Ölpreis auf Konfrontationskurs
11. Juli. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Ölpreise und Konjunktur sind auf Konfrontationskurs. Weltweit befindet sich die gesamtwirtschaftliche Aktivität auf Talfahrt. In den USA ist das Wachstum schon zurückgefallen. In Europa schwächt es sich gerade ab. In China gibt es erste An-zeichen einer Verlangsamung. Dagegen steigt der Ölpreis an, so als ob er mit all dem nichts zu tun hätte. Seit Jahresbeginn hat er sich um 35% erhöht, in den letzten 12 Monaten ergab sich sogar knapp eine Verdoppelung. Dabei sagen wir doch immer, dass der Ölpreis vor allem durch die hohe Nachfrage nach oben ge-trieben würde. Wie passt das zusammen? Kann das so bleiben?
Meine Antwort ist ein klares Nein. Das passt nicht zusammen und kann auf die Dauer auch nicht so anhalten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Ölpreis sinkt. Die Nachfrage nach Öl reagiert schon deutlich auf die hohen Preise. Jeder merkt, dass der morgendliche Berufsverkehr – auch unabhängig von den Schulferien – nachlässt. In Deutschland wird auf den Autobahnen wird nicht mehr so schnell gefahren. Aus New York ist zu hören, dass der übliche Verkehrsinfarkt in Manhat-tan an Schrecken verloren hat. Fluggesellschaften klagen über nachlassende Nachfrage nach Fernreisen. Der deutsche Finanzminister hatte im Mai 6% weni-ger Einnahmen aus Steuern auf Energie als im Vorjahr (Kraftstoffe, Heizöl, Flüs-siggas und Erdgas). Wenn sich jetzt auch noch die Konjunktur abschwächt, dann wird die Nachfrage nach Öl noch stärker zurückgehen. Im Augenblick läuft zwar noch die Urlaubssaison mit traditionell höherem Benzinverbrauch. Aber das ist bald vorbei.
Die Ölpreise erhöhen sich trotz aller Nachrichten, dass die Ölförderung ausgeweitet wird und dass neue Ölfelder entdeckt (Brasilien) oder in Betrieb genommen werden (Irak). Viele Beobachter haben das Gefühl, dass der Preisanstieg inzwischen überzogen ist. Aber niemand weiß natürlich, wann der „Markt kippt“. Die hohen Preise dämpfen den privaten Konsum (zumal in Schwellenländern die Subventionierung der Benzinpreise abgebaut wird). Auf Dauer werden sich die hohen Preise in vermehrten Exporten in die Ölländer niederschlagen.
Die Konjunktur schwächt sich ab. Dabei verschiebt sich der regionale Fokus. Derzeit sieht es so aus, als ob die Amerikaner dank ihrer aktiven Fiskalpolitik vielleicht mit einem blauen Auge davonkommen könnten. Es wird dort keine Rezession geben, wohl aber eine längere Periode langsameren Wachstums. In Europa nehmen dagegen die Ängste vor einer stärkeren Abschwächung zu. Die wirtschaftliche Aktivität bewegt sich dank der vollen Auftragsbücher zwar noch auf einem vergleichsweise komfortablen Niveau. Die Aussichten werden aber schlechter. Die europäischen Finanzminister kümmern sich mehr darum, die Zentralbank an einer Zinserhöhung zu hindern als einen eigenen „Plan B“ zu entwickeln, wie die Konjunktur mit einem vorübergehenden deficit spending gestützt werden könnte. Das trägt nicht unbedingt zur Vertrauensbildung an den Märkten bei.
Vor allem sind die Angebots- und Nachfrageverhältnisse bei verschiedenen Ölsorten unterschiedlich. Zudem wird Öl normalerweise nicht in Reinform kon-sumiert, sondern muss in den Raffinerien erst noch verarbeitet werden. In der ersten Ölkrise in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts dauerte es 7 Jahre (von 1973 bis 1980) bis der Ölpreis auf die geringere Nachfrage und das höhere Angebot reagierte und zu fallen begann. Jetzt befinden wir uns wiederum im siebten Jahr der Ölpreiserhöhung. Im Unterschied zu damals hat der Ölpreisan-stieg diesmal aber am Anfang relativ moderat begonnen. Er ist erst ab 2005 so richtig in Fahrt gekommen. Die Angebotsreaktion ist diesmal auch nicht so poli-tisch bestimmt. Die Reaktion der Preise kann daher etwas später kommen.
