Der aktuelle Gehrt! Wie so oftmals, einfach nur lecker!!
Der Obama-Drucktest
Liebe Leserinnen und Leser,
die gestrige Reaktion auf den neuen Maßnahmenkatalog der US-Regierung ist in einiger Hinsicht bemerkenswert und zugleich typisch für die momentane Börsenphase. Es erinnert sehr an einen Test, wie viel Druck die Regierung zum einen und die Anleger zum anderen aushalten. Gleich vorweg: Rein faktisch halte ich die mehrheitliche Reaktion der Medien ebenso wie die der Kurse für voreilig und falsch.
Bereits wenige Minuten nach Bekanntgabe des konkreten Plans geiferte Larry Kudlow auf CNBC, dass dieser Plan dumm, mangelhaft, zögerlich und schlicht Mist sei. Meinen Respekt, Sir. Dafür, dass er die vergangenen zwei Jahre die aufkommenden Probleme erfolgreich negiert hatte, jeden Mahner für einen Schwachkopf hielt und vergleichbar mit John McCain bei jeder Gelegenheit „keep America great“ vor sich hin postulierte, hat er auf seine alten Tage offenbar gelernt, komplexe Lösungen binnen Sekunden bis ins Detail zu durchschauen. Verblüffend. Und er war nicht der einzige, der im Stil eines Demagogen die einfachste Art der Einstufung vollzog: „Alles Mist!“
Die beiden Hauptargumente der Kritiker – wenn man dergleichen so bezeichnen möchte – war, dass die US-Regierung a) die Unternehmen und Privathaushalte vergessen hätte und b) der Plan nicht detailliert und tiefgreifend genug sei, um für die Banken eine klare Entwarnung zu geben. Ersteren würde die Unterstützung nicht zugute kommen, man gebe ihnen keinen Zugang zu leichteren Krediten und nur so könnte die Konjunktur wieder stabilisiert werden. Und die Banken hätten auf diese Weise immer noch keine Garantie dafür, dass sie einfach alles nicht mehr handelund bewertbare bei der Regierung abladen und danach fröhlich weiter wursteln können. Nein, so eine dumme Regierung. Dabei würde doch jeder Idiot kapieren, dass es eben nur so und nicht anders sein müsse.
„Money for nothing“ für alle?
Ich für meinen Teil erlaube mir (wohl wissend, dass es hartes Brot ist, nicht der Meinung der Parolen schreienden Mehrheit zu sein), dies anders zu sehen. Überlegen wir mal: Welchen dauerhaften Effekt hätte es, Privathaushalten und Unternehmen nun Geld in die Hand zu drücken? Es wäre ja schlicht der kurzsichtige Versuch, den Wagen anzuschieben, ohne den Motor zu reparieren.
Ich meine:
Natürlich muss es Privathaushalten und Unternehmen ermöglicht werden, leicht und günstig an Kapital zu kommen, um zu investieren. Keine Frage. Aber man sollte nicht versuchen, dies so zu gestalten, dass diese Klientel in einen Druck gerät, jetzt oder nie billig an Geld zu kommen, das eigentlich gar keine unmittelbare Bestimmung hätte. Mich erinnert diese Forderung der Kommentatoren nach Geldabwurf aus dem Hubschrauber an die Abwrackprämie hierzulande. Denn auch die klingt auf den ersten Gedanken genial ... aber sie ist es genauso wenig wie „Money for nothing“ in den USA. Der Haken ist ja:
Auch (und gerade, das ist ja das Kalkül) diejenigen, die eigentlich gar keinen Bedarf an Krediten haben, werden so dazu verlockt, sie zu nutzen (weil billiger wird’s nicht) und zu investieren. Doch gerade weniger solvente Menschen, die nun angelockt von 2.500 Euro ihren alten Wagen der Schrottpresse zuführen, können so Probleme bekommen. Denn normalerweise hätten viele erneut einen günstigen Gebrauchten erstanden. Nun aber müssen sie einen Neuwagen erstehen, um an die Prämie zu kommen und dafür in der Regel einen Kredit aufnehmen. Effekt für die Autobranche: Kurzfristig steigen die Umsätze, Arbeitsplätze werden eventuell erhalten. Vorerst. Aber das ist ein kurzfristiger Effekt. Was, wenn die Rezession länger anhält? Geheilt wird sie durch derlei Maßnahmen nicht. Und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sie nicht länger dauern würde. Dafür aber haben dann zahllose Menschen, die sich eigentlich gar keinen neuen Kredit leisten sollten (erst recht nicht in dieser Phase) später zwar einen Neuwagen, aber umso mehr finanzielle Belastungen. Und der Absatzeinbruch bei Automobilen wird so nur kurzfristig gestoppt ... und nach hinten verschoben.
