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»Etwas Gräßlicheres als der Tod« msvt
Seite 1 von 1
neuester Beitrag: 21.12.00 16:22
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eröffnet am: | 10.10.00 15:58 von: | schnee | Anzahl Beiträge: | 3 |
neuester Beitrag: | 21.12.00 16:22 von: | index | Leser gesamt: | 3175 |
davon Heute: | 1 | |||
bewertet mit 1 Stern |
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interessant
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witzig
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gut analysiert
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informativ
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Dieser Text stammt aus dem Buch:
Günter Ogger: Die Gründerjahre. Als der Kapitalismus jung und verwegen war
Vollständige Taschenbuchausgabe Januar 1982, 1995 Droemersche Verlagsanstalt, Knaur
(C) 1982, 1995
Das Buch gibt es leider nicht mehr im Handel. Für den Börsianer ist besonders Kapitel
9 von Interesse, in welchem sich der Autor ausgiebig der Börse um 1870-1875 beschäftigt.
Insbesondere die zahlreichen Neuemissionen vor 125 Jahren haben es dem Autor angetan -
und mir auch. Schon damals lief das Geschäft prinzipiell wie heute auch. Alle wollen
abzocken, Banken, Alteigentümer und auch Aktionäre. Ein sehr lesenswerter Text wie ich meine.
?9. Kapitel
Das Reich im Rausch
So richtig in Schwung kamen die Gründer in den »goldenen« siebziger Jahren. Wie einst
die Digger im Goldland Kalifornien, so verfielen nun die ehedem so nüchternen Bürger
Preußens und der anderen deutschen Staaten nach dem glorreichen Sieg Bismarcks über die Franzosen
in einen wahren Taumel. Ausgelöst wurde der deutsche Goldrausch von der größten
Geldsumme, die jemals ein Land aus einem besiegten Kriegsgegner herausgepreßt hatte.
Nachdem Paris am 28. Januar 1871 endgültig kapituliert hatte, beorderte Bismarck für
die Verhandlungen mit dem französischen Regierungschef Adolphe Thiers zwei der
gerissensten deutschen Finanziers aus Berlin ins Schloß von Versailles: seinen Hausbankier Gerson
Bleichröder und den oberschlesischen Magnaten Guido Henckel von Donnersmarck. Die
millionenschweren Unterhändler, damals neben Alfred Krupp die beiden reichsten
deutschen Privatleute, setzten die französischen Reparationszahlungen schließlich auf fünf
Milliarden Goldfrancs fest ? eine schier unvorstellbare Summe, die das Volkseinkommen Preußens
nahezu verdoppeln würde. Gezahlt werden sollte cash, das hieß in Gold, und zwar innerhalb von
drei Jahren.
Die Goldlawine, die daraufhin in plombierten und schwer bewachten Sonderzügen aus dem
Westen anrollte, überforderte nicht nur die Tresore der Berliner Banken, sondern auch
das Vorstellungsvermögen der preußischen Finanzbürokratie. Ähnlich naiv wie heutzutage die
Geldverweser der arabischen Ölscheichs, pumpten die Beamten das Franzosengold viel zu
hastig und ungeschickt in den Geldkreislauf der Nation. Anstatt langfristige Projekte zu
finanzieren, etwa im Eisenbahn? oder Wohnungsbau, zahlten sie mit dem neuerkämpften Reich nach
treudeutscher Art erst einmal ihre Schulden zurück. Die Folgen waren fatal: Das Kapital, das
Deutschlands Bürger in Staats- oder Kriegsanleihen investiert hatte, wurde nun plötzlich frei und
überschwemmte die Börsensäle.
Deutschlands Groß? und Kleinkapitalisten waren in bester Laune. Den Krieg hatte man
gewonnen, die Wirtschaft florierte, und an der Börse ging es rund, seit die preußische
Regierung am 27. Juni 1870 das neue Aktiengesetz veröffentlicht hatte. War früher eine
staatliche Konzession nötig, um eine Aktiengesellschaft zu gründen, so konnte nun jeder an der
Börse
Anteilscheine seines Unternehmens feilbieten. Und auch das Management ? damals hieß es noch
Geschäftsleitung konnte jetzt frei von behördlicher Aufsicht nach Belieben schalten und walten.