Interessant ist, dass sich der Preisanstieg bei anderen Rohstoffen bereits deut-lich verlangsamt hat. Die Preise für Kupfer, Aluminium, Zinn, Zink oder Blei befin-den sich zwar weiter auf hohem Niveau, sie sind jedoch seit einiger Zeit nicht mehr gestiegen. Die Preise für Weizen, Mais und andere Nahrungsmittel sind zu-letzt deutlich gesunken. Ausnahme ist Zucker, dessen Preis aber auch nicht von der vorherigen Hausse profitiert hat.
Wenn sich die Ölpreise einmal nach unten bewegen, dann wird dies vermutlich nicht nur eine kurzfristige Bewegung sein. Es ist auch hier ganz hilfreich, sich die längerfristige Perspektive anzuschauen. In den 70er Jahren veröffentlichte der renommierte Club of Rome eine Studie mit dem Titel „Die Grenzen des Wachs-tums“. Darin bewiesen die Wissenschaftler, dass Roh-stoffpreise auf die Dauer nur nach oben gehen können. Denn die Bevölkerung und das Sozialprodukt der Welt werden weiterhin exponentiell wachsen, die natürlichen Rohstoffe der Welt sind aber endlich und müssen daher früher oder später knapp werden. Der Club of Rome wurde so berühmt, weil die Rohstoffpreise damals tatsächlich anhal-tend und in erheblichem Ausmaß stiegen.
Anfang der 80er Jahr drehte sich jedoch der Wind. Der Rohstoffpreisanstieg kam zum Ende und die Preise gingen absolut zurück. Und zwar nicht nur für ein oder zwei Jahre, sondern kontinuierlich über insgesamt fast zwanzig Jahre. 1980 lag der Ölpreis noch bei 35 Dollar je Barrel, bis 1999 war er auf die Hälfte (17 Dollar je Barrel) gefallen. Diese Entwicklung ergab sich nicht zufällig. Sie hatte drei gute ökonomische Gründe, die der Club of Rome übersehen hatte.
Zum einen hatte er nicht berücksichtigt, dass die Nachfrage auch bei weiterem gesamtwirtschaftlichem Wachstum auf die höheren Preise reagiert. Die Men-schen sind in ihrem Verhalten energiebewusster geworden. Die Industrie bietet energiesparende Technologien an. Zum zweiten wurde das Angebot ausgewei-tet. Die Exploration des Nordseeöls, die England und Norwegen zu großen Öl-produzenten machte, war erst wegen der höheren Preise wirtschaftlich interes-sant. Zum dritten schließlich wurde die Suche nach neuen Ölfeldern intensiviert. Während der gesamten 80er und 90er Jahre wuchsen die bekannten Ölfelder schneller als die tatsächliche Förderung. Erst in dieser Dekade hat sich die Zu-nahme der bekannten Reserven verlangsamt. Das hängt vor allem mit den nied-rigeren Preisen zusammen.
Im Hinblick darauf wäre ich nicht überrascht, wenn die Ölpreise bei einem Trendwechsel nicht nur kurzfristig, sondern über eine längere Zeit zurückgingen.
Die Schlussfolgerung für den Anleger: Seien Sie vorsichtig mit der Investition in Rohstoffe, vor allem in Öl. Ein solcher Ratschlag ist zwar nicht populär in Zeiten, in denen sich auch die anderen Anlageklassen wie Aktien und Obligationen unbe-friedigend entwickeln. Dies umso mehr als Rohstoffe in den letzten Jahren gute Ergebnisse geliefert haben. Andererseits wäre ein Sinken des Ölpreises zumin-dest kurzfristig eine gute Nachricht für andere Anlageklassen.
© 11. Juli 2008/Martin Hüfner
Dr. Martin Hüfner war viele Jahre Chefvolkswirt beziehungsweise Senior Economist bei der HypoVereinsbank in München und der Deutschen Bank in Frankfurt. In Brüssel leitete er den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. Hüfner schreibt für große internationale Zeitungen wie die New York Times, das Wallstreet Journal oder die Financial Times.
Fri, 11 Jul 2008 07:16:00 GMT |