Das selbige gilt für die Forderung nach noch leichterem Geld in den USA. Welchen Sinn soll es denn haben, Unternehmen und Privathaushalte mit Geld zu stopfen wie eine Gans, wenn diese dieses Kapital normalerweise in dieser rezessiven Phase sonst nicht investieren würden? Mehr als der o.g. kurzfristige, optische Effekt wie bei der Abwrackprämie würde es nicht bringen, dafür aber die finanzielle Situation der Kreditnehmer verschärfen und so eher dazu beitragen, dass sich die Krise nach hinten umso mehr verlängert.
Wenn Banken wanken
Was die Schelte hinsichtlich des Banken-Rettungsplans angeht stellt sich mir die Frage, ob die Kritik bezüglich des Mangels an Details wirklich sinnvoll ist. Natürlich wäre es für alle Beteiligten nett gewesen, hier eine Kompaktlösung präsentiert zu bekommen, die es den Banken ebenso wie den Investoren ermöglicht, das Thema Finanzkrise einfach zu vergessen. Und ich kann durchaus eine gewisse Enttäuschung verstehen, nachdem man dieses neue Paket im Vorfeld in den Medien oft als anstehende „ultima ratio“ anpries, ohne dessen Inhalt zu kennen. Aber es ist dennoch keine Mogelpackung, wie nun teilweise suggeriert wird.
Die ausgelobte Summe bis zu einer Billion Dollar ist eine ziemlich fiktive Kiste. Wobei mir gefiel, dass Geithner betonte, man werde mal mit 500 Milliarden anfangen, schauen, wie es vorangeht und diese Summe dann im Erfolgsfall entsprechend verdoppeln. Das ist der richtige Weg.
Und dass die Banken nun keine komplette Absolution für frühere Dummheiten erhalten, hat durchaus einen „erzieherischen Wert“. Ich für meinen Teil gewinne hier den Eindruck, dass ganz bewusst auf ein langsames, aber planvolles Abarbeiten der Probleme abgezielt wird. Und dann kann und darf man eigentlich nicht erwarten, ja vernünftigerweise nicht einmal erhoffen, dass die neue Regierung hier mit unausgegorenen Maßnahmen daherkommt. Anders ausgedrückt:
Es kommt jetzt wirklich nicht auf ein paar Tage oder Wochen an. Aber es kommt darauf an, durchdacht und überlegt vorzugehen, statt die Märkte mit heroischen (aber in ihrer Wirksamkeit nicht abschätzbaren) Schnellschüssen zu blenden. Die Details werden ja kommen. Aber eben nicht auf Terminwunsch derer, die es leicht haben zu meckern, weil sie nichts zu verantworten haben.
Der Druck der Börsen ...
Präsident Obama ebenso wie Finanzminister Geithners Antwort auf die „wohlmeinende“ Kritik und die Kursverluste der US-Börsen war, dass Wall Street offenbar immer noch nicht den Ernst der Lage kapiert hätten. Ganz so ist es nicht. Es ist nicht so, dass nun die Kurse so lange fallen gelassen werden, bis die Börsianer genau das bekommen, was sie verlangen. Auch, wenn das oft so gesehen und verbreitet wird, ist die Börse nun einmal kein kollektives Bewusstsein, bei dem sich die einzelnen Individuen in ihren Ansichten und Aktionen stumpf an der Masse orientieren.
