Vielleicht ja in den letzten 2 Tagen bereits in irgeneinem Thread gepostet,aber finde ihn hier sehr passend!
"Im Namen Allahs"
Die jungen Männer mit ihren buschigen schwarzen Bärten patrouillieren in japanischen Geländewagen oder Pick-ups mit weißer Flagge, der Standarte der Taliban, durch die Straßen. Mit der Kalaschnikow im Anschlag sind die Turbanträger allzeit bereit, jeglichen Verstoß gegen Gebote des Korans, so wie sie die auslegen, drakonisch zu ahnden.
Häscher des ,,Amtes für die Überwachung der islamischen Moral und die Bekämpfung der Sünde" zerren schwerkranke und sogar gebärende Frauen aus jenen Krankenhäusern, in denen männliche Mediziner behandeln. Sie schneiden Mädchen mit lackierten Nägeln die Finger ab. Sie steinigen Ehefrauen, die der Untreue bezichtigt wurden, peitschen Kinder aus, die mit unerlaubtem Spielzeug ertappt werden, prügeln Männer, die allesamt der Bartpflicht unterliegen, zur Moschee, hängen als Gegner Verdächtigte öffentlich an Kranwagen auf. Die Meinung Ungläubiger, vor allem von ,,Farangi", Ausländern, interessiert die Zeloten keinen Deut. Die ,,Taliban", wie sie sich selbst nennen, trotz der Bedeutung des Wortes (Schüler oder Student) größtenteils Analphabeten, haben Afghanistan ein fundamentalistisches Religionsregime aufgezwungen. Das System ist allenfalls mit Pol Pots mörderischem Steinzeitkommunismus im Kambodscha der siebziger Jahre vergleichbar. Die Taliban beherrschen etwa zwei Drittel des von zwei Jahrzehnten Krieg und Bürgerkrieg verwüsteten Landes.
Die knapp 20 Millionen Afghanen haben unter unsäglichen Opfern ein Jahrzehnt sowjetischer Besatzung und Jahre eines mörderischen Bruderkrieges zwischen den Befreiern - verfeindeten Mudschahidin-Banden - hinter sich gebracht. Gelandet sind sie nun in einem sogenannten Gottesstaat, der für die meisten seiner Bürger die Hölle ist. Die Taliban haben fast alle Schulen und die Universität der Hauptstadt Kabul geschlossen, Film und Fernsehen, Musik und Bilder verboten. Aber auch Fußballspielen, das Halten von Tauben, Drachenfliegen, jedwedes Spielzeug, das Mensch oder Tier zeigt, sind gebannt - einschließlich Schach, weil das ein ,,Glücksspiel" sei. Frauen wurden jedes Menschenrechtes beraubt - sie dürfen weder zur Schule noch zur Arbeit und nur völlig verhül lt unter einem Burka genannten Umhang, zusammen mit dem Ehemann oder einem männlichen Blutsverwandten, das Haus verlassen.
Von der Straße aus einsehbare Fenster müssen geschwärzt sein, um fremde Blicke ins Haus, wo Frauen sich bewegen, zu verhindern. Unter ihrem zeltförmigen Umhang dürfen Frauen weder Schuhe mit hohen Absätzen tragen noch weiße Socken - weil die sexuell aufreizend wirken könnten. Denn im Paschtunwali dem Rechtskodex der Paschtunen mit den zentralen Begriffen „Ehre" und „Schande", ist die Frau dem Mann sehr viel strenger untergeordnet, als es das islamische Gesetz vorsieht. Frauen dürfen kein Land erben, Scheidung ist Tabu, schon der Verdacht der Unkeuschheit reicht aus für ein Todesurteil.
Die Taliban, die reaktionärsten aller islamischen Fundamentalisten, sind ein Produkt dumpfer Dorftraditionen aus den Schluchten des Hindukusch und von den USA geförderter Geheimdienst-Ränke. Als Schöpfer der Gotteskrieger gilt der pakistanische Geheimdienstoffizier Sultan Amir, der seine Ausbildung von Green Berets im US-Fort Bragg erhielt, bevor er afghanische Mudschahidin für den Einsatz gegen die Russen im Nachbarland drillte. Er rekrutierte seine jungen Kämpfer vor allem aus Koranschulen in den Flüchtlingslagern der Afghanen in Pakistan. Als die Russen sich zurück-zogen, bediente sich Pakistan der Taliban, um Handelswege zu den asiatischen Nachfolgerepubliken der Sowjetunion in Zentralasien zu sichern.
Dabei fand sich eine unheilige Allianz zusammen: saudische Islam-Puristen, die an einem Muslimstaat ihrer Prägung an der Grenze zum feindlichen Iran interessiert waren und dafür Millionen locker-machten, amerikanische Öl-Lobbyisten wie die kalifornische Unocal Company, die eine Pipeline von der pakistanischen Küste zu den Öl- und Gasfeldern Zentralasiens planen, islamische Terroristenorganisationen und internationale Drogenkartelle, die Opium aus Taliban-Territorium beziehen.
Spiegel-Special Nr. 1/1998 |