SPD VORM PARTEITAG
Richtig wichtig
Von Markus Deggerich
Die SPD hofft auf das Wunder von Bochum, um aus ihrer Depression und dem historischen Stimmungstief rauszukommen. Auf dem Parteitag kommende Woche geht es um die Zukunft ihrer Bundesregierung und der Partei. Dafür greifen die Parteimanager tief in die Trickkiste.
Berlin - Die SPD fühlt sich gerade richtig wichtig. In Zeitungsanzeigen wirbt sie für ihre Reformen. Die sind zwar zum großen Teil noch gar nicht durch den Vermittlungsausschuss, aber die Genossen verkünden bereits: "Das Richtige tun. Das Wichtige tun". Der Slogan wechselt in den Anzeigen, in denen Menschen gezeigt werden, die zwischen Gefühl und Verstand hin und hergerissen sind.
So geht es auch vielen Genossen mit der Politik ihrer Berliner Leute. Auf dem Bundesparteitag, der am Montag in Bochum beginnt, wird der Satz abwechselnd auf die Großleinwand hinter der Bühne projiziert. Richtig wichtig. Und modern.
Über das, was richtig und wichtig ist in der SPD-Politik, herrscht gelinde gesagt noch Diskussionsbedarf. Die Parteitagsmanager haben deshalb für den Montag nach der "großen Rede des Parteivorsitzenden" (Olaf Scholz) mehr Zeit als sonst für die Aussprache vorgesehen. Die Delegierten sollen ein Ventil bekommen. Durch ein straffes Zeitmanagement kann sonst immer der Eindruck von einer zerstrittenen Partei verhindert werden. Dennoch will man nichts dem Zufall überlassen. Generalsekretär Scholz, der sich einer Wiederwahl stellt, gilt als Wackelkandidat bei den Wahlen. Er selbst ist sich sicher, dass die "Wahlergebnisse in Bochum von großer Solidarität getragen sein werden". Neben dem Generalsektretär wird auch Präsidium und Vorstand neu gewählt.
Ganz so sicher ist sich die SPD-Führung in Sachen Solidarität wohl nicht. Also schickten sie am Freitag mehrere prominente Vertreter in Interviews vor, um für den General zu werben. Baden-Württembergs SPD-Vorsitzende Ute Vogt warnte ihre Partei vor "Abstraf-Aktionen". "Wir brauchen wieder einen Diskussionsparteitag, der die inhaltliche Auseinandersetzung betont und nach vorne blickt", sagte sie am Freitag. Auch Heide Simonis, Ministerpräsidentin in Schleswig Holstein, warf sich ins Zeug: "Ich wähle Olaf Scholz."
Für den Verlauf des Basistreffens wird auch viel abhängen von der Grundsatzrede des Vorsitzenden. Gerhard Schröder habe sich, streuen die SPD-Manager wichtig raunend, diesmal besonders viel Zeit für seine Rede genommen und sich am vergangenen Wochenende mit den Redenschreibern in Klausur begeben. Rat suchte er bei den im SPD-Volk als vertrauenswürdig geltenden Hans-Jochen Vogel und Erhard Eppler. Die beiden hatten ihm bereits auf dem Sonderparteitag Anfang des Jahres mit fulminanten Reden die Agenda 2010 gerettet.
Jubilar Schröder
Vogel wird es auch sein, der die Sonderehrung für den prominentesten Jubilar übergibt: Gerhard Schröder, der vor 40 Jahren der SPD beigetreten ist. Ein Punkt, den der Vorsitzende für sich zu nutzen wissen wird, um das bekannt kühle Verhältnis zwischen ihm und der Partei auf Betriebstemperatur zu bringen.
Überhaupt sollen sich die Genossen bei all dem kalten Gegenwind, der ihnen entgegenschlägt, auch wieder mehr wärmen dürfen. Schröder hatte es einst abgeschafft, dass die Genossen auf Parteitagen ihre alten Arbeiterlieder sangen. Das war ihm zu viel Pathos für einen moderne Partei der neuen Mitte. Wenn sich die SPD-Delegierten am Mittwoch auf den Heimweg machen, werden sie diesmal wieder schmettern: "Wenn wir schreiten Seit an Seit".
Entlastungszeugen vom DGB
Aber Schröder kann es nicht allein richten. Als Entlastungszeugen hat er DGB-Chef Michael Sommer eingeladen, der klarmachen soll, dass sich SPD und Gewerkschaften noch lieb haben. Als Gastgeschenk wird der Parteitag dann wohl ein Bekenntnis zu den Flächentarifverträgen abgeben, die die Union im Vermittlungsausschuss weichspülen will. Welche Halbwertzeit solche Parteitagsbeschlüsse dann im Verhandlungsalltag haben, wird sich erst nach dem Basistreffen erweisen.
Als Versöhnungs-Signale an die eigenen Reihen hatte Schröder diese Woche die Ausbildungsabgabe zumindest nicht mehr ausgeschlossen - gegen den Willen von Wolfgang Clement. Das geschah weniger als Verbeugung vor der SPD-Linken, sondern aus der Einsicht heraus, die Partei müsse wieder mehr Profil zeigen, alte sozialdemokratische Ideen stärker herausstellen. Deshalb wird er wohl auch nicht intervenieren, wenn es um den Beschluss geht, Großerben stärker zur Kasse zu bitten. Olaf Scholz machte am Freitag schon mal klar, dass es dabei nicht um "Omas Häuschen" geht und auch nicht um Betriebsübergaben im Mittelstand. Als weiteres Zuckerl für die Basis will der Generalsekretär die Familienpolitik und Bildung zu großen SPD-Themen machen.
Wer wird Stellvertreter?
Schröders ursprünglicher Plan, die Riege seiner Stellvertreter auf zwei zu reduzieren, ließ er wieder fallen. Denn dabei wäre mit Sicherheit der an der Basis mit Misstrauen beobachtete Wolfgang Clement rausgefallen - aber den braucht er noch als Reformantreiber. Neu für dieses Gremium bewirbt sich Ute Vogt, die bei Schröder als ministrabel gilt und ihm noch nie weh getan hat. Rudolf Scharping, dem Schröder oft weh getan hat, macht Platz - vermutlich für Kurt Beck.
Die Parteiführung blickt mit einer gehörigen Portion Restskepsis auf die kommende Woche. Die Partei im historischen Stimmungstief schwankt zwischen Reformmut und Depression, sie ist irritiert und sucht nach einer gemeinsamen Linie, was auch an den vielen Programmentwürfen abzulesen ist, die plötzlich aus allen möglichen Kreisen, Netzwerken und Gruppen kommen. Viele hoffen auf das Wunder von Bochum, denn weder die Zukunft dieser Bundesregierung noch der Partei scheint gesichert.
Schröder weiß, was seine Leute erwarten. Zur Einstimmung auf den Kongress gehörte auch, dass der Kanzler sich vorher bewusst nur im SPD-Organ "Vorwärts" in einem Interview äußerte. Alle anderen Anfragen von Zeitungen und Magazinen blieben erfolglos. Seine Botschaft: Jetzt ist mir nur die SPD richtig wichtig. Zumindest für die drei Tage in Bochum.
Spiegel online, 14.11.2003 |