Viele der deutschen Wirtschaftsführer machten von ihrer neuen Freiheit ausgiebig
Gebrauch.
Großmannssucht der Teutonen
Mit erschreckender Deutlichkeit zeigte sich nun ? kaum war das Kaiserreich gegründet ?
zum ersten Mal die so verhängnisvolle Großmannssucht der Teutonen. Im Überschwang des Sieges
über Frankreich glaubten die Deutschen, das Glück für immer gepachtet zu haben. Jedermann
wollte teilhaben am neuen Reichtum; der Glanz der französischen Milliarden blendete
Rittergutsbesitzer und Rentner, Bankiers und Dienstboten, die High Society und die
Habenichtse.
Die Spekulation avancierte zum beliebtesten Gesellschaftsspiel jener Tage, und der Börsenzettel
wurde zur Standardlektüre des Bürgertums.
Hausgehilfen kratzten ihre Spargroschen zusammen, trugen sie frohgemut zum nächsten
Bankschalter und begehrten dringend irgendeine Aktie zu kaufen. An den Stammtischen der
Kleinstadthonoratioren wurde nun nicht mehr über Graf Moltkes Schlachtpläne, sondern über die
Geschäfte der Eisenbahngesellschaften diskutiert. Selbst die Reichsten im Reich waren sich nicht
mehr zu vornehm, hie und da einen »schnellen Taler« mitzunehmen. Der Fürst von
Hohenlohe?Öhringen, einer der größten Grundbesitzer Deutschlands, steckte Millionen in dubiose
Firmengründungen, und sogar der Kanzler höchstpersönlich, Fürst Otto von Bismarck, mußte sich
vorhalten lassen, er denke beim Regieren zu oft an seine private Schatulle.
Ein naher Verwandter seiner Frau Johanna, einer geborenen von Puttkamer, behauptete
öffentlich, der Reichskanzler habe nur deshalb ein Gesetz ändern lassen, damit Johanna das
Puttkamer?Vermögen erben könne. Und der Bankier Gerson Bleichröder, der schon seit Mitte der
sechziger Jahre das Privatvermögen des Fürsten verwaltete, wußte allzu häufig verdächtig gut
über künftige Regierungsbeschlüsse Bescheid, die ihm und seinem prominenten Kunden
erkleckliche Gewinne eintrugen.
Märchenhafte Spekulationsgewinne
Wer mochte da schon zurückstehen, wenn es, wie die Zeitungen täglich schrieben, so
leicht war, an der Börse reich zu werden. Bei soviel Kauflust im Publikum fühlten sich die
Bankiers und Börsianer geradezu herausgefordert, ständig neue Anlagepapierchen zu präsentieren. Das
Gründerfieber begann zu grassieren.
Was jetzt, in der Zeit des leichten Geldes, gegründet wurde, verdiente diesen Namen
eigentlich schon nicht mehr. Denn als »Gründung« verstand man nun nicht mehr den Stare eines
Unternehmens vom Punkt Null aus, sondern bereits die bloße Umwandlung eines
Familienunternehmens in eine Aktiengesellschaft. Wo immer ein Schornstein rauchte? schnell
waren ein paar »Gründer« zur Stelle, die dem verdutzten Inhaber einen großartigen Plan
unterbreiteten.
Das Strickmuster jener »Gründungen« war stets dasselbe: Das Gründungskomitee kaufte
dem bisherigen Besitzer den Laden zu einem weit überhöhten Preis ab, schlug darauf noch
ein hübsches Sümmchen für Spesen und Provisionen und gab dann so viel Aktien aus, daß das
Grundkapital nicht selten doppelt und dreifach so hoch war wie der tatsächliche Wert
des Betriebes.
Damit das Publikum Geschmack fand an derlei luftigen Börsentiteln, wurde es mit
Hochglanzprospekten und sensationellen Zeitungsberichten geködert ? korrupte Verleger
und Journalisten gibt es schließlich nicht erst seit der Erfindung des Bauherrenmodells.