Wer sich das Kursverhalten in den Stunden nach Bekanntgabe dieses Regierungsplanes genauer ansah stellte fest, dass hier sofort kurzfristige Trader dominierten. Blitzsauber an den in den USA viel genutzten Intraday- Durchschnittslinien kam immer wieder Druck über den Future. So präsentiert sich kein Kursverlauf, der eine allgemeine Enttäuschung der Anleger durch den Verkauf von größeren Aktienpaketen anzeigt. Das war – vorerst – nur eine kurzfristige Reaktion kurzfristig orientierter Akteure, nicht zuletzt auch dadurch unterstützt, dass der marktbreite S&P 500-Index am Montag genau auf Höhe der vor zwei Wochen markierten Zwischenhochs um 877 Punkte abgeprallt war.
Davon mal abgesehen war es bemerkenswert, dass nach der Bekanntgabe um 17 Uhr unserer Zeit schlicht auf alles eingedroschen wurde. Der deutliche Rücksetzer bei Euro/Yen beispielsweise ... es ist nicht ganz leicht, da einen wirklich logischen Zusammenhang zum Geithner-Plan zu konstruieren. Nein, es wurde überall dort ausgestiegen, wo es zuvor nach oben ging und gekauft, was vorher gedrückt wurde, so z.B. US-Dollar und Anleihen. Aber: Letzteres, sprich die Käufe, sind bislang nicht gerade massiv und überzeugend ausgefallen.
Bislang ist daher m.E. völlig offen, ob dieser Kursrückgang der Aktienmärkte eine Eintagsfliege ist, wie sie gerade in Erholungsphasen in Abwärtstrends sehr oft auftritt, oder ob daraus nun eine größere Bewegung nach unten wird. Das wird wohl auch sehr davon abhängen, ob der mediale Druck gegen diesen Plan heute anhalten wird oder ob erste, besonnene Kommentare hinreichend viele Akteure davon abhalten, unter dem Eindruck der gestern fallenden Kurse zu verkaufen. Die Chance auf eine „Eintagsfliege“ halte ich in jedem Fall für vorhanden, aber man kommt nicht darum herum: Es kommt einfach auf den Verlauf des heutigen und morgigen Handelstages an um absehen zu können, wie sich dieser gestrige Rücksetzer wirklich auswirken wird.
... und der Druck der Demagogen
Dass irgendwer den Ernst der Lage bislang nicht verstanden habe (bzw. sich um eben diesen Ernst ganz bewusst keinen Deut schert) trifft eher auf den verbalen Druck zu. Und bei dem bin ich mal gespannt, ob dieses Gekeife wirklich noch lange anhalten wird, oder ob es nicht mehr als die typische Reaktion derer war, die angeblich bei allem jederzeit genau wissen, was läuft und was richtig oder falsch ist: Sofortige Statements, laut, kurz, klar, ohne genaue Kenntnis der Fakten und somit meistens furchtbar daneben. Viele Börsenkommentatoren und Politiker haben offenbar Eigenschaften, die sie untereinander durchaus austauschbar machen.
Aber ganz gewiss ist diese Reaktion eine erste Nagelprobe für die neue US-Regierung. Wird es diesem neuen Team gelingen, sich diesem Druck der Demagogen und Besserwisser zu entziehen, die ihre Ansichten als die der Allgemeinheit zu verkaufen pflegen?
Alleine dieser gestrige erste Schritt, die Rettung der maladen Banken vorsichtig und Schritt um Schritt anzugehen, anstatt einen hübsch aussehenden Schnellschuss vorzulegen, um sich beliebt zu machen, halte ich für einen Hinweis darauf, dass hier der steinigere, aber erfolgreichere Weg zu gehen versucht wird. Ich hoffe sehr, dass die Obama-Regierung genau so weitermacht und nicht irgendwann doch noch einknickt. Denn wenn erneut mit Blendraketen und wildem Rudern der Arme agiert würde, werden wir keine Chance haben, dem Szenario der 30er Jahre oder durchaus Schlimmerem zu entgehen. So haben wir, immerhin, eine kleine.
Mit den besten Grüße
Ihr Ronald Gehrt (www.system22.de) ----------- "Die Fähigkeit, auf welche die Menschen den meisten Wert legen, ist die Zahlungsfähigkeit." |