsten Punkt ihrer Umdrehung diese verwirbelten Luftschichten über den Bäumen nicht mehr. Dann sind auch Windkraftanlagen sinnvoll, weil sie genau genommen nicht in den Wäldern, sondern über ihnen gebaut werden.
Auch für die großen Wälder Süddeutschlands rücken so Windparks in greifbare Nähe. Alexander Sewohl vom Bundesverband Windenergie fasst diese technische Entwicklung in einem Satz zusammen: „Eine einseitige Ausrichtung auf Windenergie-Anlagen im Meer ist nicht sinnvoll.“ Auch an Land gibt es nämlich reichlich Potenzial für Windenergie – die obendrein preiswerter genutzt werden kann.