Beim breiten Publikum fanden die Papiere des »neugegründeten« Unternehmens, das in
Wahrheit nur seine Rechtsform geändert hatte, reißenden Absatz. Gerüchte über märchenhafte
Spekulationsgewinne machten die Runde, und immer mehr Aktionäre gierten danach,
möglichst viel von dem Goldenen Kalb abzubekommen, das da in den Börsensälen offenbar täglich
neu geschlachtet wurde.
Jeden Tag eine neue Aktie
Der Nachschub an frischen Aktien war immens. Wurden im Königreich Preußen zwischen
1790 und 1870 insgesamt nur etwa 300 Aktiengesellschaften zum Börsenhandel zugelassen, so
entstanden allein in den Jahren 1881/72 insgesamt über 780 preußische
Aktiengesellschaften. Im Schnitt erschien in diesen Leidensjahren folglich jeden Tag eine neue
Aktie auf dem BerlinerKurszettel.
Berlin war unbestritten das Zentrum der Gründerhausse, auch wenn seine Börse bis dahin
im Schatten der Wiener Konkurrenz gestanden hatte. In der Hauptstadt der k.u.k. Monarchie
gab es
zum Beispiel anno 1870 schon 20 private Aktienbanken, in Berlin hingegen nur eine
einzige, den Kassenverein, der sich mit seinem Kapital von ~ Million Taler gegenüber der Wiener
Kreditanstalt mit ihren 40 Millionen recht kläglich ausnahm. Doch Berlin holte rasch auf, und Ende
1872 gab es in der ungleich größeren Donaumonarchie nicht einmal halb so viele
Aktiengesellschaften wie in Preußen.
Gegründet wurde alles, was sich an der Börse verkaufen ließ: Banken und
Versicherungen, Pferdebahnen und Firmen zur Verwertung von Mineralbrunnen, Maschinenfabriken und
botanische Gärten, Bierbrauereien und Hotels, Eisenbahnen und Leimsiedereien. Die
meisten dieser Neugründungen verschwanden genauso schnell wieder von den Kurszetteln, wie sie
darauf erschienen waren, doch einigen gelang es, trotz ihrer Geburtsfehler zu
Wohlstand und Ansehen zu kommen.
Das wohl bekannteste Unternehmen aus dieser Zeit ist die Deutsche Bank. Sie erhielt
am 10. März 1870 ihre Konzession, wenige Wochen, bevor das neue Aktienrecht in Kraft trat.
Gegründet wurde das Institut von sechs Privatbankiers; die treibenden Kräfte waren dabei der
Berliner Adalbert Delbrück und der spätere Reichstagsabgeordnete Ludwig Bamberger, die es leid
waren, mit anzusehen, wie ausländische Banken immer größere Gewinne bei der Finanzierung der
Exportgeschäfte deutscher Firmen abschöpften. Die Deutsche Bank sollte ein reines
Exportfinanzierungsinstitut werden. Daß sie mehr wurde, hat sie vor allem ihrem ersten
Generaldirektor zu verdanken, Georg Siemens.
Zu den wenigen seriösen Gründungen jener Zeit gehören auch die Chemie? und Pharmafirma
Schering AG, die Schultheiss?Brauerei AG sowie die Maschinenfabriken von Egells und
Wöhlert in Berlin. Der größte und bekannteste unter den Unternehmern der preußischen
Hauptstadt aber, Lokomotivenkönig Albert Borsig, weigerte sich beharrlich, die vom Vater aufgebaute
Firma den Finanz? und Börsenhaien in den Rachen zu werfen, obwohl ihm sagenhafte Summen ?
angeblich über zwölf Millionen Taler? dafür geboten wurden.
Unzählige Familien werden ruiniert
Der wahnwitzige Börsenboom, der mit dem Zusammenbruch der Wiener Kreditanstalt im Mai 1873
endete und dann in die längste und schwerste Wirtschaftskrise des Jahrhunderts
mündete, führte zu einer nie dagewesenen Umverteilung des Volksvermögens. Hunderttausende verloren,
als die Kurse ins Bodenlose abrutschten, ihre Ersparnisse. Unzählige Familien waren so
gründlich ruiniert, daß sie mehrere Generationen brauchten, um sich davon wieder zu erholen. In
Berlin stieg die Zahl der Selbstmorde sprunghaft an, für viele Spekulanten endete der Traum
vom ewigen Reichtum im Obdachlosenasyl.
Die »Gartenlaube« schilderte den Fall eines Gutsbesitzers aus Pommern, der seinen
Landsitz verkauft hatte und mit einem Barvermögen von 250.000 Talern nach Berlin gekommen war,
um hier als Rentier zu leben. Der gutgläubige Agrarier ließ sich überreden, sein Kapital
in Aktien der Centralbank für Bauten anzulegen, die schon zehn Monate nach ihrer Gründung eine
Superdividende von 43 Prozent ausschüttete und deshalb im April 1873 noch zum Kurs von
420 gehandelt wurde. Der Privatier kaufte Centralbank?Aktien im Nennwert von 80.000 Talern
zum Kurs von 400 ?was insgesamt 320.000 Taler machte. 250.000 zahlte er bar ein, den Rest
von 70.000 schoß ihm seine Hausbank vor, die sich als Sicherheit sämtliche Aktien zur
Verwahrung übergeben ließ. Die »Gartenlaube« beschreibt das Ende: »Der Cours begann zu sinken und
sank ohne Aufhören; der Banquier verlangte Deckung, und da diese nicht geleistet werden
konnte, ließ er die Actien im Wege der Execution an der Börse verkaufen. Der ehemalige Gutsbesitzer
hatte in noch nicht einem halben Jahr sein ganzes Vermögen verloren, und er war dem Banquier
auch noch 20.000 Thaler schuldig. «
Der große Gründerkrach von 1873 gilt vielen westlichen Wirtschaftshistorikern als
einmaliger »Betriebsunfall« in der Geschichte des Kapitalismus, an den man sich nicht allzu gern
erinnert.
Wolfgang Zorn, Professor für Wirtschafts? und Sozialgeschichte an der Universität
München, stellt deshalb fest: »Die Forschung auf diesem Gebiet ist noch nicht sehr
fortgeschritten, da gibt es noch viel aufzuarbeiten.« Um so eifriger nahmen sich die marxistischen
Geschichtsschreiber der DDR des Themas an. Hans Mottek beispielsweise, einer der führenden Ostberliner
Wirtschaftshistoriker, hat dazu mehrere Bücher veröffentlicht. Er begreift die große
Gründerkrise als einen Modellfall für die Unfähigkeit des Kapitalismus, mit seinen selbst
geschaffenen Problemen fertig zu werden.
Modell oder Betriebsunfall ? lernen können wir allemal aus den Ereignissen jener Zeit.
Denn nur allzu genau wiederholen sich in unseren Tagen viele Erscheinungen aus den Kindertagen
des Kapitalismus. Auch wenn die Börse heute ungleich besser funktioniert, wenn die
Gesetze, denen das Wirtschaften unterworfen wurde, die Erfahrungen von damals längst berücksichtigt
haben ? die Grundmuster menschlichen Erwerbsstrebens sind stets die gleichen geblieben. Und
die Methoden, mit denen clevere Geschäftemacher heute auf Dummenfang gehen, unterscheiden
sich allenfalls stilistisch von den Werbemitteln ihrer Vorfahren von anno 1870.
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Boardmail an "schnee" |
Wertpapier:
Siemens AG
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Die Parallelen sind wohl unübersehbar, ich frage mich nur, wo in der heutigen Zeit das viele Kapital herkommt. Schließlich haben wir keine Milliarden von den Franzosen bekommen ;-)
Ah, jetzt weiss ichs, die 100 Milliarden aus der UMTS-Versteigerung!!
Aber nein, die Börse lief ja auch vorher schon so gut, komisch?!?
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Boardmail an "Krock" |
Wertpapier:
Siemens AG
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